Metaanalyse

Multivitaminpräparate: Kein Schutz für Herz und Hirn

Berlin - 04.09.2018, 17:45 Uhr

Lieber Vitamine in Form von Obst und Gemüse essen, finden die Fachgesellschaften DGN und DSG. ( r / Foto: Imago)

Lieber Vitamine in Form von Obst und Gemüse essen, finden die Fachgesellschaften DGN und DSG. ( r / Foto: Imago)


Lieber einen Apfel essen als Vitaminpillen schlucken, predigen Ernährungsexperten seit Jahrzehnten. Eine aktuelle Metaanalyse gibt ihnen Recht: Die Auswertung der Daten von mehr als 2 Millionen Menschen zeigte, dass Multivitaminpräparate die kardiovaskuläre Sterblichkeit nicht senken können. Apothekern kommt eine verantwortungsvolle Aufgabe zu, falsche Patientenerwartungen zu relativieren und bei tatsächlichen Defiziten zielführende Lösungen anzubieten.

Die Arbeiten der US-Forschergruppe um den Kardiologen Dr. Joonseok Kim dürfte die Supplementindustrie wenig erfreuen: Laut der im Fachjournal „Circulation“ publizierten Metaanalyse bewahren Multivitaminpräprate offenbar nicht davor, verfrüht an einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall zu sterben.

Kein Einfluss auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit

Dies ergab die Auswertung von 18 Einzelstudien, die zwischen 1970 und 2016 publiziert wurden, mit insgesamt mehr als 2 Millionen Teilnehmern. Auch das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, blieb durch die Einnahme der Nahrungsergänzungsmittel unbeeinflusst. Lediglich die Inzidenz für eine koronare Herzerkrankung konnte durch die Vitamin- und Mineralstoffpräparate leicht gesenkt werden.

Die hohe Personenzahl und die langen Beobachtungszeiträume zählen zu den Stärken der Studie. Allerdings waren die Ausgangssituationen der Teilnehmer sowie die Zusammensetzung der Multivitaminpräparate heterogen. Diese beiden Faktoren erschweren – wie bei den meisten Präventions- und Ernährungsstudien – die Beurteilung von Ursache und Wirkung. 

Fazit der Fachgesellschaften: Geldverschwendung

Für die neurologischen Fachgesellschaften ist die Schlussfolgerung klar: „Mit Multivitamin-Tabletten werden jährlich Milliardenumsätze gemacht, die Metaanalyse zeigt jedoch klar, dass diese Pillen weder Schlaganfälle verhindern noch die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken“, fasst der 1. Vorsitzende der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Professor Dr. Armin Grau, zusammen.

„Wenn man schon Geld ausgeben will, dann ist es ist viel lohnenswerter, in einen Sportverein oder ein Fitnessstudio zu investieren als in Vitamine und Mineralstoffe“, rät Professor Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und ehemaliger Chefarzt der Klinik für Neurologie am Alfried Krupp Krankenhaus in Essen.

Gießkannenprinzip selten hilfreich

Nach Angaben des Bundesverbands der Verbraucherzentralen nimmt jeder vierte Bundesbürger Multivitaminpräparate ein. Im Jahr 2015 wurden damit 1,1 Milliarden Euro umgesetzt. Laut der aktuellen Studie offenbar ohne Nutzen für Herz und Hirn. Doch möglicherweise war die zugrunde liegende Fragestellung zu unspezifisch. Und hier kommt dem Apotheker eine entscheidende Aufgabe zu, die Erwartungshaltungen zu relativieren und bei tatsächlichen Mangelsituationen spezifische Lösungen anzubieten.

Denn um tatsächlich vorhandene Nährstoffdefizite auszugleichen ist die „one-size-fits-all“-Lösung in Form eines Multivitaminpräparates selten geeignet. Der fehlende Mikronährstoff ist zu gering dosiert. Von den Einzelstoffen, die nicht benötigt werden, wird möglicherweise zu viel aufgenommen.

Außerdem gilt es für Pharmazeuten abzuwägen, ob der Kunde tatsächlich ein Mikronährstoffdefizit hat oder ob dieses durch die Werbung getriggert ist. Denn auch mit mutmaßlichen Mikronährstoffdefiziten lässt sich Umsatz generieren.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Lieber einen Apfel essen als Vitaminpillen schlucken.....

von Jürgen Barth am 05.09.2018 um 9:03 Uhr

Ein Klassiker im Informationswirrwar. Dass ein besonders hoher Konsum von Gemüse/Obst/Äpfel das Risiko i. Vgl. zu Wenigkonsumenten senkt, zeigen diese Daten auch nicht!!

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