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Inkompetent, Unterbesetzt, Unorganisiert
Lunapharm-Taskforce attestiert Ministerium und Arzneimittelbehörde Versagen
Die sogenannte Lunapharm-Taskforce erhebt in ihrem Bericht schwere Vorwürfe gegen das Brandenburger
Gesundheitsministerium und die Arzneimittelaufsicht des Landes. Laut
Expertengruppe sollen die Behörden schon 2016 Hinweise auf Arzneimittelfälschungen gehabt haben, sie griffen aber erst später
ein. Außerdem ist die Rede von Inkompetenz bei den Behördenmitarbeitern. Auch das Bundesgesundheitsministerium soll schon 2017 eingeweiht worden sein. Das Ausmaß der
Gesundheitsgefahr lässt sich nachträglich nicht mehr ermitteln. Die Forderungen der Experten: Die Importquote abschaffen und den Parallelvertrieb verbieten.
Anfang August hatte die Taskforce im sogenannten Lunapharm-Skandal mit der Aufklärung begonnen. Geleitet wurde sie vom Pharmazeuten Dr. Ulrich Hagemann, früherer Abteilungsleiter im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Außerdem gehörten dazu: Die Vorsitzenden der Arzneimittelkommissionen der Ärzte- und Apothekerschaft, Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig und Prof. Dr. Martin Schulz, Almuth Hartwig-Tiedt, Staatssekretärin im Brandenburger Gesundheitsministerium (MASGF), Liane Klocek, Präsidentin des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg (LASV), Susanne Köhler, Leiterin des Justiziariats des MASGF, und Ernst-Friedrich Pernack, Leiter des Referats Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, Produktsicherheit im MASGF. Neben der Frage, ob es bei den Kontrollen der Brandenburger Aufsichtsbehörde Defizite gab, wollten die Experten Empfehlungen zum künftigen Patientenschutz erarbeiten und der Frage nachgehen, ob es einen gesetzlichen Reformbedarf gibt.
Was ist 2016 und 2017 passiert?
Seit Wochen stand der Vorwurf im Raum, dass das Gesundheitsministerium und die Behörden schon 2016 Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Lunapharm hatten, dann aber wenig unternahmen. In ihrem Bericht zeichnet die Taskforce die Geschehnisse der vergangenen Jahre nach und kommt zu dem Schluss, dass die Behörden viel früher hätten eingreifen müssen. Erstmals wurde die Aufsichtsbehörde demnach im Dezember 2016 von der polnischen Gesundheitsbehörde kontaktiert, damals ging es um eine „ungewöhnlich große Anzahl Packungen eines importierten und von Lunapharm gelieferten Arzneimittels (Neulasta®)“. Daraufhin inspizierte die Aufsichtsbehörde das in Mahlow ansässige Unternehmen sogar, im Anschluss passierte jedoch nicht viel. Die Experten kommen daher zu dem Schluss: „Obwohl der Aufsichtsbehörde LAVG tatsächlich eine Reihe von Informationen zum Sachverhalt der Arzneimittelfälschung nicht vorlag, hätten zu diesem Zeitpunkt behördliche Maßnahmen ergriffen werden müssen.“
Noch deutlicher werden die Defizite in der Behördenarbeit mit Blick auf das Jahr 2017: Denn im Januar 2017 ging bei der Staatsanwaltschaft Potsdam ein Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft in Athen ein. Die Brandenburger Behörde erhielt im März 2017 Kenntnis davon. In dem Ersuchen ging es um die Bitte, die Lunapharm-Geschäftsräume zu durchsuchen und Unterlagen zum Arzneimitteleinkauf aus Griechenland (Jahre 2015 und 2016) sicherzustellen. Der Vorwurf: Medikamente sollen „in großem Umfang aus staatlichen Krankenhäusern in Griechenland entwendet und an Pharmagroßhandelsunternehmen in anderen EU-Ländern, unter anderem auch an Lunapharm verkauft worden sein“.
Februar 2017: BMG wird eingeweiht
In der von der Taskforce aufgezeichneten Zeitleiste folgen im Frühjahr zahlreiche Schriftwechsel zwischen der griechischen Behörde, der Brandenburger Aufsicht und Lunapharm. Teilweise war die Kommunikation wegen der Sprachbarriere erschwert, teilweise wies Lunapharm Vorwürfe schlicht zurück. Im April 2017 stand dann fest, dass Griechenlands Apotheken überhaupt keinen Großhandel betreiben dürfen und der Handel zwischen der griechischen Apotheke und Lunapharm allein deswegen schon illegal war. In diesem Zusammenhang soll dann auch erstmals das Bundesgesundheitsministerium eingeweiht worden sein: Der Zeitleiste zufolge soll das Ministerium vom Brandenburger Gesundheitsministerium und der Arzneimittelaufsicht gebeten worden sein, die griechischen Behörden zu fragen, ob die betroffene griechische Apotheke eine Großhandelserlaubnis habe.
Mai 2017: BfArM und EMA schalten sich ein
Ende Mai 2017 sollen sich dann auch das BfArM und die EU-Arzneimittelbehörde EMA eingeschaltet haben: Die EMA forderte die deutschen Behörden auf, Lunapharm unverzüglich den Handel mit der griechischen Apotheke zu verbieten. Anfang Juni vergangenen Jahres sprach die Brandenburger Behörde mehrere Bescheide aus, die es Lunapharm verboten, weiterhin aus Griechenland Arzneimittel zu beziehen. Lunapharm legte Widerspruch ein.
Entzug der Betriebserlaubnis stand nie im Raum
Die Taskforce hält fest, dass die Behörden selbst im Februar 2017 zu der Einschätzung gekommen seien, dass Lunapharm gefälschte Arzneimittel in den Verkehr bringt. Und weiter: Daraus ergab sich die Notwendigkeit, zu diesem Zeitpunkt erforderliche Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Patienten einzuleiten. Die Taskforce konnte nicht schlüssig klären, warum dies nicht geschah.“ Bis zur Ausstrahlung des ARD-Kontraste-Beitrages im Juli dieses Jahres passierte im Frühjahr 2018 dann nicht mehr viel. Ein kompletter Lizenzentzug stand vor August 2018 nie im Raum.
Mit Blick auf diese Geschehnisse kommt die Taskforce zu einer ersten wichtigen Empfehlung, einer Änderung im Arzneimittelgesetz. Denn die Experten stören sich daran, dass ein juristischer Widerspruch gegen einen Lizenzentzug dazu führt, dass der Betrieb dennoch weiterlaufen kann. Wörtlich heißt es: „Die Tatsache, dass in einer solchen speziellen Konstellation ein Widerspruch oder die Anfechtungsklage gegen den Sofortvollzug von behördlichen Anordnungen nach gegenwärtiger Rechtslage eine aufschiebende Wirkung haben, stellt im Hinblick auf die Arzneimittelrisikoabwehr einen gravierenden Mangel im Arzneimittelgesetz dar“.
Taskforce: Ministerium und Behörde unterbesetzt und schlecht organisiert
An einer anderen Stelle werfen die Experten den Brandenburger Beamten nicht nur eine schlechte Organisation vor, sondern auch Inkompetenz. Man komme zu der Schlussfolgerung, „dass es bei den zuständigen Verantwortlichen nicht nur an einem Mangel an Detailkenntnissen, Erfahrungen in der Einschätzung und zum Umgang mit Risiken sowie der hinreichend frühen und genauen Information der Vorgesetzten fehlte, sondern insbesondere an der Verinnerlichung des obersten Gebot der Risikoabwehr und damit des Patientenschutzes.“ Denn mit dem Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft hätte klar sein müssen, dass es „viele weitere Anhaltspunkte“ für ein illegales Handeln gegeben hatte.
Ein weiterer Vorwurf der Experten: Die Brandenburger Aufsichtsbehörde war chronisch unterbesetzt. Seit 2009 sei eine ganze Stelle unbesetzt gewesen. Und: „Seit September 2015 war eine zielführende Aufsichtsführung auf Grund des Mangels an fachlich ausreichend qualifizierten und in der Arzneimittelüberwachung erfahrenen Personals im zuständigen Referat nicht gegeben.“ Ausgangspunkt dafür seien die Einsparvorgaben für den Bereich Gesundheit von der Landesregierung aus dem Jahr 2016.
Schulz: „Patientenschutz nicht verinnerlicht“
Auch die Fachexperten Prof. Martin Schulz und Prof. Wolf-Dieter Ludwig finden in ihren vorläufigen gutachterlichen Stellungnahmen klare Worte. So urteilt Schulz, dass die LAVG-Mitarbeiter den Patientenschutz als oberstes Gebot nicht ausreichend verinnerlicht haben. Nach Einschätzung des Apothekers hätten die Behörden MASGF und LAVG spätestens ab dem 7. März 2017 einen Rückruf einleiten, das BfArM informieren sowie Lunapharm unangekündigt inspizieren und dessen Betriebserlaubnis ruhen lassen müssen. Die Maßnahmen, die Ende Juli getroffen wurden, kamen folglich ein Jahr und viereinhalb Monate zu spät.
Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen
Die Beurteilung der Produktqualität sei jedoch schwierig, da die tatsächlichen Transportbedingungen unklar seien. Ebenso das Ausmaß, wie weit und wie lange diese von den vorgegebenen Lagerbedingungen abwichen. Doch diese Informationen seien für die Bewertung entscheidend. Werden Arzneimittel, die zwischen 2 und 8 Grad gelagert werden müssen, kurzfristig bis zu 25 Grad aufbewahrt, sei nicht mit größeren Qualitätseinbußen zu rechnen. Bei längerem Aufbewahren oberhalb 25 Grad könne es jedoch zu Wirkstoffverlusten bis zu 30 Prozent kommen. Doch auch das Einfrieren von proteinbasierten Arzneimitteln könne zu erheblichen Wirkverlusten führen.
Eine Gesundheitsgefährdung könne derzeit weder bestätigt noch ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse der Beprobungen der im Juli bei Lunapharm sichergestellten Rückstellmuster liegen immer noch nicht vor. Diese sollten für eine „vorläufig abschließende“ gutachterliche Stellungnahme abgewartet werden, schreibt Schulz. Der Pharmazeut weist noch auf einen anderen Aspekt hin: Und zwar könnten Wirksamkeitsverluste von Krebsarzneimitteln auch klinisch auffallen und zwar dadurch, dass Nebenwirkungen geringer ausgeprägt seien oder Veränderungen im Blutbild fehlen würden.
Weitere Identifikation der betroffenen Patienten wichtig
Diesen Aspekt greift auch Ludwig in seiner Stellungnahme auf, denn das verminderte Auftreten von unerwünschten Zytostatika-Nebenwirkungen könne bei der Identifikation der betroffenen Patienten helfen. Für den Vorsitzenden der AkdÄ ist es von elementarer Bedeutung, die Patienten zu identifizieren, wie es in Berlin geschehen sei. Die Informationen sollten dann umgehend den behandelnden Ärzten zugehen. Aus medizinethischer Sicht seien die Behördenversäumnisse hochkritisch. So fasst der Onkologe zusammen: „Die Vorgänge im Zusammenhang mit den von Lunapharm aus Griechenland importierten Arzneimitteln verstoßen in vielerlei Hinsicht gegen fundamentale ethische Prinzipien in der Medizin, wie Wohltun, Nichtschaden, Gerechtigkeit und Autonomie.“
Welche Konsequenzen fordern die Experten?
Als Konsequenz auf die bislang bekannten Ereignisse im Lunapharm-Skandal fordern die Experten unter anderem die Abschaffung der Importquote. Die Begründung: „In den vergangenen Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass Importe zunehmend als Zugangsweg für qualitativ minderwertige, gestohlene oder gefälschte Arzneimittel genutzt werden. Die Erfüllung der Importquote (…) verursacht nicht nur erheblichen bürokratischen Aufwand, sondern gefährdet vor allem die Patientensicherheit. Chargenrückrufe sind bei Importarzneimitteln keine Einzelfälle. Lange, grenzüberschreitende und intransparente Lieferketten erhöhen das Risiko für das Einschleusen von qualitativ minderwertigen, gestohlenen oder gefälschten Medikamenten erheblich.“ Ebenso fordern die Experten ein komplettes Verbot des Parallelvertriebs von Arzneimitteln in der EU sowie der Vermittler- und Mitvertreiber-Tätigkeit.
Was die Arbeit im Ministerium und in der Behörde betrifft, sollte es bei Personalreduzierungen in Behörden und Ministerien künftig Risikoeinschätzungen geben. Empfohlen werden auch eine „vorausschauende Personalentwicklung“ und eine „adäquate Besetzung“. In der Aufsichtsbehörde sei eine Aufstockung des Personals „unabdingbar“. Im Brandenburger Ministerium müsse es zudem ein eigenes Referat für die Arzneimittelaufsicht geben, so die Experten. Auch die „interne Aktenführung“ müsse unbedingt verbessert werden. Und: Die Behördenmitarbeiter müssten besser geschult und fortgebildet werden.
9 Kommentare
Unsachlich zum Patientennachteil
von Dr, Andreas van de Valk am 29.08.2018 um 17:44 Uhr
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Sind die nicht immer alle unterbesetzt - außer bei Kleinkontrollen ?
von Ratatosk am 29.08.2018 um 10:03 Uhr
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AW: Sind die nicht immer alle unterbesetzt
von Heiko Barz am 29.08.2018 um 10:37 Uhr
wenns billig ist , ist es auch für die GKV gut
von Ratatosk am 29.08.2018 um 9:33 Uhr
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wenns billig ist , ist es auch für die GKV gut
von Ratatosk am 29.08.2018 um 9:30 Uhr
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Arzneimittel made in Germany???
von Birgit Möllenkamp am 28.08.2018 um 21:03 Uhr
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Lunapharm
von Bernd Küsgens am 28.08.2018 um 18:32 Uhr
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AW: Lunapharm
von Birgit Möllenkamp am 28.08.2018 um 21:07 Uhr
Bescheinigung der Unfähigkeit
von Conny am 28.08.2018 um 16:32 Uhr
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