Begrenzte Optionen

Welche Therapien gibt es für Kinder mit MS?

Stuttgart - 07.12.2018, 09:00 Uhr

3 bis 5 Prozent aller MS-Patienten erkranken im Kindes- oder Jugendalter, zugelassene therapeutische Optionen sind begrenzt. ( r / Foto: Africa Studio / stock.adobe.com)

3 bis 5 Prozent aller MS-Patienten erkranken im Kindes- oder Jugendalter, zugelassene therapeutische Optionen sind begrenzt. ( r / Foto: Africa Studio / stock.adobe.com)


Gilenya für Kinder mit hochaktiver MS

Von den bei Multipler Sklerose als Disease-modifying Drugs (DMD) eingesetzten Arzneimitteln dürfen laut Zulassung nur die wenigsten bei Kindern oder Jugendlichen angewendet werden. „Es gibt derzeit keine Ergebnisse aus kontrollierten prospektiven klinischen Studien über die Behandlung der pädiatrischen MS. Die Therapie erfolgt daher weitgehend in Anlehnung an die MS im Erwachsenenalter wobei bei Kindern und Jugendlichen verschiedene Besonderheiten zu beachten sind", erklärt die Leitlinie Pädiatrische Multiple Sklerose noch 2016. 

Das hat sich jedoch jüngst zum Positiven geändert. Novartis hat Fingolimod (Gineya®) in einer ersten klinischen Phase-III-Studie an Kindern mit MS untersucht. Die doppelblinde, randomisierte Studie war multizentrisch ausgerichtet und schloss 215 Kinder und Jugendliche im Alter von  zehn bis 17 Jahren ein. Der Schweregrad ihrer MS, gemessen am EDSS, lag zwischen 0 und 5,5; wobei ein EDSS von 5,5 beschrieben wird mit „gehfähig ohne Hilfe und Rast für etwa 100 m. Eine Behinderung, die schwer genug ist, um tägliche Aktivitäten zu verunmöglichen“. Unter Fingolimod-Therapie reduzierte sich die jährliche Schubrate bei den Kindern im Vergleich zu einer Therapie mit Interferon-β um 82 Prozent. Seit kurzem ist Gilenya nun zugelassen für Kinder mit hochaktiver schubförmiger MS ab einem Alter von zehn Jahren.

Interferon-β und Glatirameracetat: milde Form der RMS

Dennoch ist das therapeutische Spektrum weiterhin mehr als überschaubar. Eine Zulassung haben ansonsten nur Arzneimittel für milde / moderate Verlaufsformen: Interferon-β und Glatirameracetat.
Alemtuzumab (Lemtrada®), Natalizumab (Tysabri®), Ocrelizumab (Ocrevus®) dürfen ausschließlich bei erwachsenen Patienten zur Behandlung von MS eingesetzt werden. Ebenso Cladribin (Mavenclad®), Dimethylfumarat (Tecfidera®) und Teriflunomid in Aubagio®.

Tatsächlich ist es so, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) einigen Herstellern von Disease-modifying Drugs (krankheitsmodifizierende Arzneimittel) bei Multipler Sklerose eine Freistellung zur Vorlage von Studienergebnissen bei pädiatrischen Patienten gewährt hat.

Multiple Sklerose

Multiple Sklerose ist eine neurodegenerative Erkrankung, die etwa weltweit zwei Millionen Menschen trifft. Die immunvermittelte chronisch entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems führt histopathologisch in unterschiedlicher Ausprägung zu Demyelinisierung und axonalem Schaden. Derzeit geht man davon aus, dass neben T-Zellen auch B-Zellen eine wichtige Rolle in der Pathogenese der Erkrankung spielen. Somit setzt man in der Behandlung der Multiplen Sklerose derzeit auf unterschiedliche Ansätze der Immunmodulation, wie beispielsweise Interferone, CD20-Antikörper (Ocrelizumab), CD52-Antikörper (Alemtuzumab), Anti-VLA4 (Natalizumab) oder Sphingosin-1-Phosphat (S1P)-Rezeptormodulator (Fingolimid).

Man unterscheidet bei der Multiplen Sklerose zunächst zwei Formen: die schubförmige MS (Relapsing MS) und die primär progrediente MS (PPMS). Bei etwa 85 Prozent der Patienten beginnt die Erkrankung mit einem schubförmigen Verlauf: Klinische Symptome treten auf, bilden sich aber innerhalb einiger Wochen vollständig oder unvollständig zurück (Relapse remittimg MS, RRMS). In der schubfreien Zeit zeigt sich keine Progression der klinischen Symptomatik, auch wenn man mittlerweile weiß, dass die Entzündung im Inneren weiterschwelt und die Reserven der Neuroplastizität aufbraucht. Diese sogenannte neuronale Plastizität ermöglicht, die Auswirkungen der axonalen, destruierenden Demyelinisierung zunächst zu kompensieren. Unbehandelt geht eine RRMS bei etwa der Hälfte der MS-Patienten nach zehn Jahren in eine Multiple Sklerose mit sekundärer Progredienz (SPMS) über mit einer schleichenden Zunahme der Symptome, anfangs mit aufgesetzten Schüben (rSPMS, sekundär progrediente MS mit aufgesetzten Schüben), später meist auch ohne zusätzliche Schübe.

PPMS sehr selten

Von der schubförmigen MS sind Frauen etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Der Krankheitsbeginn ist meist zwischen dem 20. und 40.Lebensjahr, mit einem Häufigkeitsgipfel um das 30. Anders bei der primär progredienten MS. Hier erkranken die meisten Patienten zwischen 40 und 50 Jahren, die Symptome entwickeln sich schleichend und führen zu einer zunehmenden Behinderung. Einen primär progredienten Krankheitsverlauf beobachtet man nur bei 10 bis 15 Prozent aller MS-Patienten. Auch ist hier die Geschlechterverteilung homogen und Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen. Die therapeutischen Interventionsmöglichkeiten bei einer PPMS sind deutlich schlechter als bei schubförmigen Verläufen. Seit Januar 2018 ist das erste Arzneimittel für PPMS überhaupt zugelassen: Der CD20- Antikörper Ocrelizumab in Ocrevus®



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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