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„Beim Thema Bottrop gibt es nur Verlierer“, erklärt Michael Marxen, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP). Patienten seien die Opfer, Apotheker stünden unter „Generalverdacht“ und Behörden und Ministerien unter Zugzwang. Welche Maßnahmen sind notwendig und sinnvoll, wann droht eine Überregulierung, die sodann dem onkologischen Patienten mehr schadet als nutzt? DAZ.online hat mit dem Zyto-Apotheker gesprochen – sein Wunsch: „Mit den Kostenträgern endlich wieder zu einem partnerschaftlichen Miteinander zur optimalen Versorgung Schwerkranker mit individuellen Sterilrezepturen zu kommen.“
Ausgesucht hat sich Michael Marxen das Thema nicht: „Bottrop“. Ein einziges Wort genügt mittlerweile, um zu wissen, worum es geht. Und dennoch fällt es dem aus Wesseling stammenden Zyto-Apotheker beim 27. NZW am vergangenen Wochenende in Hamburg zu, über den Bottroper Zytoskandal um den Apotheker Peter S. zu referrieren. Warum dies eher dem „schwarzen Peter“ als dem „Joker“ gleichkommt, erklärt der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) im Gespräch mit DAZ.online.
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„Beim Thema Bottrop gibt es nur Verlierer“, so Marxen. Opfer seien in erster Linie die in ungeheuerlicherweise um ihre Gesundheit betrogenen und betroffenen Patienten, „aber eben auch wir Apotheker, die – gefühlt – immer auf der dunklen Seite der Macht verortet werden.“ Auch den Überwachungsbehörden und dem in Nordrhein-Westfalen zuständigen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, fielen bei Bottrop keine Lorbeeren in den Schoß. Denn: „Völlig gleichgültig, was das Ministerium auch tut, es sieht sich stets der öffentlichen Meinung gegenüber, es ist immer noch zu wenig“, erkennt Marxen die Bredouille der Behörden.
Auch das Ministerium findet sich in einer echten No-win-Situation wieder.“
Ministerium im Aktionismuszwang
„Ich erlebe das wirklich so, dass auch das Ministerium sich in einer echten No-win-Situation wiederfindet“, so Marxen. Das Ministerium stünde unter enormem öffentlichen Druck und sei nun im Nachgang zu Bottrop gezwungen, der Öffentlichkeit „eine Reaktion zu präsentieren“. Für den Zytoapotheker einerseits nachvollziehbar, andererseits warnt Marxen vor „überzogener Überregulierung“.
Überregulierung gefährdet Patienten
Als Zytoapotheker das Wort „Überregulierung“ überhaupt nur in den Mund zu nehmen, damit begibt sich Marxen auf dünnes Eis, was ihm durchaus klar ist: „Es ist in der aktuellen Gemengelage wahnsinnig schwierig, aus Position der unter Generalverdacht und in Sippenhaft stehenden zytostatikaversorgenden Apotheken, die Gefahr einer Überregulierung zu argumentieren“, so Marxen. Zu leicht werde man in die Ecke einer gewollten Intransparenz gedrängt.
Wir Apotheker werden – gefühlt – immer auf der dunklen Seite der Macht verortet".
Ganz aus der Luft gegriffen ist die Sorge Marxens nicht. So warf der Bottroper Whistleblower Martin Porwoll in Bezug auf das nicht zuletzt als Konsequenz der Arzneimittelskandale initiierte Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) den Apothekern und dem Gesetzgeber vor: „Die Zyto-Apotheker bekommen ein 150 Millionen Euro schweres Geschenk und haben keine effektiven Kontrollen zu befürchten. Zu den nächsten Panschereien auf Kosten schwerkranker Patienten lädt das geradezu ein.“ Die Motivation Porwolls zu diesem im Dezember in einem Onlinebeitrag der Rheinischen Post erschienenen Gastkommentar bleibt spekulativ. Mittlerweile arbeitet Porwoll – „der sich fraglos in der Aufdeckung der Geschichte um Bottrop verdient gemacht hat“, honoriert Marxen – bei einer Krankenkasse.
Notwendig oder überzogen
Dennoch will der stellvertretende DGOP-Präsident in dieser schwierigen Situation zwischen notwendigen Maßnahmen und der Gefahr der Überregulierung differenzieren, von der auch die zukünftig zu versorgenden Patienten nicht profitierten. Es gehe um eine ortsnahe, zeitnahe, persönliche Versorgung von Patienten. Würden durch behördliche Maßnahmen die Rahmenbedingungen für Apotheker auf eine Art und Weise verändert, dass öffentliche Apotheken dies in der Fläche gar nicht mehr leisten könnten, „sind wir als DGOP der festen Überzeugung, dass auch so die Patienten eher Schaden nehmen, statt zu profitieren“, so Marxen.
Dass Verunsicherung um sich greift, spürt Marxen auch in der eigenen Apotheke: „Die Patienten wundern sich, wenn sie keine Nebenwirkung spüren – früher war das eine gute Nachricht, jetzt ist es eine schlechte, weil sie Sorgen tragen, dass kein Wirkstoff in ihrer zytostatischen Zubereitung drin war."
Marxen: Es gibt keine mächtigere Lobby als die der Krankenkassen
Profitieren würden nach Ansicht Marxens andere – Herstellkonzerne. „Wir wissen, dass es durchaus Unternehmen gibt, die von überzogenen Auflagen profitieren würden“, so diese Auflagen an die Zytostatikaherstellung von einer Apotheke vor Ort nicht mehr erfüllt werden könnten; beziehungsweise diese zusätzlichen Auflagen ohne Sicherheitsgewinn dem Patienteninteresse einer zeitnahen Versorgung zuwider arbeiteten.
Was haben Partikelzahlmessungen mit Bottrop zu tun?
Marxen formuliert bewusst überspitzt: „Wenn Sie sich dreimal umziehen und wenn Sie vier Partikelzahlmessungen lostreten müssen, dauert die Versorgung einfach länger." Derartige Aspekte, „die nichts mit dem Fall Bottrop zu tun haben, werden aber jetzt ganz konkret neu bewertet", so Marxen. Die Überlegung ist plausibel, so entstand der Bottroper-Zytoskandal aufgrund singulärer krimineller Energie, nicht, weil Qualitätsmängel im Labor vorlagen.
Diese Sorge der schlechteren Patientenversorgung trägt nicht nur der Apotheker – auch Onkologen sehen diese Gefahr. So erreichte die DGOP ein Schreiben von drei Onkologen. Auch die Fachärzte tragen offenbar Sorge, dass der Zug Richtung Überregulierung zu weit fahren könnte:
Die Zahl unserer Patienten, bei denen ganz kurzfristig Therapieentscheidungen, und die in einem engen Zeitfenster mit sogenannten Adhoc-Therapien versorgt werden müssen, nimmt ständig zu. Das ist sowohl dem medizinischen Fortschritt als auch den Wirtschaftlichkeitsvorgaben der Kostenträger geschuldet. Obwohl es bei uns niemals ein Qualitätsproblem gab, scheinen die Zeitfenster der Versorgung unserer schwerkranken wartenden Krebspatienten aufgrund der neuerlichen behördlichen Auflagen und/ oder dem Wegbrechen einer flächendeckenden Versorgungsstruktur zu steigen. Ein solches Outcome externer Skandalvorgänge würde die Versorgung verschlechtern, statt optimieren.“
Nicht nur die Lobby der Apotheker sorgt sich also um die Patienten. Lobbyismus, ein Vorwurf, den sich Apotheker häufig gefallen lassen müssen. Jüngstes Beispiel lieferte die Grünen-Politikerin Kordula Schulz-Asche, die in Spahns Eckpunktepapier für den Apothekenmarkt die Krankenkassen zu wenig gefragt sah.
Die Lobbyfrage sieht Marxen anders. Bereits
beim letztjährigen NZW in Hamburg stellte er gemeinsam mit dem Medizinethiker
Prof. Maio fest, dass wahrlich nicht die Apotheker, sondern die Kostenträger
maximalen Einfluss im Gesundheitswesen nehmen: „Es gibt keine mächtigere
Lobby als die der Krankenkassen, die per se als Gutmenschen dargestellt wird,
die unsere Sozialversicherungsgelder verwalten, während die Leistungserbringer
stets die Bösen sind. Es bleibt dennoch zu hoffen, mit
den Kostenträgern endlich wieder zu einem partnerschaftlichen Miteinander zur
optimalen Versorgung Schwerkranker mit individuellen Sterilrezepturen zu
kommen.“
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