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Der „Berliner Patient“ – Teil 2?
HIV, CCR5 und die Hoffnung auf Heilung
Ist das Gen CCR5 ein Ansatzpunkt, um HIV irgendwann tatsächlich heilen zu können? Ein Einzelfallbericht aus dem Journal Nature weckt in den Medien derzeit erneut diese Hoffnung. Darin heißt es, dass sich ein britischer HIV-Patient, der zuvor eine Knochenmarktransplantation erhalten hatte, seit 18 Monaten ohne HIV-Therapie in Remission befindet. Die Geschichte erinnert an den Fall des „Berliner Patienten“ aus dem Jahr 2008, dieser gilt bis heute als geheilt. Was bedeuten diese beiden Einzelfälle für die restlichen rund 37 Millionen HIV-Kranken?
„Erst zweiter Fall weltweit: HIV-Patient möglicherweise geheilt“, schrieb die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am gestrigen Dienstag, als der Fall um einen (womöglich ehemaligen) HIV-Patienten in den Medien Wellen schlug. „Es wäre eine medizinische Sensation. Noch ist es zum Jubeln aber zu früh“, heißt es weiter. Grund für die ausgiebige Berichterstattung in den Medien ist ein Einzelfallbericht aus dem Fachjournal Nature. Darin wird laut dpa über einen britischen HIV-Patienten berichtet, bei dem 34 Monate nach einer speziellen Stammzelltransplantation, seit 18 Monaten keine Viren mehr nachweisbar sind. Sollte der Virus auch in den kommenden Jahren nicht zurückkehren, wäre es erst der zweite Patient weltweit (nach dem „Berliner Patient“, der als von HIV geheilt gilt. Noch sei es für ein solches Fazit aber zu früh.
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Risikoreiche Therapie
Wer nun hofft, HIV könne in ein paar Jahren tatsächlich geheilt werden (etwa so, wie man ein Antibiotikum einnimmt und von einer Blasenentzündung geheilt wird), der sollte sich bewusst machen, dass der aktuell diskutierte britische HIV-Patient sich einer risikoreichen Therapie unterziehen musste. Denn er litt nicht ausschließlich an einer HIV-Infektion, sondern auch an einem Hodgkin-Lymphom. Um dieses Lymphom zu behandeln, erhielt der Patient eine allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation. Besonders an diesen transplantierten Zellen war, dass der Spender gegen bestimmte Formen des HI-Virus immun ist (CCR5-negativ). In der Hoffnung, dass der Patient so möglicherweise zweifach von seiner Behandlung profitieren würde, setzte man seine HIV-Medikamente ab – das Ergebnis: weitere 18 Monate später ist der HI-Virus immer noch nicht wieder nachweisbar.
Ein Erfolg, allerdings: Bei einer Knochenmarkstransplantation handelt es sich um einen starken Eingriff, der mit schweren Nebenwirkungen einhergehen kann, wie Gerd Fätkenheuer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, der dpa erklärte: „Damit kommt sie für die alleinige Therapie der HIV-Infektion nicht infrage, sondern nur dann, wenn zusätzlich eine Krebserkrankung vorliegt, die mittels Stammzeltransplantation heilbar ist. Es müssen also schon sehr spezielle Bedingungen gegeben sein.“
Vielversprechende Ergebnisse?
Für Georg Behrens, Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, sind die Ergebnisse laut dpa dennoch sehr vielversprechend. Aber auch er gibt zu bedenken: Die Transplantation von Stammzellen berge nach wie vor große Risiken und sei entsprechend nur bei Patienten mit einer lebensbedrohlichen Indikation denkbar. Zudem sei es äußerst schwierig, einen CCR5-negativen Spender zu finden. Doch die Idee, dass einem HIV-positiven Patienten Stammzellen entnommen und dann gentechnisch verändert wieder zurücktransplantiert werden, habe auch für Behrens großes Potenzial, da sie ein wesentlich schonenderes Verfahren darstellen würde.
Gero Hütter, der Arzt, der 2006 den „Berliner Patienten“ (Timothy Brown) heilte, klang gegenüber der dpa auch eher optimistisch: Der „Berliner Patient“ habe Türen aufgestoßen, denn bis dahin galt eine Heilung von HIV als ausgeschlossen. So habe er etwa den Startschuss für Studien im gentherapeutischen Bereich gegeben – wenn auch bislang ohne Durchbruch. Mit Hütter im Einklang plädieren laut dpa nun auch die Nature-Autoren dafür, an HIV-Therapien zu forschen, bei denen die Unterdrückung des CCR5-Rezeptors im Mittelpunkt steht.
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Aufregung um „CRISPR“-Babys
Bei Timothy Brown, so Hütter weiter, sei viel über die Ursachen des Behandlungserfolges gerätselt worden: „Der neue Patient ist nun ein Beleg dafür, dass es doch an der Transplantation lag“. Er berichtet der dpa von weiteren HIV-Patienten mit einer Stammzelltransplantation, die allerdings noch antiretrovirale Medikamente bekämen – die neue Studie würde vielleicht dazu führen, dass diese abgesetzt würden.
Wer ist der „Berliner Patient“ Timothy Brown?
Die DAZ 48/2012 widmete sich
ausführlich dem berühmt gewordenen und damals 40-jährigen Timothy Brown, der bereits
zehn Jahre lang mit HIV infiziert war, als er 2006 mit der Diagnose einer
akuten Myeloischen Leukämie (AML) konfrontiert wurde. Anstatt „nur“ nach einem
gewebeverträglichen Knochenmarktransplantat zu suchen, suchten die behandelnden
Ärzte damals nach einem Transplantat, dessen Spender homozygoter Träger der
Deletion CCR5-delta32 war. Das beschrieben die Autoren Prof. Dr. Theo
Dingermann und Dr. Ilse Zündorf in ihren Artikeln in der DAZ. Timothy
Brown gilt bis heute als geheilt.
Das Mississippi-Baby und andere Misserfolge
Auch wenn der „Berliner Patient“ bislang als der einzige geheilte Patient gilt, gab es immer wieder Berichte, die Hoffnung auf Heilung machten, wie im Dezember 2013 in der DAZ: Wie gut das Vorgehen im Fall des „Berliner Patienten“ gewesen sei, zeigte damals die Geschichte der „Bostoner Patienten“. So soll es sich um eine ähnliche Ausgangslage gehandelt haben. Jedoch wurde im Unterschied zu dem „Berliner Patienten“ nicht nach Spendern gesucht, die die CCR5-delta32-Deletion aufwiesen: Wochen, nachdem die anti-retroviralen Medikamente abgesetzt wurden, tauchten bei beiden Patienten die HI-Viren wieder auf. Wie Prof. Dr. Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf in der DAZ beschrieben, reicht es offenbar nicht, ein infiziertes Knochenmark durch ein gesundes Transplantat zu ersetzen. Schon lange werde spekuliert, dass infizierte Zellen in tiefe Kompartimente „abtauchen“ können, wo sie vor der aggressiven Behandlung zur Vorbereitung einer Knochenmarktransplantation geschützt sind.
Ein weiterer hoffnungsvoller Fall der Vergangenheit sollte sich leider auch als Misserfolg herausstellen: das „Mississippi Baby“. Im Juli 2010 kam die Tochter einer HIV-positiven Mutter in der 35. Schwangerschaftswoche zur Welt und wurde direkt an die University of Mississippi Medical School in Jackson überwiesen. Die Viruslast des Kindes war mit ca. 20.000 RNA-Kopien pro Milliliter Plasma relativ gering. Ungefähr 30 Stunden nach der Geburt wurde eine antiretrovirale Therapie begonnen und statt die Therapie – wie üblich – nach vier Wochen wieder abzusetzen, wurde das Mädchen für 18 Monate weiter behandelt. Ab Tag 29 waren keine Viren mehr im Plasma des Neugeborenen nachweisbar. Nach 18 Monaten Therapie brachte die Mutter ihre Tochter allerdings nicht mehr zum Arzt. Im Alter von 24 Monaten wurde das Kind wieder bei Ärzten vorstellig. Die beteiligten Wissenschaftler sprachen von einer „funktionellen Heilung" des Mädchens. 2014 hieß es dann aber leider im Ärzteblatt: „Mississippi Baby“: HI-Viren kehren nach funktioneller Heilung zurück.
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Im Dezember 2018 sorgten dann die „CRISPR“-Babys für mediale Aufregung: Am 26. November verkündete ein junger chinesischer Wissenschaftler in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP, dass zwei gesunde Mädchen geboren wurden, die nach In-vitro-Fertilisation mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 resistent gegen eine Infektion mit HI-Viren wurden.
Zündorf und Dingermann betrachteten den Fall in der DAZ 49/2018 ausführlich und kritisch. Der Sinn des „empörenden“ Experiments war zum einen, zu zeigen, dass die Gen-Editierung an befruchteten Eizellen möglich ist. Zündorf und Dingermann warfen aber deutlich die Frage auf, ob das zum jetzigen Zeitpunkt der CRISPR-Forschung tatsächlich ratsam ist. Außerdem wichtig war das Gen, das manipuliert wurde: CCR5. Dingermann und Zündorf meinten, dass gerade dieses Gen als Prototyp einer CRISPR-Manipulation am humanen Embryo in die Geschichte eingehen soll, sei nicht wirklich plausibel. Es fehle ein valider „medical need“, was das ganze Unterfangen noch absurder mache, als es ohnehin schon sei.
2 Kommentare
Hiv
von Susan Moore am 27.06.2019 um 19:32 Uhr
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Nigeria
von Kezed am 12.03.2019 um 7:03 Uhr
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