Formoline-Studie

Abnehmen: Polyglucosamin scheint zu unterstützen

Stuttgart - 13.08.2018, 07:00 Uhr

Maßgeblich fürs Abnehmen sind Ernährungsumstellung und körperliche Aktivität. Eine von Certmedica initiierte Studie hat nun gezeigt, dass Polyglucosamin die Gewichtsreduktion unterstützen kann. ( r / Foto: Jürgen Fälchle / stock.adobe.com)

Maßgeblich fürs Abnehmen sind Ernährungsumstellung und körperliche Aktivität. Eine von Certmedica initiierte Studie hat nun gezeigt, dass Polyglucosamin die Gewichtsreduktion unterstützen kann. ( r / Foto: Jürgen Fälchle / stock.adobe.com)


Proteinbasierte Formuladiäten oder fettbindende Polyglucosamin-Kapseln – jeder, der mit überflüssigen Pfunden kämpft, hat schon den einen oder anderen Diätplan getestet. Beliebt sind meist Methoden, die wenig anstrengend sind, also drastische Ernährungsumstellung und mehr Sport vermeiden. Der Erfolg ist dafür häufig überschaubar und wenig nachhaltig. Eine placebokontrollierte Studie mit Polyglucosamin hat nun gezeigt, dass Formoline L112 das Abnehmen zumindest marginal unterstützt, wenn Patienten sich parallel dazu mehr bewegen und anders ernähren. Doch der eigentliche Erfolg der Studie ist ein anderer.

Worunter kennen Apotheker Polyglucosamin? Der Handelsname, unter dem Polyglucosamin tatsächlich geläufiger sein dürfte, ist Formoline L112. Das Medizinprodukt stammt aus dem Hause Certmedica. Das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Frankfurt am Main hat sich auf Medizinprodukte spezialisiert, wobei Formoline L112 das bekannteste und wohl auch das Zugpferd des Unternehmens ist. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Polyglucosamin-haltigen Medizinprodukt waren bislang Mangelware. Eine gewisse Wirksamkeit scheint zwar plausibel (siehe Info-Box: Wie funktioniert Polyglucosamin?), mit wissenschaftlichen Methoden belegt war sie bislang nicht. Das wollte das Unternehmen ändern und hat eine placebokontrollierte Studie mit Formoline L112 initiiert sowie finanziert.

Formoline oder Placebo + Kalorienreduktion + Sport

100 Patienten wurden in die Untersuchung aufgenommen. Die Studie lief monozentrisch in Italien, placebokontrolliert, doppelblind randomisiert und dauerte zwölf Monate. Nach Angaben vom Studieninitiator Certemedica stand die Interventionsstudie im Einklang mit den Leitlinien der Deklaration von Helsinki und der Guten Klinischen Praxis.

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Je 50 Probanden kamen in die Verumgruppe und nahmen zweimal täglich zwei Tabletten Polyglucosamin, entsprechend 1600 mg, die anderen 50 Teilnehmer erhielten zweimal täglich wirkstofffreie Darreichungsformen. Die Einnahme erfolgte vor den Hauptmahlzeiten. Zusätzlich sollten die Probanden beider Gruppen ihre tägliche Kalorienzufuhr um 10 Prozent reduzieren und ihre körperliche Aktivität steigern. Gemeint war hiermit: eine Erhöhung der allgemeine körperlichen Alltagsaktivität wie Spaziergänge, Treppe steigen statt Rolltreppe nehmen, weiter entfernt parken, Erledigungen zu Fuß. Die Kalorienreduktion um 10 Prozent war obligat – eine extreme sportliche Betätigung wie schweißtreibende körperliche Aktivitäten (Fitnesscenter, Jogging, Krafttraining) forderte die Studie nicht.

Was sollte die Studie zeigen? Die Endpunkte!

Als Hauptziel und somit primären Endpunkt der Studie interessierte die Studienautoren, wie viele Teilnehmer es schaffen, innerhalb von zwölf Monaten ihr Körpergewicht um 10 Prozent zu reduzieren. An zweiter Stelle, definiert als sekundäre Endpunkte, standen die Änderung des Körpergewichts, die Änderung des BMI und die Verringerung des Taillenumfanges.

Einschlusskriterien für die Polyglucosamin-Studie

  • Alter zwischen 25 und 65 Jahren,
  • BMI zwischen 30 und 35,
  • Taillenumfang größer als 88 cm für Frauen, 102 cm für Männer,
  • Fähigkeit den Nahrungsmittelfragebogen „Food Intake Assessment“ auszufüllen.

Nicht teilnehmen durften Probanden

  • mit einer Allergie gegen Krustentiere,
  • in der Schwangerschaft und Stillzeit,
  • bei Alkohol- oder Drogenmissbrauch,
  • mit Tumorerkrankungen,
  • unter laufender Behandlung gegen Übergewicht,
  • mit Stoffwechsel- oder chronischen Malabsorptionsstörungen,
  • mit chronischen Darmerkrankungen,
  • nach einer Operation am Gastrointestinaltrakt,
  • unter Opiat-Therapie oder anderen Behandlungen, die die Darmmotilität hemmen,
  • unter medikamentöser Langzeittherapie, Ausnahme Antihypertensiva, wenn diese für die Dauer der Studie beibehalten wurde.

Nur drei Studienteilnehmer brachen ab

Probanden, die mehr als vier Wochen aussetzten, die zwei Untersuchungstermine nicht wahrnahmen oder schwanger wurden, berücksichtigte die Studie in der Endauswertung nicht. 97 Patienten beendeten die Untersuchung, 48 in der Polyglucosamin-Gruppe und 49 im mit Placebo therapierten Kollektiv. Als Grund für die drei Studienabbrüche nennen die Autoren den räumlichen Wegzug dieser Probanden aus der Region. Die Polyglucosamin-Einnahme haben die Versuchsteilnehmer offenbar gut vertragen. Hauptsächlich berichteten die Probanden über Obstipation.

Ernährungsintervention, körperliche Aktivität

Die Probanden waren angehalten, ihre tägliche Kalorienzufuhr um 10 Prozent zu reduzieren. Unterstützt wurden sie hierbei durch einen Ernährungsberater. Anhand eines Fragebogens erfassten die Probanden eine Woche lang ihre Ernährungsgewohnheiten, und zwar zu Beginn der Untersuchung und anschließend wiederholend alle drei Monate. Bewerber für die Studie, die nicht in der Lage waren, ihre Ernährung wahrheitsgetreu abzubilden, durften an der Studie nicht teilnehmen.
Die Teilnehmer entschieden meist selbst, welche ihrer bisherigen Nahrungsmittel sie ersetzen wollten, ein Ernährungsberater gab hier unterstützende Tipps zur Kalorienreduktion – so beispielsweise die Nudelmenge um die Hälfte zu reduzieren (100 g auf 50 g) und dafür die Gemüseportion von 20 g auf 60 g zu erhöhen. Dadurch gelingt es, die Kalorienzufuhr um 40 Prozent zu verringern, bei gleichbleibendem Volumen und Sättigungsgefühl. Bei Pizza erhielten die Probanden den einfachen Rat, den Rand wegzulassen. Dadurch kann bis zu einem Viertel der Kalorien gespart werden (durchschnittlich 660 kcal statt 880 kcal).

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Das hauptsächlich eigenverantwortliche Ändern der Nahrungsmittel hat einen Vorteil: Die Patienten bekommen keine strikten Diätplan aufoktroyiert, sondern prüfen, welche energetisch günstigeren Lebensmittel für sie auch langfristig eine Option sind.

Wie funktioniert Polyglucosamin?

Polyglucosamin oder Chitosan ist ein Polymer, und zwar aus D-Glucosamin und N-Acetylglucosamin. Gewonnen wird Polyglucosamin aus Chitin, dem Hauptbestandteil von Schalen aus Krebsen und Garnelen. Durch die im Molekül vorhandenen Aminogruppen (primäre Aminogruppe im Glucosamin, sekundäre im N-Acetyl-Glucosamin) ist Polyglucosamin protonierbar und im Magen-Darm-Trakt positiv geladen. Dadurch sollen negativ geladenen Fettsäuren der Nahrungsfette gebunden und so deren Resorption verhindert werden.

Körperliche Aktivität

Die Probanden  sollten ihre körperliche Aktivität steigern, und zwar um 9 MET-h pro Woche (MET = metabolisches Äquivalent). Ausgangssituation war bei den meisten Teilnehmern, dass sie sich wenig bewegten und vorwiegend sitzende Tätigkeiten ausübten mit weniger als 35 MET-h pro Tag. Was ist ein MET? Eine Stunde langsames Gehen entspricht 2 MET-h, eine Stunde schnelles Gehen 3,3 MET-h. Für die Steigerung von 9 MET-h pro Woche genügte also eine gute Stunde mehr langsames Gehen täglich. Alle drei Monate wurde für eine Woche das Bewegungsverhalten der Probanden überprüft.

Im gleichen Rhythmus, dreimonatlich, überprüften die Studienärzte Körpergewicht, Taillenumfang, Blutdruck, Blutzucker, Plasmalipide und C-reaktives Protein (CRP).

Beide Gruppen vertrugen die Intervention gut, am häufigsten wurde über Obstipation berichtet – gleichermaßen in beiden Gruppen – was sich durch eine erhöhe Trinkmenge beheben ließ.

50 Prozent mehr Gewichtsreduktion: Klingt viel – und absolut?

Der Studieninitiator, Certmedica, schreibt: „Die Gewichtsreduktion konnte durch Formoline L112 um 50 Prozent gesteigert werden". Das klingt erst einmal positiv und sehr vielversprechend. Betrachtet man die absoluten Zahlen, nivelliert sich der Effekt ein Stück weit: Die Polyglucosamin-Patienten nahmen innerhalb eines Jahres 4,1 kg mehr ab. Die adipösen Probanden im Polyglucosamin-Arm reduzierten ihr Gewicht innerhalb dieser Zeit um 12,1 kg. Ihr Ausgangsgewicht lag bei 95,3 kg +/- 6,69 kg. Die Patienten, die Placebo erhielten, nahmen ebenfalls ab, allein durch eine geänderte Ernährungsweise. Sie wogen nach zwölf Monaten durchschnittlich 8 kg weniger, bei einem ursprünglichen Startgewicht von 95 kg +/- 8,27 kg.

Der Body-Mass-Index (BMI) reduzierte sich sowohl in der Polyglucosamin- als auch in der Placebo-Gruppe signifikant, um 4,3 und um 2,8.

Weiterer sekundärer Endpunkt war der Taillenumfang der Probanden: Dieser verkleinerte sich, der stärkeren Abnahme wohl geschuldet, unter Polyglucosamin-Therapie stärker, und zwar um 13,3 cm verglichen mit Placebo und 10,2 cm.

Der primäre Endpunkt fragte nach der Anzahl der Patienten, denen es gelingt, nach einem Jahr 10 Prozent ihres Körpergewichtes zu verlieren. Diese Daten wertet Certmedica derzeit noch aus.

Der eigentliche Erfolg der Studie ...

... liegt wohl nicht hauptsächlich in dem alleinigen Mehr an Gewichtsreduktion von etwa vier Kilogramm. Die Untersuchung punktet vor allem bei der geringen Dropout-Rate. Nur drei Probanden brachen die Untersuchung ab (4 Prozent). Auch ohne wissenschaftliche Expertise ist bekannt, dass Diäten gern begonnen und gerne auch wieder abgebrochen werden. Häufig kasteien sich die Patienten zu Beginn stark und halten die strengen Interventionen dann  nicht durch. So scheint tatsächlich eine Ernährungsberater-gestützte, aber eigene Auswahl an Lebensmitteln ein probater Weg. Andere Studien weisen hier eine deutlich schlechtere Adhärenz auf. Eine Ein-Jahres-Intervention verglich beispielsweise die Diäten Atkins, Ornis, Weight Watchers und Zone. Die Abbruchraten lagen über 35 Prozent. 

Und die Kosten?

Somit kommt auch hier der Haupteffekt einer Gewichtsreduktion nicht durch eine „Pillen-Intervention", sondern durch Ernährungsumstellung und mehr Sport zustande. Polyglucosamin kann anscheinend nach den vorliegenden Daten diesen Prozess unterstützen. Vor allem wichtig könnte hierbei auch ein psychologischer Nutzen einer, wenn auch überschaubar, stärkeren Gewichtsabnahme sein. Ein Weniger auf der Waage motiviert und spornt zum Weitermachen an.

Die Abnehmwilligen nahmen zweimal täglich zwei Tabletten Polyglucosamin ein, sprich vier Tabletten Formoline L112. Hochgerechnet auf ein Jahr bedeutet das ein Tablettenbedarf von 1460 Tabletten. Die Therapie ist nicht ganz günstig, die größte Packung Formoline L112 liegt mit 160 Stück bei einem Listenpreis 88,90 Euro. Hochgerechnet auf das Jahr kostet die Therapie mit dem Polyglucosamin 800 Euro.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Interessant ist, was der Ernährungsberater...

von Andreas P. Schenkel am 13.08.2018 um 21:56 Uhr

... den Probanden geraten hat: Neben mehr Gemüse zu verzehren war das vor allem eine erhebliche Reduktion der Kohlenhydrataufnahme, wenn man genau hinschaut. Das erscheint mir im Grunde als ein Confounder, womöglich stellt dies den Haupteffekt der Messung dar. Was dann allerdings die tablettlich herbeigeführte Reduktion der Fettaufnahme etwas fragwürdig erscheinen ließe ...

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