Gutachter im Zyto-Prozess

Hat Peter S. aus Angst unterdosiert?

Karlsruhe - 26.06.2018, 13:40 Uhr

Tag 39 am Landgericht Essen: Ein Gutachter präsentierte eine Erklärung für die Unterdosierungen: Peter S. habe aus Angst unterdosiert. (Foto: hfd)

Tag 39 am Landgericht Essen: Ein Gutachter präsentierte eine Erklärung für die Unterdosierungen: Peter S. habe aus Angst unterdosiert. (Foto: hfd)


„Der ‚Zyto-Apotheker‘ Peter S. hat womöglich ständig Angst gehabt, mit der Arbeit nicht fertig zu werden.“ Das führte ein im Auftrag der Verteidigung tätiger psychiatrischer Gutachter am gestrigen Montag vor Gericht an. Seiner Ansicht nach könne das die Unterdosierungen erklären. Zudem berichtete eine Schulfreundin über Verhaltensänderungen, und eine Nebenklägerin lehnte die Richter als befangen ab.

Welche Auswirkungen hatte eine schwere Kopfverletzung auf den am Landgericht Essen angeklagten Pharmazeuten Peter S.? Der von der Verteidigung engagierte Psychiater Pedro Faustmann hatte schon vor Monaten Zweifel an der Schuldfähigkeit von S. geweckt: Womöglich sei er sich aufgrund eines „hirnorganischen Psychosyndroms“ nicht über die Folgen seiner Handlungen bewusst geworden. Ein im Auftrag des Gerichts tätiger Psychiater hatte hingegen festgestellt, dass S. seinen Analysen nach voll schuldfähig sei.

Dieser Psychiater habe mit hoher Wahrscheinlichkeit diagnostiziert, dass der Apotheker bei fast allen Tests geschummelt habe, sagte Faustmann am Montag. Seine eigenen Ergebnisse sprächen nämlich für Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit im konzeptuellen Denken und bei Exekutivfunktionen, berichtet „Correctiv“ aus dem Gerichtssaal. Seiner Einschätzung nach seien IQ-Werte von 100 oder 115, wie sie offenbar bei S. festgestellt wurden, für einen studierten Pharmazeuten auffällig niedrig – diese lägen normalerweise bei 120 oder 125. 

Außerdem sei S. trotz der seit November 2016 andauernden Untersuchungshaft auffällig motiviert und freundlich gewesen. „Er hatte sich einen Notizblock mitgenommen, eine Überschrift geschrieben – um was es gehen soll heute“, erklärte der Psychiater. Er stuft dies angesichts der langen Haftzeit als ungewöhnliches Verhalten ein und vermutet eine affektive Störung. Auch habe der Apotheker eigene Schwächen nicht gesehen.

Doch wie kann es auch bei psychischen Auffälligkeiten sein, dass laut Untersuchungen der am Tag der Razzia festgestellten Proben nur Unterdosierungen festgestellt wurden und keine Überdosierungen? Auf Nachfrage der Nebenklage erklärte Faustmann, S. habe womöglich ständig Angst gehabt, nicht mit der Arbeit fertig zu werden. Für ihn erkläre dies gerade Unterdosierungen. Wenn die Angst sehr dominant war, könne es zu Elementarhandlungen kommen, bei denen Personen einfache Schritte oft wiederholen. Seiner Ansicht nach ist es auch plausibel, dass der Apotheker aus Angst lieber eine zu niedrige als eine zu hohe Dosis verwendet habe – womöglich auch unbewusst.

Warum war nur das Präparat für eine Studie richtig dosiert? 

Doch ist es nicht auffällig, dass nur eine von 29 beschlagnahmten Proben mit Antikörpern korrekt dosiert war – nämlich jene, die für eine klinische Studie verwendet werden sollte? Faustmann wich laut „Correctiv“ dieser Frage von Seiten der Nebenklage aus: Ohne genaue Kenntnis der Herstellungssituation könne er dies nicht beantworten.

Neben Faustmann erschien auf Einladung der Verteidigung auch eine frühere Schulfreundin von S. vor Gericht – die später als Scheidungsanwältin wieder mit ihm zu tun hatte. Die Zeugin Christina M. erklärte, sie habe Veränderungen festgestellt. Sie beschrieb S. als strukturierten und überlegten Schüler, der ein bisschen verklemmt gewesen sei. Als er sie vor acht Jahren wieder kontaktierte, um sich von ihr bei seiner Scheidung vertreten zu lassen, habe sie einige Veränderungen bemerkt. 

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Urteil könnte sich verzögern

Die Hochzeit nach nur einigen Wochen sei aus ihrer Sicht schwer erklärbar gewesen. Dabei seien geschätzt 400.000 bis 600.000 Euro an die Gattin und deren Eltern geflossen, was S. genauso wenig habe erklären können wie die Gründe der Trennung. Auch habe er Probleme gehabt, sich zu konzentrieren, und die Stimmung sei geschwankt. Auch der Vater von S. sowie sein Anwalt hätten derartige Veränderungen festgestellt.

Aufgrund eines Migräneanfalls des Apothekers musste die Verhandlung abends gegen Viertel vor acht beendet werden – Faustmann soll erneut geladen werden. Da dieser jedoch in den kommenden zwei Wochen keine Zeit hat, könnte dies die Urteilsfindung entsprechend verzögern. Die Strafkammer wird in den nächsten Verhandlungstagen auch über einen Befangenheitsantrag zu entscheiden haben: Von Seiten einer Nebenklägerin war aufgrund aus ihrer Sicht fragwürdiger Prozessführung des Vorsitzenden Richters Johannes Hidding zunächst ein Befangenheitsantrag gegen ihn, später gegen die ganze Kammer angekündigt worden.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Wieder typisch

von Walter Neuschitzer am 28.06.2018 um 9:23 Uhr

Es ist wieder typisch. Je nach Auftraggeber wird der Geisteszustand unterschiedlich beurteilt. In einer wirklichen Wissenschaft gäbe es so etwas nicht. Aber in der Psychiatrie gibt es nur Meinungen und keine wissenschaftlich fundierten Fakten.

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