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ARD-Sendung
TV-Dokumentation über Patienten des Bottroper Zyto-Apothekers
Vor etwa zwei Jahren wurde der Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. verhaftet. Auch nachdem er wegen Unterdosierungen und Betrugs in erster Instanz zu 12 Jahren Haft verurteilt worden ist, geht der Fall weiter: Betroffene wollen für ihre Rechte kämpfen. Ein am heutigen Montag ausgestrahlter ARD-Dokumentarfilm hat sie begleitet – und auch bei ABDA und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angefragt.
„Was ist das für ein Mensch“, fragt die Bottroperin Heike Benedetti. Sie hat – wie Tausende andere – Zytostatika aus der früheren „Alten Apotheke“ in Bottrop bekommen, die von dem Apotheker Peter S. betrieben wurde. Dieser wurde Ende November 2016 festgenommen – und im Juli wegen Unterdosierung von rund 14.500 Krebsmitteln sowie wegen Betrugs in erster Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Doch mit dem Urteil ist der Fall noch längst nicht zu Ende: Die Strafsache soll demnächst den Bundesgerichtshof beschäftigen, Zivilprozesse schließen sich an. Und die Krebspatienten, die aus der Apotheke beliefert wurden, wird er noch viele Jahre begleiten, wie der am heutigen Montag um 23:30 Uhr in der ARD ausgestrahlter Film „Betrogen und verraten – Die Krebspatientinnen des Bottroper Apothekers“ zeigt.
„Unsereins setzt den ganzen Glauben in diese Therapien – und er spielt den lieben Gott“, sagt Benedetti, die in Bottrop monatliche Demonstrationen organisiert hat. „Aus Geldgier, ich weiß es nicht – Geltungsdrang mag wohl auch mit dabei gewesen sein“, sagt sie. Für sie ist klar, dass ein von den Verteidigern vorgebrachtes hirnorganisches Psychosyndrom keine Entschuldigung für das Verhalten sein kann. „Er wusste was er tat“, sagt sie. Benedetti hatte sich gegenüber DAZ.online über die Aufarbeitung des Falls sehr enttäuscht gezeigt, zum Jahrestag der Razzia und Festnahme will sie vor dem Landtag in Düsseldorf demonstrieren.
Nicht nur Belastendes über Apotheker Peter S.
In der Doku fallen auch gute Worte über Peter S. „Ich habe ihn eigentlich immer als freundlichen, netten Menschen wahrgenommen, der ein offenes Ohr hatte und dem die Patienten sehr wichtig sind“ sagt die Nebenklägerin Christiane Piontek. „So kam er wirklich rüber.“ Sie kann nicht verstehen, dass er gleichzeitig in tausenden Fällen Zytostatika erheblich unterdosiert hat. „Dass letztendlich dieser Mensch solche zwei Gesichter haben soll, macht mich sprachlos“, sagt sie, die sichtbar unter der Ungewissheit leidet. „Meine Diagnose lautet Angst mit depressiven Verstimmungen.“
Unterdosierte Zytostatika
Bottroper Zyto-Skandal
In der Doku kommt auch der Bottroper Pastoralreferent Markus Gehling zu Wort, der selber früher auch Krebs hatte. Der Skandal habe unglaublich Vertrauen zerstört, sagt er – die Patienten würden sich nun große Sorgen machen, ob die Arzneimittel wirklich helfen, die sie bekommen. „Das würde ich dem Herrn auch wirklich zurechnen – dass er Vertrauen der Menschen in die Medizin auch wirklich kaputtgemacht hat, auf Dauer“, sagt Gehling. Ein Gefühl der Unsicherheit sei geblieben.
Ein weiterer früherer Krebspatient – Jürgen Heckmann – bietet in Bottrop nun mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband eine Anlaufstelle, gleichzeitig hat er eine Bundestags-Petition für strengere Zyto-Kontrollen auf den Weg gebracht. Er habe mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass Krankenkassen Apotheken die Kosten für teure Zytostatika erstatten, „ohne dass sie in welcher Form auch immer irgendeinen Nachweis verlangt haben“, sagt er – und meint offenbar Belege, dass Apotheker die nötigen Wirkstoffmengen auch tatsächlich eingekauft haben. Wenn er als Versicherter auch nur 25 oder 30 Euro von der Krankenkasse erstattet haben möchte, müsse er einen Beleg vorlegen, dass er ihn auch bezahlt habe, sagt Heckmann.
Seiner Ansicht nach sind die gesetzlichen Regelungen mangelhaft: So seien die Abläufe und zeitlichen Abstände von Apotheken-Kontrollen nicht genau vorgeschrieben. „Das Gesetz legt die Verantwortung allein in die Hände der Gesundheitsbehörden der Länder“, kritisiert Heckmann.
BMG: Vorfall nicht auf alle Zyto-Apotheker beziehen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte zu einer Anfrage nicht Stellung nehmen, heißt es in der Doku – doch prüfe sein Ministerium nun Gesetzesänderungen. Auf Nachfrage von DAZ.online führt dieses aus, dass das Arzneimittelgesetz eine gesetzliche Grundlage darstelle, „die weitreichende Kontrollbefugnisse vorsieht und die Durchsetzung der erforderlichen Maßnahmen gewährleistet“. Die gesetzlichen Vorschriften verlangten ein „systematisches und risikobasiertes Vorgehen“, gleichzeitig würden sie es den Ländern ermöglichen, „flexibel auf mögliche Risiken zu reagieren“. Nach dem Urteil gegen Peter S. sei von einem gravierenden kriminellen Fehlverhalten eines einzelnen Apothekers auszugehen. „Ein Systemversagen kann daraus nicht abgeleitet werden“, erklärt das Ministerium.
Und weiter: „Die Bottroper Geschehnisse sollten nicht verallgemeinert und die Apotheken, die patientenindividuelle Zytostatika-Zubereitungen herstellen, nicht unter Generalverdacht gestellt werden.“ Das Ministerium werde Vorfälle aus der jüngsten Zeit zum Anlass, alle Ursachen genau zu analysieren und im Detail aufzuarbeiten. „Dabei wird das Erfordernis sowohl gesetzlicher als auch anderer Maßnahmen geprüft“, erklärt Spahns Pressestelle. Auf Facebook erklärte der Minister am vergangenen Freitag, er werde „sehr bald“ Gesetzesänderungen bezüglich der Skandale in Sachen Valsartan und Lunapharm vorlegen – Bottrop und Zyto-Kontrollen blieben unerwähnt.
TV-Doku: ABDA lehnt Interview ab
„Auch die Bundesvereinigung der Apothekerkammern lehnt ein Interview ab“, heißt es in der Fernsehdoku. Der Skandal sei als Einzelfall bezeichnet worden, zu einer Verschärfung des Gesetzes wolle man sich nicht äußern. Gegenüber DAZ.online erklärt eine ABDA-Sprecherin wie schon zuvor, dass es sich um Landesangelegenheiten handele – daher seien die Landesapothekerkammern zuständig.
Der frühere kaufmännische Leiter der Alten Apotheke, Martin Porwoll, hatte den Skandal durch eine Anzeige erst ans Tageslicht gebracht – und zeigt sich über die Reaktionen enttäuscht. „Ich finde es nach wie vor faszinierend, wie wenig Empörung das tatsächlich auslöst – mehr oder weniger nur ein Schulterzucken und ‚machen wir doch weiter, läuft doch gut‘“, sagt er. Nach dem Motto „jetzt müssen wir uns alle doch wieder vertrauen können“ würde nun dazu aufgerufen, den Fall hinter sich zu lassen, ohne dass wirklich eine Basis für gesundes Vertrauen geschaffen worden sei. „Das geht ja auch Hand in Hand mit der Abqualifizierung des Falls als Einzelfall, wobei das ja gar nicht feststeht“, sagt Porwoll.
Patientin: Der Mensch hat nicht viel gezählt
Die Patienten seien in dem Fall eigentlich nur Statisten gewesen, sagt Melanie Masuch – zwei für sie bestimmte, aber womöglich noch nicht freigegebene Zytostatika waren bei der Razzia mit deutlichen Unterdosierungen sichergestellt worden. „Der Mensch an sich, der hat da nicht wirklich viel gezählt“, sagt sie. Vertrauen habe sie nur noch in ihre Familie oder in Freunde. „Dieses Urvertrauen, was man mit in die Wiege gelegt bekommt in die große Weite Welt, das ist gar nicht mehr da“, sagt sie. „Mit seinem Betrug hat ein Apotheker Vertrauen in die Medizin zerstört“, heißt es in der Doku. „Dafür, dass dieser Fall nicht in Vergessenheit gerät, sorgen die mutigen Menschen von Bottrop.“
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