Ethylenglycol, Methanol und Ethanol

Alkoholvergiftung: Dosenbier und andere Antidote

Stuttgart - 11.01.2019, 14:00 Uhr

Frostschutzmittel sollte nur in klar gekennzeichneten Behältnissen aufbewahrt werden. (b/Foto: Georgy Dzyura / stock.adobe.com)

Frostschutzmittel sollte nur in klar gekennzeichneten Behältnissen aufbewahrt werden. (b/Foto: Georgy Dzyura / stock.adobe.com)


In Vietnam haben Ärzte einen Mann mit 15 Dosen Bier von einer schweren Alkoholvergiftung geheilt. Offensichtlich ging es dabei um keine Ethanol- sondern um eine Methanolvergiftung. In Deutschland und Europa sind Methanolvergiftungen sehr selten. Jedoch stellen sie im Urlaub immer noch eine Gefahr da. Zudem bietet der Winter Anlass, sich mit Ethylenglycol-Vergiftungen zu beschäftigen. 

Die Mediziner des Krankenhauses Quang Tri in der gleichnamigen Provinz in Vietnam sollen kürzlich zu einer ungewöhnlichen Maßnahme gegriffen haben, das meldet die dpa (Deutsche Presse-Agentur) unter Berufung auf die dortigen staatlichen Medien: Insgesamt 15 Dosen Bier sollen die Ärzte einem Patienten nach und nach eingeflößt haben. Der Mann hatte eine große Menge Methanol zu sich genommen, vermutlich durch gepanschten Schnaps, heißt es. Mit Dosenbier haben die Ärzte in Vietnam den 48-jährigen schließlich von einer schweren Alkoholvergiftung geheilt. Insgesamt 15 Stunden soll es gedauert haben, bis die schlimmsten Auswirkungen der Methanolvergiftung vorbei waren.
Der behandelnde Arzt Tran Van Thanh meinte in der vietnamesischen Zeitung, die angewandte Methode entspreche „keinem medizinischen Standard“. Aber: „In der Praxis hat sie sich als effektiv erwiesen.“

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Auch einen deutschen Arzt befragte die dpa zum Fall, den Notfall-Mediziner Hans-Jörg Busch vom Universitätsklinikum Freiburg: „Die Therapie mit 15 Dosen Bier ist eher ungewöhnlich, aber gut nachvollziehbar. Möglicherweise hatten die vietnamesischen Kollegen keinen anderen Alkohol zur Hand.“ Auf die Art des Alkohols komme es aber auch nicht unbedingt an, „viel wichtiger ist, dass die Therapie sofort eingeleitet wird“. Methanol entsteht, wenn beim Destillieren von Alkohol nicht richtig gearbeitet wird. Wenn die Leber dann versucht, den Körper vom Alkohol zu entgiften, wird das Methanol zu Formaldehyd und Ameisensäure umgewandelt. Dies kann die Nervenzellen schädigen, zur Erblindung und sogar zum Tod führen.

In weniger entwickelten Ländern soll es immer wieder vorkommen, dass Menschen nach dem Verzehr von billig gepanschtem Fusel, der Methanol enthält, schwer erkranken oder auch sterben, schreibt die dpa. Auch aus der Türkei wurde immer wieder über Fälle berichtet. Eine Arbeit aus dem Ärzteblatt beschäftigte sich 2013 mit „Ursachen, Diagnostik und Therapie häufiger Vergiftungen“ – so auch mit Methanol: Ein wesentliches Problem dabei sei vor allem die oft späte Diagnosestellung. Denn je länger diese dauert, desto mehr toxische Metabolite können über die Alkoholdehydrogenase gebildet werden. „Frühzeitig mit Fomepizol behandelte oder dialysierte Patienten haben hingegen eine gute Prognose.“

Fomepizol hat wie Ethanol eine vielfach höhere Affinität zur Alkohol- und Aldehyddehydrogenase. Fomepizol bewirkt in vitro eine ca. 8.000fach stärkere kompetitive Hemmung als Ethanol. Durch beide Substanzen wird die Metabolisierung von Methanol wirkungsvoll unterbunden.

Ob Frostschutzmittel oder Methanol: Ein Behandlungsansatz

Während Methanol also vor allem im Urlaub für erwachsene und jugendliche Deutsche eine Rolle spielt, soll insbesondere bei Kindern häufig der Verdacht auf Ethylenglykol-Vergiftungen bestehen. Das ist vor allem jetzt im Winter aktuell, weil bereits ein Schluck eines Kühlerfrostschutzmittels, zu einer manifesten Vergiftung führen kann. Das Aufbewahren von Frostschutzmitteln in Getränkeflaschen ist also ein absolutes Tabu! 
In beiden Fällen besteht die Therapie in der „frühzeitigen Gabe von Fomepizol und gegebenenfalls einer Hämodialyse bei spätem Therapiebeginn und ausgeprägter Azidose“. Um die Therapie frühzeitig beginnen zu können, ist die Kenntnis der Symptome wichtig. Bei Methanol sind das: Sehstörungen, zentrales Skotom, Blindheit. Bei Ethylenglycol: Flankenschmerzen, Hämaturie, Koma, Krampfanfälle, Hyperpnoe, Hypotension. 

In der Schweiz wurde im Februar 2018 im Bulletin des Bundesamts für Gesundheit  ein Artikel mit dem Titel „Antidote bei Vergiftungen 2018/2019“ veröffentlicht. Dort bietet eine Tabelle einen Überblick (im Folgenden ein Ausschnitt): 

Antidot Indikation Dosierung Wirkung
Fomepizol (4-Methylpyrazol)  Intoxikation mit Ethylenglykol, Methanol;
bei Diethylen-glykol immer in Kombination mit Hämodialyse

Erw. und Kinder: 15 mg/kg i.v. oder per os initial; Erhaltungsdosis: 10 mg/kg alle 12 Stunden. Bei Hämodialyse Dosisanpassung gemäss Fachinformation!

Verdünnt applizieren (Achtung: orale Gabe = off-label use!) 

Verhinderung der Bildung toxischer Metabolite durch kompetitive Hemmung der Alkoholdehydrogenase.
Bei Diethylenglykol verursacht möglicherweise auch die Muttersubstanz schwere, irreversible Schäden

 

Ethanol 96% (v/v) (Konz. 1 g/1,32 mL, ca. 20 mol/L) Intoxikation mit Ethylenglykol, Methanol;
bei Diethylen-glykol immer in Kombination mit Hamodialyse
0,75 g/kg initial als verdünnte Lösung i.v. oder allenfalls per os, dann 0,15 g/kg/h; auf etwa 1–1,5‰ Alkoholblutspiegel einstellen

Verhinderung der Bildung toxischer Metabolite durch kompetitive Hemmung der Alkoholdehydrogenase. 
Bei Diethylenglykol verursacht möglicherweise auch die Muttersubstanz schwere, irreversible Schäden.

 

 

 

Calcium (Calciumgluconat (monohydrat): 10 ml 10-%-Lösung enthalten 2,22 mmol Calcium.)              Vergiftungen mit Ethylenglykol, Fluoriden und Oxalsäure Erw.: 7–14 mmol, Kinder: 0,125–0,175 mmol/kg langsam i.v., wiederholen unter engmaschiger Überwachung des Calcium-Blutspiegels

Therapie der Hypokalzämie

 

 

In der Zeitschrift „Intensivmedizin“ ist 2014 ein Artikel mit dem Titel „Therapie akuter Intoxikationen“ erschienen. Vorteile von Fomepizol gegenüber Ethanol sind demnach, dass es bereits bei geringen Serum-Konzentrationen wirksam ist, minimale Nebenwirkungen mit sich bringe, keinen Einfluss auf die mentale Aktivität habe, die Beurteilung des klinischen Verlaufs erleichtert und die Serum-Osmolalität nicht beeinflusst. Nachteile von Fomepizol seien, dass es nicht überall sofort zum Einsatz vorhanden sei, teuer ist und in Deutschland nur für Ethylenglykol zugelassen ist.

Während Methanol- und Ethylenglykol also akut zwar gefährlicher sind als Ethanol, erweist sich die gängige Ethanol-Vergiftung und ihre Behandlung allerdings nicht nur im Kontext der Abhängigkeit und Häufigkeit als äußerst komplex.

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Trotz einer Vielzahl von Therapieansätzen und Expertenmeinungen existiert laut einem Artikel in der Zeitschrift „Notfall+Rettungsmedizin“ aus dem Jahr 2015 keine evidenzbasierte Therapie, die Patienten mit einer Ethanolvergiftung schneller ausnüchtern ließe oder vor den Folgen des Alkoholkonsums bewahrt und die Komplikationsrate mindert. Dass die Gabe von intravenöser Flüssigkeit oder gar Diuretika eine kausale Therapie darstelle, sei nie wissenschaftlich nachgewiesen worden. Das macht die Behandlung der Ethanol-Intoxikation (die häufig zudem als Mischintoxikation auftritt) nicht weniger komplex.
So könnten Vitaminmängel ausgeglichen werden und aggressive Patienten (pharmakologisch) beruhigt werden müssen. Eine Hyponatriämie muss entdeckt und behandelt werden. Die für Jugendliche postulierte vermehrte Neigung zu ethanolinduzierten Hypoglykämien soll sich bislang nicht belegen lassen. Trotzdem erfolge oft standardmäßig die Gabe von intravenöser Glukoselösung. Auch an einen Magnesiummangel sei zu denken. Insgesamt stellen ethanolintoxikierte Patienten demnach eine große Belastung für Notaufnahmen dar.

„Der Weg weg vom Alkohol ist steinig“

Ethanol ist aber nicht nur bei einer akuten Intoxikation eine Gefahr. Auch wenn das wohlbekannt ist, alljährlich versuchen nach Silvester viele aufs Neue, dem Alkohol zu entsagen. Denn oft zeigt sich, dass der Verzicht auf Alkohol mit vielen Rückfällen verbunden ist. In der aktuellen Ausgabe der DAZ widmet sich die DAZ Nr.1/2 der Therapie der Alkoholabhängigkeit. Unter anderem interessant dabei sind „die fünf Trinkertypen“: Der Konflikttrinker, der Gelegenheitstrinker, der Rauschtrinker, der Spiegeltrinker und der Quartalssäufer. Außerdem gibt es neuerdings Behandlungsansätze zum „kontrollierten Trinken“.

Wo findet man Hilfe und Informationen?

Prinzipiell sind alle Gesundheitsämter Anlaufstelle für Suchtberatung und Suchtprävention.

  • viele Informationen rund um Suchtfragen: Deutsche Hauptstelle für Sucht­fragen e. V., www.dhs.de
  • bundesweites Verzeichnis von Suchtberatungsstellen, Infomaterial: Bundeszentrale für gesundheitliche Auf­klärung, www.bzga.de/service/beratungsstellen/suchtprobleme/
  • Suchtberatungsstellen nach PLZ in Bayern, Materialien zur Alkoholabhängigkeit: Wissenschaftliches Institut für Prävention im Gesundheitswesen der Bayerischen Landesapothekerkammer (WIPIG), www.wipig.de
  • Fokus Jugendliche: www.null-alkohol-voll-power.de
  • Fokus Männer/Alter: www.maennergesundheitsportal.de
  • Kenn Dein Limit. Auf den Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) können Jugendliche sich über den Umgang mit Alkohol und das eigene Risiko informieren: www.kenn-dein-­limit.de (Webcode X5AX2)
  • zur Alkoholprävention für Erwachsene bietet die BZgA viele Broschüren und auch ein Trinktagebuch an (Webcode E7XR8)
  • über versteckten Alkohol in Lebensmitteln informiert der VerbraucherService Bayern: www.vis.bayern.de (Webcode: W9MV3)
  • Zum Alkoholgehalt der verschiedenen Getränke informiert die Hessische Landesstelle für Suchtfragen e. V. (HLS), www.hls.org (Webcode: M9CJ3)


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