Warnemünde

Schülerpraktikanten in alte Kunst des Pillendrehens eingeweiht

Berlin - 16.02.2019, 08:00 Uhr

Praktikum in der Rezeptur: Apothekerin Siglinde Lindauer aus Warnemünde zeigt ihren Schülerpraktikanten teils alte Methoden der Arzneimittelherstellung. ( r / Symbolfoto: Imago)

Praktikum in der Rezeptur: Apothekerin Siglinde Lindauer aus Warnemünde zeigt ihren Schülerpraktikanten teils alte Methoden der Arzneimittelherstellung. ( r / Symbolfoto: Imago)


Schüler suchen Praktikumsplätze, jedes Jahr aufs Neue – auch in Apotheken. Häufig genug gestaltet sich die Suche jedoch schwierig. Der Ablauf des Praktikums zudem als eintönig. Dass dies nicht so sein muss, zeigt das Beispiel der Detharding-Apotheke in Warnemünde. DAZ.online hat bei Apothekenleiterin Siglinde Lindauer nachgefragt. 

Apothekenleiterin Siglinde Lindauer von der Detharding-Apotheke in Rostock-Warnemünde bietet interessierten Schülerpraktikanten nicht nur Einblicke in einen modernen Apothekenbetrieb. Die Schüler sollen bei ihr zudem ein Gespür für Pharmaziegeschichte und den Apothekenalltag vergangener Epochen bekommen. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen. Wer die Gegenwart nicht versteht, kann die Zukunft nicht gestalten“, beschreibt Lindauer ihr Interesse an Geschichte – und dieses Motto möchte sie den jungen Menschen vermitteln.

Schwierigkeiten bei Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz

Lindauer engagiert sich gerne für interessierte Schülerpraktikanten – betont sie gegenüber DAZ.online. Leider sei es für die Schüler teilweise gar nicht einfach, einen Praktikumsplatz zu finden. So habe sie schon häufig mitbekommen, wie Schüler auf der Suche nach ihrem Wunschpraktikumsplatz ergebnislos durch die Stadt liefen. Zu viele Betriebe scheuten den vermeintlichen Aufwand. Auch unter Apotheken sei dies so. „An und für sich ist es für unseren Berufsstand ja auch schön, wenn man Schüler aufnimmt. Es ist immer schade, wenn so viele sagen, sie haben keine Zeit und können sich nicht um die Schüler kümmern“, bekräftigt Lindauer.

Sie gebe deshalb gerne Schülern die Möglichkeit, das Pflichtpraktikum in ihrer Apotheke zu absolvieren. Allerdings hinterfrage sie auch die Motivation der jungen Leute und hoffe immer, dass ein grundsätzliches Interesse an einem der Apothekenberufe bestehe. Auf der anderen Seite täten ihr die suchenden Schüler auch leid und sie helfe gerne weiter: „Man denkt dann auch, deine Kinder mussten früher ja auch mal unterkommen.“ Im Sommerhalbjahr nehme sie zudem auch immer sehr gerne engagierte Pharmaziepraktikanten auf, betont Lindauer.

Apothekenleiterin Siglinde Lindauer demonstriert die alte Kunst des Pillendrehens – auch gerne ihren Schülerpraktikanten. (Foto: Lindauer) 

Apotheke in ihrer Vielfalt zeigen

Anschaulich beschreibt Lindauer, die seit 1989 die Detharding-Apotheke leitet, die vielen Möglichkeiten, ein solches Schülerpraktikum spannend zu gestalten. Als Orientierung diene ein PKA-Lehrbuch, entlang dessen sich der Ablauf gut gestalten lasse. So bekämen die Schüler sowohl die verschiedenen Berufsbilder als auch die vielfältigen Aufgabenbereiche – zunächst theoretisch und dann praktisch – demonstriert. Von der modernen Diagnostik, die eine Apotheke heutzutage anbiete, bis hin zu Abstechern in die Pharmaziehistorie sei vieles durchführbar. „Wir versuchen praktisch jeden Tag neben der normalen Routine, den Schülern etwas Besonderes zu zeigen“, erläutert die Warnemünder Apothekerin. 

Lindauer habe auf diese Weise schon vielen Schülerpraktikanten die Vielfalt des Apothekenwesens und die Schönheit des Berufes vermittelt. Wichtig sei ihr dabei auch die Leistungen vergangener Generationen nicht zu vergessen. Sie interessiere sich schon immer für Geschichte und möchte dieses Wissen gerne weitergeben. Die Detharding-Apotheke, gegründet 1853, biete mit ihrer langen Geschichte durch einige überlieferte historische Gerätschaften und alte Pharmaziebücher vielfältige Gelegenheiten zum Stöbern, Staunen und Ausprobieren.

Pillendrehen als abschließendes Praktikum-Highlight

In den letzten Monaten hatte Lindauer zwei Schülerpraktikanten in ihrer Apotheke: „Den einen hatten wir ein halbes Jahr immer Donnerstags. Und die andere hatten wir zwei Wochen am Stück.“ Zufälligerweise sei für Beide der letzte Praktikumstag auf den gleichen Tag gefallen. Dieser Tag sollte für die Schüler ein Highlight werden: Demonstriert wurde die alte Kunst des Pillendrehens. Gleichzeitig hätten die Schüler auf diese Weise erfahren können, warum früher „Pillendreher“ ein Apothekersynonym gewesen sei. „Ich weiß allerdings nicht, ob dieser Begriff in der Jugend überhaupt noch bekannt ist“, gibt Lindauer schmunzelnd zu Bedenken.

Fünf Pillenbretter aus unterschiedlichen Epochen seien im Fundus der Apotheke verwahrt – von alt bis hin zu moderneren Varianten mit Kunststoffbeschichtung. Knallgelbe Knete sei als Ersatz für die Pillenmasse, die nicht vorhanden gewesen sei, benutzt worden. Die Pillen hätten die Schüler zunächst an „Tick-Tack“ erinnert, berichtet die Apothekerin amüsiert. Die „Tick-Tack-Pillen“ seien dann in der linken Hand mit dem rechten Zeigefinger, zu runden Pillen gedreht worden. Spätestens in diesem Moment sei den Schülern der Begriff des „Pillendrehers“ anschaulich vermittelt worden. „Die waren begeistert“, bekräftigt Lindauer. Überhaupt sei es eine schöne Erfahrung, die Begeisterungsfähigkeit der Jugend zu erleben, fügt sie überzeugt hinzu. 

Pharmaziegeschichte sehen – und hören

Die Praktikanten der Detharding-Apotheke – genauso wie die Kunden – „stolpern“ in der Apotheke förmlich über Pharmaziegeschichte. „Schuld“ daran sind die farbenprächtigen Hinterglasmalereien mit sieben Motiven zur Pharmaziegeschichte, die 1975 von Wilhelm Mandel von der Fachhochschule für angewandte Kunst in Heiligendamm angefertigt wurden. Die Malereien, die Einblicke in den Apothekenalltag von 300 n. Chr. bis in die 1970er-Jahre gewähren, sind für die Kunden gut sichtbar und künstlich hinterleuchtet in der Offizin ausgestellt.

Beispiel der Hinterglasmalereien mit Renaissance-Motiv von Wilhelm Mandel in der Detharding-Apotheke in Warnemünde. (Foto: Lindauer)

Die Geschichte ist allerdings nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar: In nur zehn Minuten könnten sich Interessierte die Scheiben mit dem jeweiligen historischen und botanischen Hintergrund erklären lassen, erläutert die Warnemünder Apothekerin. Die Texte seien dafür extra von dem Schauspieler Achim Wolff und der Kollegin Rita Feldmeier, die der Pharmazie auch sehr verbunden sei, eingesprochen worden. Mit Kopfhörer und MP3-Player ausgestattet, gemütlich in extra bereitstehenden Sesseln niedergelassen, könne die geschichtliche Reise losgehen. Auch die Schülerpraktikanten setze sie immer vor die Scheiben, um ihnen Gelegenheit zu einem kurzweiligen Abstecher in die unterschiedlichen Epochen zu geben. Auch auf diese Weise sei eine Verbindung zwischen früher und heute herstellbar, ist sich Lindauer sicher.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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