Herrenberg/Baden-Württemberg

Vor der Apotheke: Heilpflanzengarten statt einfach nur ein Grünstreifen

Stuttgart - 30.08.2018, 09:05 Uhr


Auch in diesem Rekord-Sommer gedeiht der pharmazeutische Garten vor einer schwäbischen Apotheke. Zu verdanken ist das dem langjährigen Einsatz eines Apothekers im Ruhestand und Schülern, die sich im Rahmen einer Ökologie-AG um die Pflege des „hortulus pharmaceuticus“ in Herrenberg kümmern.

Ein Loch anstelle des Trottoirs. Absperrungen. Baggerlärm. Als Dr. Roland Feil im Sommer 2001 seine Apotheke aufsperren will, ist der gebürtige Stuttgarter perplex. „Die Information, dass die Stadt die Straße neu gestalten will, hatte mich zuvor nicht erreicht“, erzählt der heutige Apotheker im Ruhestand. 

Damals blieb ihm nichts anderes übrig, als die Beeinträchtigungen durch die Baumaßnahme hinzunehmen: Dreck, Dauerlärm und Kunden, die ein halbes Jahr lang nur über Bretter zur Eingangstür geleitet werden konnten. „Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent waren die Folge“, erinnert sich der 80-Jährige zurück.

Pharmazeutischer Schaugarten statt Grünstreifen

Im Nachhinein erweist sich das damalige Ärgernis jedoch als Glücksfall. Denn heute ist der ehemalige Bauabschnitt vor der Haug-Apotheke Standort für eine Vielzahl von duftenden Arznei- und Gewürzpflanzen.

Auf einer 12 mal 1,5 Meter großen Fläche blühen unter anderem Fingerhut, wilder Thymian, Beinwell und ein übermannshoher Liebstöckel, auch als Maggi-Kraut bekannt. „So schön und groß wächst der nicht einmal bei mir zuhause“, freut sich Feil, der den „hortulus pharmaceuticus“ ins Leben gerufen hat und ihn nach wie vor pflegt.

Dabei war der Anfang kein leichter. Kurz nach Beginn der Bauarbeiten erfuhr Feil auf Nachfrage bei der Stadt, was vor seiner Offizin geplant ist: Ein mit Robinien bepflanzter Grünstreifen. „Davon war ich erstmal wenig begeistert“ erinnert er sich, „Parkplätze oder eine Haltebucht hätte ich sinnvoller gefunden.“ Als die Verantwortlichen nicht einlenkten, kam der Pharmazeut auf eine andere Idee: Ein Heilpflanzen-Garten.

Unter Vorbehalt erteilte die Stadt dem Apotheker die Erlaubnis für einen pharmazeutischen Garten. Bedingung: Auf eigene Kosten und die Robinie muss bleiben, „auch wenn sie keinen pharmazeutischen Bezug hat und den darunter wachsenden Heilpflanzen eher schadet“, findet Feil auch heute noch.

Bärlauch, Ginkgo und Goethe

Ein Gärtner half bei der Auswahl von 40 Heilpflanzen, die Feil an der Nordseite der Apotheke pflanzte. Am heimischen PC erstellte er Infoschilder, die er bis heute aktualisiert und bei Verschleiß austauscht. Darauf zu lesen sind deutsche und lateinische Bezeichnung sowie Inhaltsstoffe und Heilwirkung.

Ob Unkraut jäten, Pflanzen ersetzen, wässern – die Gartenarbeit übernahm der Heilberufler selbst während der Mittagspause oder nach Feierabend. Manchmal hätten auch Kunden Pflanzen vorbeigebracht, z.B. einen Bärlauch. Der steht jetzt neben einem Maiglöckchen, um auf die Verwechslungsgefahr beider Pflanzen hinzuweisen. Und sogar Goethe-Verse „wachsen“ hier auf der Rinde eines Ginkgo-Baumes. „Ginkgo Biloba“ – ein Gedicht über die Freundschaft, das Goethe einer späten Geliebten widmete. 

„Bei Kunden kommt der Apothekengarten nach wie vor gut an“, weiß Feil, der seit 2005 in Rente ist und heute selbst zur Kundschaft der Haug-Apotheke zählt. Und auch wenn die Hitze der vergangenen Monate den Heilpflanzen sichtlich zugesetzt hat, immer wieder animiert der besondere Grünstreifen Passanten zum Innehalten und interessierten Schauen. 

Ökologie-AG übernimmt Pflege

Im Februar 2016 ergab sich der Kontakt zu einer ortsansässigenLehrerin. „Frau Hahl war auf der Suche nach einem öffentlichen Projekt für ihre Ökologie-AG und wurde vom Technischen Dienst der Stadtverwaltung an mich vermittelt“, erklärt Feil. Seither kümmern sich Fünft-und Sechstklässler des Schickhardt-Gymnasiums zwei bis drei Mal im Jahr um Pflege und Erhalt des Heilpflanzengartens.

Vor allem im Frühjahr sind die Schüler im Einsatz. Denn dann geht es darum, alte Pflanzen zu ersetzen und den Boden mit Sand und Holzschnitzeln vorzubereiten. Auch Unkraut muss immer wieder entfernt werden. Im Herbst wird dann alles, was vertrocknet ist, heruntergeschnitten. „Das ist schon eine Erleichterung für mich“ freut sich Feil über das Engagement der AG und den Lehrern.

Er selbst kommt nach wie vor regelmäßig vorbei, hauptsächlich zum Wässern. „Wobei das auch mal eine Mitarbeiterin der Apotheke nach Feierabend übernimmt, wenn ich sie frage.“ Solange es körperlich möglich sei, werde er weiter vor Ort mit anpacken, so der schwäbische Apotheker.



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