Zwölf Jahre Haft für Peter S.

„Sie haben die Apotheke in eine kriminelle Einrichtung verwandelt“

Essen - 06.07.2018, 14:15 Uhr

Zur Urteilsverkündung im Verfahren gegen den Apotheker Peter S. war heute die Presse wieder sehr präsent. ( j / Foto: hfd)

Zur Urteilsverkündung im Verfahren gegen den Apotheker Peter S. war heute die Presse wieder sehr präsent. ( j / Foto: hfd)


Mediale Vorverurteilung strafmildernd berücksichtigt

Hidding erläuterte auch ausführlich, warum es sich nach Ansicht des Gerichts nicht um Mord handelte. „Weil wir in keinem einzigen Fall feststellen können, so bedauerlich das ist, dass jemand wegen einer Unterdosierung früher verstorben ist“, sagte er. Auch für versuchten Mord hätte nachgewiesen werden müssen, dass S. sich bewusst war, dass der einzelne Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit länger leben würde – doch ein derartiger Tötungsvorsatz sei nicht beweisbar.

Strafmildernd berücksichtigte das Gericht, dass es in einigen Medien wie auch im öffentlichen Raum zu einer Vorverurteilung kam – so hatten Medien S. als „Todes-Apotheker“ bezeichnet oder die Taten als Fakt hingestellt, wie es auch in einem Schreiben des Bundeskanzleramts der Fall war. „Die Verteidiger haben zu Recht darauf hingewiesen“, sagte Hidding. Doch dürfe sich jemand, der so schwerwiegende Taten begeht, über die Reaktion in den Medien nicht wundern, erklärte er.

Strafverschärfende Aspekte überwiegen

Strafschärfend sei die sehr große Zahl von Taten. S. hätte außerdem sein „kriminelles Unwesen“ weiter getrieben, wenn nicht wenige mutige Menschen ihn gestoppt hätten. Außerdem sei Krebs eine besonders schlimme, unvorhersehbare Krankheit. Hidding schilderte den Fall einer Patientin, die von Dezember 2012 bis kurz vor der Verhaftung im November 2016 98 Infusionen aus der Apotheke von S. erhalten hat: Sie habe sich immer wieder zu ihrem Arzt begeben und sich Infusionen legen lassen. „Wir müssen vermuten, dass sehr oft keine Wirkstoffe in ihnen waren“, sagte der Richter. Sie verstarb in der Zwischenzeit – bald wäre sie 30 Jahre alt geworden.

„Rund 4000 Menschen oder ihre Angehörigen leben bis heute in Ungewissheit“, erklärte Hidding. All dies sei keine Folge einer Kurzschlusshandlung, sondern von S. über Jahre systematisch geplant – „alles mit dem Ziel, seine Habgier zu befriedigen“. Das Gericht erklärte sich davon überzeugt, dass S. nicht alleine unterdosiert hat. „Diese Mitarbeiter hat er offensichtlich mit Geld beruhigt“, sagte Hidding: Für Geldzahlungen in bar sei die Familie bekannt gewesen. So habe S. die Apotheke in eine „kriminelle Einrichtung verwandelt“.

Alles in allem überwiegen die strafschärfenden Gesichtspunkte deutlich, erklärte der Richter: Die Taten von S. seien so verwerflich, dass nur eine Strafe im oberen Bereich angemessen sei. Zuletzt richtete er sein Wort an den Apotheker, der während des Verfahrens von seinem Schweigerecht Gebrauch machte. Selbstverständlich sei dies sein gutes Recht, dass sich auch nicht negativ auf das Strafmaß auswirke. „Sie sind nach wie vor Apotheker“, betonte Hidding jedoch. Viele Patienten und Angehörige würden auf Antworten warten und wissen wollen, was wirklich passiert ist. „Sie wollen die Wahrheit hören – und zwar nicht vom Gericht, sondern von Ihnen“, sagte der Richter. Es wäre erfreulich, wenn S. über seinen Schatten springen würde – und so dem Vertrauen gerecht würde, dass er als Apotheker genossen habe.

Nebenklägerin Heike Benedetti, die monatliche Demonstration in Bottrop organisiert hatte, zeigte sich gegenüber DAZ.online zufrieden über den Ausgang des Verfahrens. Angesichts der möglichen Höchststrafe von 15 Jahren erklärte der Nebenklagevertreter Tobias Degener, das Strafmaß sei ein „Signal des Rechtsstaats“. Porwoll erklärte, die mit der Anzeige und der laufenden Verhandlung verbundene Anspannung fiele nun erstmal ab – angesichts der klaren Begründung des Gerichts zeigten er wie auch Marie K. sich zufrieden. „Für mich war wichtig, dass er ein Berufsverbot bekommt“, erklärte die PTA.

S., die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage können binnen einer Woche Revision beim Bundesgerichtshof einlegen. Die Staatsanwaltschaft will dies laut einer Sprecherin in den nächsten Tagen prüfen. Ein Nebenklagevertreter kündigte an, sehr wahrscheinlich zum Bundesgerichtshof zu ziehen, da er Morddelikte als gegeben ansieht. Viele Patienten, die von S. beliefert wurden, oder deren Angehörige wollen außerdem zivilrechtlich gegen den Apotheker vorgehen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde um 16:00 Uhr ergänzt



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Zwölf Jahre Haft für Peter S.

von Apotom am 09.07.2018 um 12:22 Uhr

Schluss mit dem europäischen Versandhandel !
Keine Freizügigkeit des Warenverkehrs für Arzneimittel !
Das Gericht ist zu belastenden wie entlastenden Ermittlungen verpflichtet.
Hat denn das Gericht Ermittlungen über Lieferanten aus Parkhäusern (z.B. Häuser, in denen Arzneimittel geparkt sind = Arzneimittelläger) außerhalb Deutschlands in Europa angestellt? Wie sicher ist der Bezug von Arzneimitteln aus Europa, kann ihr Weg auch bei gerichtlichen Ermittlungen nachvollzogen werden? Hierzu hätte ich in den Verhandlungen und in der Erläuterung zum Urteil gerne mehr gehört.

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