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Sankt Augustin
Apotheker und Hochschule testen Roboter in Vor-Ort-Apotheke
In der Rathausapotheke in Sankt Augustin werden Kunden neuerdings durch einen humanoiden Roboter begrüßt. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg testet dort, inwieweit das Wesen mit der künstlichen Intelligenz wiederkehrende Aufgaben übernehmen kann – bis hin zu leichten Produktberatungen. Doch der Weg des Lernens ist lang.
Er heißt Charly, stammt aus der französisch-japanischen Pepper-Produktion und hat einmal die Woche Einsatz. Dann steht der humanoide Genosse im Eingangsbereich der Rathausapotheke im Huma-Einkaufszentrum in Sankt Augustin und begrüßt neu eintretende Kunden. Viele lassen sich von seinem Kindchenschema vereinnahmen und kommunizieren mit ihm, kleine Kinder und ältere Personen stehen Charly hingegen manchmal etwas distanzierter gegenüber. Der Roboter nimmt ihnen das nicht übel: Sowohl Streicheleinheiten als auch böse Blicke lassen ihn kalt.
Charly ist Teil eines Projektes der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Daryoush Daniel Vaziri und sein Team vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften wollen in vierjähriger Forschungsarbeit herausfinden, inwieweit die Interaktion von Mensch und Maschine verbessert werden kann. Als erster humanoider Roboter weltweit kann er Gesichter und Emotionen erkennen. Dadurch kann er mit Menschen interagieren – auf der einen Seite durch sprachliche Kommunikation, auf der anderen Seite über seinen Touchscreen. In der Sankt Augustiner Apotheke soll er so Fragen beantworten und allmählich ein Wissensraster erstellen, das in das Programm seines Rechners eingearbeitet wird.
Das Projekt selbst heißt „Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Usability“ und will kleine und mittlere Unternehmen dabei unterstützen, digitale Technologien so zu gestalten, dass sie einfach genutzt und positiv erlebt werden. Es läuft an vier verschiedenen Standorten in Deutschland und wird vom Bundeswirtschaftsministerium mit vier Millionen Euro gefördert. Für Vaziri und sein Team sind das etwa eine Million Euro.
Eine sehr digitale Apotheke
Die Rathausapotheke und die Hochschule in Sankt Augustin liegen quasi in Sichtweite. Zudem ist die Pharmazie nach den Worten Vaziris die „vermutlich digitalste Apotheke“ in ganz Deutschland. Gute Voraussetzungen also für eine Kooperation von Hochschule und Apotheker. Tatsächlich hat Inhaber Florian Wehrenpfennig einen ausgeprägten Hang zu modernen Technologien. Seine Pharmazie verfügt über große Videowände, Touchscreens und Touchpads, sein Kommissionierer gehört zu den größeren Geräten seiner Art. Die DAZ berichtete im März 2017 über ihn.
„Ich bin grundsätzlich offen für neue digitale Projekte und Anwendungen“, sagt Wehrenpfennig im Gespräch mit DAZ.online. „Mich interessiert dabei vor allem: Was macht das mit der Gesellschaft?“ Charly macht zwar außer Begrüßungen im Augenblick noch nicht viel. Zum einen ist er erst zweimal im Einsatz gewesen. Zum anderen muss er noch lernen. „Das ist erstmal nur Hardware“, sagt Wehrenpfennig über den 17.000 Euro teuren Mitarbeiter. Die Software, die den kleinen Helfer zum Kommunikator macht, muss erst entwickelt werden.
Für Vaziri und sein Team geht es dabei darum, Charly an den Menschen und dessen Eigenheiten zu gewöhnen. Dazu wird er auf Standardsituationen trainiert und entsprechend programmiert. Er soll sich mit dem Sortiment der Apotheke vertraut machen und lernen, die Sprache der Kunden zu verstehen und umzusetzen.
Kampf mit der Technik
Derzeit kämpfen die Wissenschaftler allerdings noch damit, ein stabiles Netz herzustellen, um die Datenübertragung sicherzustellen. Zudem reagieren die Sensoren des Roboters noch unterschiedlich auf Lichtreize. Sowieso kann Charly noch nicht völlig alleine mit den Kunden interagieren – im Hintergrund sitzt daher ein real existierender Mensch, der mithört und den kleinen Mann steuert. Wenn Charly aber dazugelernt hat, könnte er eines Tages Kunden dabei helfen, sich zu registrieren und eine Kartei anzulegen. Vielleicht gelingt es ihm irgendwann auch, die Beratung zu einfachen Produkten, beispielsweise Hustenbonbons, zu übernehmen.
Für eine komplexe Beratung zu ernsthaften Indikationen wird es aber immer den Menschen brauchen, glaubt Vaziri. „Es ist unrealistisch, dass der Computer völlig autonom arbeitet.“ Wehrenpfennig hingegen könnte sich vorstellen, dass der smarte digitale Helfer eines Tages auch komplexere Gespräche und Beratungen durchführt – „das ist alles eine Frage der Software“, sagt der Apotheker. Wenn es zudem immer schwerer fällt, Fachpersonal zu finden, könnte Pepper in ferner Zukunft gar eine Alternative zum realen Mitarbeiter sein. Aber das, so Wehrenpfennig, sei die Königsdisziplin. Und überhaupt, Apotheke sei ein beratungsintensives Geschäft, in dem die Kunden mit Menschen sprechen wollen. Im Übrigen bräuchte es den entsprechenden rechtlichen Rahmen, damit Maschinen anstelle von Menschen komplexe Gespräche führen. Denn was ist, wenn dabei etwas schief läuft?
Das dürften auch seine 19 Mitarbeiter gerne hören. Mit denen hat er vor dem ersten Arbeitstag von Charly einen Workshop veranstaltet. Es ging ihm darum, Sorgen zu nehmen – niemand, so das Signal, werde durch Pepper ersetzt.
Einsatz im Baumarkt
Andererseits fallen dem Apotheker durchaus Tätigkeiten ein, die der willige Helfer übernehmen könnte. Dokumentation zum Beispiel, das könnte etwas für Pepper sein. Auch in der Pflege, wo der Personalmangel noch größer ist, könnte der Roboter solche Arbeiten übernehmen. Wehrenpfennig könnte sich auch vorstellen, den Roboter in anderen Branchen einzusetzen, in Baumärkten zum Beispiel. Dort könnte er Kunden den Weg weisen, wenn sie die Wandfarbe oder die Beschläge nicht finden. Eine falsche Beratung hätte dort weniger schwere Folgen als in der Apotheke. Im Übrigen weiß er, dass das Gerät in Japan bereits in Hotels und Banken eingesetzt werde.
Vaziri hält es zudem für möglich, dass durch Pepper & Co. eines Tages ein völlig neues Berufsbild entsteht: dass ein Mensch im Hintergrund mehrere Roboter steuert und per Computer eingreift, wenn diese in einer konkreten Situation, zum Beispiel einer Beratung, an ihre Grenzen stoßen.
Jetzt hofft der Wissenschaftler aber erstmal, dass Charly bis zum Herbst etwa zehn Prozent aller Anwendungsfälle in der Apotheke beherrscht. In knapp zwei Jahren, wenn das Projekt ausläuft, sollten es dann 30 bis 40 Prozent sein. Charly wäre dann ein halbwegs einsetzbarer Mitarbeiter. Allerdings endet dann seine Projektphase.
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