Wirtschaftskrise

Venezuela: 85 Prozent aller Arzneimittel fehlen

Berlin - 20.08.2018, 09:05 Uhr

Vor den Apotheken in Venezuela bilden sich seit Jahren oft Warteschlangen, weil Arzneimittel zur Mangelware geworden sind. ( r / Foto: Imago)

Vor den Apotheken in Venezuela bilden sich seit Jahren oft Warteschlangen, weil Arzneimittel zur Mangelware geworden sind. ( r / Foto: Imago)


Venezuelas Wirtschaftskrise nimmt immer größere und bedrohlichere Ausmaße an. Hyperinflation, Korruption, Misswirtschaft, Mangel stellen die Eckpunkte dar. Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sind knapp – ebenso Medikamente. Apotheken und Krankenhäuser müssen einen Mangel verwalten, der im zunehmenden Maße die öffentliche Gesundheit bedroht.

Venezuela blickt Ende 2018 auf 20 Jahre „bolivarische Revolution“ zurück. Am 6. Dezember 1998 wurde der ehemalige Offizier Hugo Chávez Frías zum 62. Staatspräsidenten Venezuelas gewählt. Während seiner Amtszeit – und der seines Nachfolgers Nicolás Maduro Moros – rutschte das südamerikanische Land in eine schwere Wirtschafts- und humanitäre Krise. Hyperinflation, Hunger, ein marodes Gesundheitssystem, in dem es an dem Grundlegendsten fehlt, steigende Kriminalität, eine politisch aufgeheizte Situation, Repressionen des Staates gegen Oppositionelle und Tausende auf der Flucht – das ist Alltag in Venezuela 20 Jahre nach Beginn der Revolution. 

Medikamentenmangel – 85 Prozent fehlen

Neben dem Mangel an Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs wie Toilettenpapier gibt es einen eklatanten Mangel an Medikamenten und Medizinprodukten. Der Pharmaverband Venezuelas (Federación Farmacéutica Venezolana, FEFARVEN) räumt einen Mangel von ungefähr 85 Prozent der benötigten Arzneimittel ein. Betroffen sei das gesamte Spektrum von einfachen entzündungshemmenden Medikamenten und Antibiotika bis hin zu Chemotherapeutika. Nach Angaben des venezolanischen Ärzteverbandes (Federación Médica Venezolana, FMV) verfügen die Krankenhäuser sogar nur noch über 3 Prozent der benötigten Medikamente und Medizinprodukte. So fehlten dort u.a. Verbandsstoffe, Anästhetika, Blutpräparate und Säuglingsnahrung.

Auch der Präsident der Pharmaindustrie-Kammer (Cámera de la Industria Farmacéutica, Cifar), Tito López, bestätigte im Juni diesen Jahres gegenüber Medien das Fehlen von ungefähr 85 Prozent aller Medikamente. Antikonvulsiva und Antikontrazeptiva würde es gar nicht mehr geben. Der pharmazeutische Sektor Venezuelas stecke in der schlimmsten Krise seiner Geschichte. Von 200 Firmen im Jahre 1997 würden heutzutage nur noch 60 produzieren. Die Produktion läge allerdings aufgrund von Rohstoff- und Devisenmangel bei nur 30 bis 40 Prozent. Der Pharmasektor sei wie auch andere Bereiche der Wirtschaft zum überwiegenden Teil auf Importe angewiesen. Aufgrund des Devisenmangels seien diese Importe allerdings nicht im erforderlichen Maße möglich. 

Den Mangel überleben – notfalls mit abgelaufenen „Pillen“

In ZEIT Campus berichten junge Venezolaner über ihr Leben in der Krise. Der Titel „Was ist mein Leben hier eigentlich wert?“ bringt die Zweifel gegenüber der Zukunft auf den Punkt. Nicht alle Interviewten trauen sich angesichts der unsicheren politischen Situation  unter ihrem eigenen Namen Stellung zu nehmen. Auch Camila, 25, Grafikdesignerin aus Caracas heißt eigentlich anders. Sie berichtet von dem Mangel an Medikamenten, die sie dringend benötigt: „Ich bin Asthmatikerin und habe eine Insulinresistenz. Meinen Inhalator musste mir ein Freund aus dem Ausland mitbringen und die Pillen, die ich wegen meiner Insulinresistenz schlucken muss, habe ich vor Jahren gekauft. Inzwischen nehme ich nur noch abgelaufene Pillen – solange mein Vorrat reicht.“



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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