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IQVIA-Statistik
142.000 Cannabisrezepte in 2018 - (k)ein Zeichen für Missbrauch?
Rund 142.000 Kassenrezepte über Cannabisarzneimittel landeten 2018 in Deutschlands Apotheken. Dies geht aus einer Statistik des Marktforschungsinstituts IQVIA hervor. Den Daten zufolge zeichnet sich ein anhaltender Wachstumstrend ab, insbesondere bei Cannabisrezepturen. Für Kritiker wie die Bundesapothekerkammer ist diese Entwicklung ein Zeichen für Missbrauch. Stimmen aus der Praxis interpretieren den Trend als eine Art Lernkurve mit dieser relativ jungen Behandlungsoption.
Seit knapp zwei Jahren können Ärzte Cannabis als Medizin verordnen.Nach ersten Anlaufschwierigkeiten hatte sich die Zahl der Kassenrezepte vor allem in eine Richtung entwickelt, und zwar nach oben. Dies zeigt auch die aktuelle Verordnungsstatistik des Marktforschungsinstituts IQVIA, die am heutigen Freitag veröffentlicht wurde.
Als Datengrundlage zog IQVIA die Zahl der Cannabisrezepte heran, die im Jahr 2018 als Fertig-, als Rezepturarzneimittel oder als unverarbeitete Cannabisblüten zulasten der GKV abgerechnet wurden. Die Blütentherapie fließt damit an zwei Stellen ein. So umfasst die Gruppe der Cannabisrezepturen sowohl Zubereitungen mit Rezeptursubstanzen (z.B. Dronabinol oder Tilray-Extrakte) als auch die Verarbeitung von Blüten, beispielsweise durch Zerkleinern. Eine weitere Aufschlüsselung der Kategorie geht aus der Statistik allerdings nicht hervor.
Wachstumstrend ungebrochen
Vergleicht man die Medizinalhanf-Verordnungen monatsweise im Vergleich zum Vorjahr, ergibt sich zwischen März und Dezember 2018 jeweils ein Zuwachs im dreistelligen Bereich gegenüber dem entsprechenden Monat in 2017. Zwischen März und August 2018 lag der Anstieg bei über 200 Prozent. Dabei ist zu bedenken, dass die Gesetzesänderung im März 2017 in Kraft trat, und in den ersten Monaten danach die Zahl der Verordnungen noch niedrig war.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Statistik keine Rückschlüsse auf die Zahl der Cannabispatienten zulässt, da auch Folgeverordnungen eingeflossen sind. Außerdem fehlen die Zahlen von Privatversicherten und Selbstzahlern.
Zunehmend mehr Rezepturen als Fertigarzneimittel
Laut IQVIA wurden 2018 rund 142.000 Kassenrezepte ausgestellt. Über ein Drittel davon ging auf das Konto von Allgemeinärzten, gefolgt von Neurologen, Ambulanzen und Anästhesisten. Dieses Facharztgruppenverhältnis weicht von einer Statistik der Techniker Krankenkasse vom Mai 2018 ab, bei der die Neurologen und Psychiater vorne gelegen hatten.
In der aktuellen IQVIA-Statistik entfallen 42 Prozent der Verordnungen auf Cannabisrezepturen, gefolgt von Fertigarzneimitteln mit 34 Prozent und Cannabisblüten ohne Verarbeitung mit 24 Prozent. Dies zeigt eine Verschiebung zwischen den Kategorien, denn bis einschließlich Februar 2018 dominierten Fertigarzneimittel als mengenstärkste Kategorie. Im März 2018 vereinten erstmals Zubereitungen den größten Anteil auf sich, seit Mai 2018 zeigt sich dies auch für die restlichen Monate des Jahres.
Medizinalhanf polarisiert
Die Entwicklung der Cannabisverordnungen wird von Expertenseite unterschiedlich bewertet. Der Präsident der Bundesapothekerkammer, Dr. Andreas Kiefer, sieht in dem Wachstumstrend einen Hinweis auf Missbrauch von Medizinalhanf. Auf einer interdisziplinären Veranstaltung vor einem Monat erklärte Kiefer, dass viele Verschreibungen nichts mehr mit rationaler Pharmakotherapie zu tun hätten, sondern eher „Spaßverordnungen“ seien. Auf derselben Veranstaltung monierte der Suchtexperte der Bundesärztekammer, Erik Bodendiek, dass Ärzte viel zu häufig von ihren Patienten unter Druck gesetzt würden, Cannabis zu verschreiben.
Lernkurve bei junger Behandlungsoption
Doch es gibt auch andere Erklärungsansätze. Für den Chef des Deutschen Hanfverbandes, Georg Wurth, ist der steigende Trend keine Überraschung. Dazu erklärt der Branchenexperte gegenüber DAZ.online: „Allen Fachleuten sollte klar sein, dass eine ausreichende Versorgung deutscher Patienten nicht mit dem ersten Tag der Gesetzesänderung sofort erreicht werden konnte, das ist ein längerer Prozess. Aus der vorhersehbaren Steigerung der Verordnungszahlen ein besonderes Missbrauchspotenzial zu konstruieren, ist nicht seriös. Die Zahlen werden auch ohne Missbrauch weiter steigen.“
Die Behandlungsoption mit Medizinalhanf gibt es in Deutschland noch nicht lange. Das Genehmigungsverfahren durch die Krankenkassen ist komplex, doch inzwischen hat sich die Genehmigungsquote der großen Kassen auf etwa 60 Prozent stabilisiert. Auch der Erfahrungsschatz innerhalb der Fachkreise wächst. Noch ist der Wissensstand bei Apothekern und Ärzten recht heterogen, häufig bilden sich Zentren.
Positive Therapieerfahrungen bei Schwerkranken
Ein Beispiel für eine cannabiserfahrende Apotheke ist die Apotheke Lux99 in Hürth bei Köln, die auch seit einigen Monaten live-Verfügungsdaten für Medizinalhanf anbietet. Inhaber Tobias Loder versorgt Cannabispatienten schon seit 2014, als Medizinalhanf nur per Ausnahmegenehmigung vom BfArM erhältlich war. Gegenüber DAZ.online erklärte der Apotheker, dass sich die Zahl der Patienten in den letzten fünf Monaten verfünffacht habe. „Es gibt ein großes und wachsendes Interesse seitens der seriösen Ärzteschaft, Cannabinoide einzusetzen“, berichtet Loder.
Im Gegensatz zum BAK-Präsidenten kann der Apotheker nicht bestätigen, dass missbräuchliche Verordnungen ausgestellt würden. „Ganz im Gegenteil, es handelt sich um schwerkranke Menschen, die Ihre Lebenssituation deutlich verbessern können. Herr Kiefer sollte sich einmal mit der Mutter eines dreijährigen epileptischen Mädchens darüber unterhalten. Sie hat das Glück, dass die Uni Klinik Köln CBD haltiges Öl für die Tochter verordnet, das wir herstellen. Das ist nur ein Beispiel von ganz, ganz vielen.“
Ähnliches berichten auch Mediziner, die viele Cannabispatienten behandeln. Wie beispielsweise Dr. Jan-Peter Jansen, Leiter des Schmerzzentrums in Berlin. Auf einer Fortbildung der Berliner Apothekerkammer am gestrigen Donnerstag erklärte der Schmerzmediziner, dass es seinen Patienten mitnichten um einen Rauschzustand ginge, sondern darum, wieder am Leben teilzunehmen. „Der Schmerz ist noch da, aber fünf Türen weiter weg“ – dies oder ähnliches würden ihm Patienten berichten, erklärte Jansen.
3 Kommentare
Respektlos
von Rainer W. am 07.03.2019 um 15:44 Uhr
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Respektlos
von Rainer W. am 07.03.2019 um 8:48 Uhr
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Reicht's nicht endlich ?
von M.Thole am 04.03.2019 um 4:40 Uhr
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