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- Methadon entzaubert
Anfang April sorgte eine Pressemitteilung der Universität Leipzig mit dem Titel „Methadon bei Therapie von Hirntumoren unwirksam“ für ein besonderes mediales Echo. Haben sich unzählige Patienten und ihre Angehörigen falschen Hoffnungen hingegeben? Ein Blick hinter die Kulissen verrät, dass diese Frage einfach immer noch nicht zu beantworten ist.
Wer aufgrund der Schlagzeile der Leipziger Pressemeldung
gehofft hat, dass nun endlich klinische Studien Licht in den undurchsichtigen
Streit um das wirkungsverstärkende Potenzial von Methadon gebracht haben, wurde
enttäuscht. Anlass für die Meldung war ein weiterer Zellkulturversuch auf Basis
von Glioblastomzellen von sechs Patienten. Den Tumorzellkulturen waren Zellkulturen gesunder Fibroblastenzellen der
gleichen Patienten als Kontrolle gegenübergestellt worden. Die Zellen waren mit
Bestrahlung (4 Gy) und/oder Temozolomid (200 μM) und mit verschiedenen
Methadon-Konzentrationen (1 μM, 5 μM, 10 μM und 30 μM) behandelt worden. Die
Überlebensfähigkeit wurde mithilfe einer ATP-Messung in Zelllysaten und der
Dehydrogenase-Aktivität in lebenden Zellen ermittelt. Als 100 Prozent Lebendzellanteil
wurde die Zahl der unbehandelten Zellen bestimmt. Temozolomid und Bestrahlung
gelten als Standardtherapie von Glioblastomen. Mit der aufsteigenden Methadon-Konzentration
sollte geprüft werden, ob Methadon die Wirkung dieser Standardtherapie
verstärken kann.
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„Standardbehandlung wirkt, durch Methadon wird kein Zugewinn erzielt “
Das Ergebnis fasst Prof. Dr. Frank Gaunitz, Studienleiter und Professor für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig wie folgt zusammen: „Unsere Resultate zeigen, dass die Standardbehandlung wirksam ist, aber durch Methadon kein Zugewinn erzielt wird. Es dürfte auch nichts nützen, wenn ein Patient nur Methadon nimmt. Das würde erst in Konzentrationen wirken, die für den Körper tödlich sind“. Und weiter: „Zudem konnten wir die Arbeiten von anderen Forschergruppen bestätigen, dass manche Tumorzellen bei niedrigen Methadon-Konzentrationen sogar schneller wachsen.“ Darüber hinaus wird in der Pressemeldung darauf verwiesen, dass auch die gesunden Zellen, also die als Kontrolle herangezogenen Fibroblasten, im Experiment unter Methadon-Dosierungen zerstört würden, bei denen auch Krebszellen absterben. Gaunitz rät Patienten daher von einer „Selbstmedikation“ durch Methadon ab. Und er warnt: „Sollten Vorerkrankungen vorliegen, etwa eine geschädigte Leber, könne es schnell tödlich enden.“
Ein etwas anderer Blick auf die Studie
Schnelleres Wachstum von Tumorzellen unter niedrigen Methadon-Konzentrationen, Zerstörung von gesunden Zellen durch Methadon, Organtoxizität von Methadon, das alles klingt bedrohlich. Grund genug, sich diese Studie einmal näher anzuschauen. Das haben die Ulmer Methadon-Forscherin Dr. Claudia Friesen und der Palliativmediziner Dr. Hans-Jörg Hilscher für die Deutsche Apotheker Zeitung gemacht: Sie entlarven zahlreiche Schwachstellen und kommen zu einem völlig anderen Schluss: Die Leipziger In-vitro-Studie widerlegt nicht die Methadon-Hypothese zur Wirkverstärkung von Zytostatika, sie stützt sie sogar. Die ausführliche Begründung lesen Sie hier.
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Hoffen auf die Petition im Deutschen Bundestag
Damit bekommt die uralte Forderung nach Durchführung klinischer Studien wieder neuen Auftrieb. Nur mit ihnen wird sich die Frage nach dem Nutzen einer Methadontherapie für Krebspatienten beantworten lassen. Dr. Claudia Friesen und Dr. Hans-Jörg Hilscher ringen schon seit langem um die Durchführung klinischer Studien, denn nur mit ihnen wird sich klären lassen, ob und bei welchen Krebsformen unter welchen Zytostatikatherapien Methadon einen Zusatznutzen für die Patienten haben kann. Eigenen Angaben zufolge stoßen sie mit dieser Forderung auf massiven Widerstand. Ihre ganze Hoffnung setzen sie auf eine im vergangenen Jahr beim Deutschen Bundestag eingereichte Petition. Über 53 000 Patienten haben diese Petition unterzeichnet. Sie fordern die staatliche Förderung klinischer Studien zum Einsatz von Methadon in der Krebstherapie. Die Anhörung zu dieser Petition fand im November 2018 im Deutschen Bundestag statt. Eine Entscheidung liegt noch nicht vor. Am 3. April 2019, kurz nach Erscheinen der Leipziger Pressemeldung, waren Friesen und Hilscher in den Deutschen Bundestag geladen, um die Bundestagsabgeordneten über die wissenschaftlichen Daten und ihre Erfahrungen zu informieren. Hilscher setzt in seiner Praxis Methadon im Rahmen der Palliativmedizin ein. Dr. Claudia Friesen hat die Hypothesen-bildende Grundlagenforschung für Methadon durchgeführt. Die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, SPD, die zu der Anhörung geladen hatte, kam danach zu folgendem Schluss: „ Die Forschung zu Methadon steht im Anfangsstadium und es gibt keine klinischen Studien, die die Ergebnisse von Frau Dr. Friesens Forschung bestätigen noch widerlegen.“ Deshalb habe man vereinbart, das Bundesforschungsministerium anzuregen, im Rahmen der von der Bundesregierung ausgerufenen Nationalen Dekade gegen den Krebs die Forschung zu ergänzenden Krebstherapien stärker zu fördern.
4 Kommentare
Inhaltliche Auseinandersetzung
von Katrin am 15.04.2019 um 9:39 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: Inhaltliche Auseinandersetzung
von Jasonpepper am 16.09.2019 um 19:42 Uhr
AW: Inhaltliche Auseinandersetzung
von Katrin am 17.09.2019 um 22:47 Uhr
AW: Inhaltliche Auseinandersetzung
von Kay Haßbargen am 22.09.2019 um 0:30 Uhr
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