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Clexane, Neupro, Vimpat
England droht ein neuer Arzneimittelimport-Skandal
Erneut deutet sich in Europa ein Skandal mit importierten Arzneimitteln an. Die britische Arzneimittelbehörde MHRA ruft derzeit drei Arzneimittel zurück, die von einem Händler aus Italien importiert wurden. Auf einigen der Packungen fehlt ein Sicherheitsaufkleber, was die Behörden vermuten lässt, dass die Arzneimittel illegal in die Lieferkette eingeschleust wurden. Konkret geht es um die Thrombosespritzen Clexane, das Antiepileptikum Vimpat sowie den Dopamin-Antagonisten Neupro (Rotigotin). In den Medien ist die Rede von Klinik-Diebstählen und Scheinrezepten. Das EU-Fälschungsschutzsystem hätte die illegalen Importe nicht entdecken können.
Etwa ein Jahr ist es her, dass in Deutschland ein Arzneimittel-Skandal mit großem Ausmaß bekannt wurde: Der Arzneimittel-Importeur Lunapharm wird beschuldigt, zahlreiche hochpreisige Arzneimittel nach Deutschland importiert zu haben, die nicht Teil der offiziellen Lieferkette waren. Die Vorkommnisse rund um Lunapharm lösten Ermittlungen mehrerer Behörden aus. Eine eigens für den Fall zusammengestellte, mit Experten besetzte Taskforce und die EMA fanden anschließend unter anderem heraus, dass es in Europa ein großes Netzwerk an Arzneimittel-Zwischenhändlern gibt, die sich Medikamente – teils auf zwielichtigen Wegen – hin- und herschicken.
Immer wieder wurden dabei zwei Länder genannt, aus denen immer wieder Arzneimittel importiert worden sein sollen: Italien und Griechenland. DAZ.online hatte im vergangenen Jahr bereits über die mutmaßlichen Wege der Arzneimittel berichtet: Schon seit Jahren werden aus Italiens Klinikapotheken Arzneimittel im Wert mehrerer Millionen Euro gestohlen. Alleine zwischen 2012 und 2014 ist die Anzahl der Arzneimittel-Diebstähle einer Studie zufolge in Kliniken von etwa zehn pro Jahr auf knapp über 100 explodiert. Anzunehmen ist, dass die Zahl seitdem weiterhin kontinuierlich zugenommen hat. Im Schnitt wurde in diesem Zeitraum also jedes zehnte italienische Krankenhaus beraubt. Der Studie der Universitäten Milano und Trento zufolge hatten die gestohlenen Arzneimittel einen Gesamtwert von mehr als 22 Millionen Euro, pro Diebstahl ging es im Schnitt um 250.000 Euro. Neben Deutschland sollen die betroffenen Medikamente unter anderem in Großbritannien, Spanien und den Niederlanden wieder aufgetaucht sein.
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Der Sicherheitssiegel fehlt
Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass genau das wieder passiert ist. Schon Ende Juni wies die britische Arzneimittelbehörde MHRA Apotheker und Patienten daraufhin, dass Packungen der drei oben genannten Medikamente aus der regulierten Lieferkette herausgenommen wurden, um sie später wieder in den regulären Verkauf einzubringen. „Das bedeutet, dass der korrekte Transport und die Lieferbedingungen während dieses Zeitraums nicht garantiert werden können und – was nicht wahrscheinlich ist – die Wirkung der Medikamente beeinträchtigt sein könnte“, heißt es in dem englischen Rote-Hand-Brief. Die betroffenen Produkte seien von B&S Healthcare aus Italien importiert und anschließend in Großbritannien neu beklebt worden.
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Der Verdacht der britischen Behörde bezieht sich auf einen fehlenden Aufkleber. Zur Erklärung: In Italien tragen alle Arzneimittel, die die reguläre Arzneimittel-Lieferkette durchlaufen einen „Bollino“ – also ein Siegel, das deren Echtheit zeigt. Bei den betroffenen Packungen habe genau dieser Kleber aber gefehlt. Eine Gesundheitsgefährdung sieht die MHRA aber nicht: „Wir glauben, dass diese Arzneimittel echt sind. Es gibt keine Beweise dafür, dass sie manipuliert wurden (…).“ Trotzdem rief die Behörde die Apotheker Ende Juni dazu auf, ihre Lager zu durchsuchen und betroffene Packungen zu retournieren. Patienten wurden in einer Pressemitteilung dazu aufgerufen, ein neues Rezept vom Arzt zu besorgen und die betroffene Packung der Apotheke zurückzugeben. Eine Unterbrechung der Medikation sei aber nicht notwendig, so die Behörde.
Klinik-Diebstähle? Abrechnungsbetrug?
Woher die Arzneimittel-Packungen in Italien stammen, ist unklar. In der pharmazeutischen Fachpresse Italiens wird aber über mögliche Lieferwege spekuliert. Das Apotheker-Portal „Fpress.it“ berichtet mit Bezug auf „Behördenkreise“, dass die Produkte aus Kliniken gestohlen sein könnten. Denn in Kliniken sei es üblich, dass die Sicherheitskleber auf den Packungen nach Wareneingang entfernt werden, weil die Arzneimittel innerhalb des Krankenhauses und auf den Stationen ausgeeinzelt werden.
Möglich sei demnach aber auch ein doppelt illegales Vorgehen sowie eine mögliche Beteiligung einzelner Apotheker und Ärzte: Denn zur Abrechnung bei der Krankenversicherung müssen die Apotheker den Sicherheitskleber vor der Abgabe an den Patienten von der Packung ziehen, ihn auf das Rezept aufkleben und dann bei der Versicherung einreichen. „FPress.it“ zufolge ermittelt die italienische Arzneimittelbehörde nun, ob Apotheker Scheinrezepte mit den Klebern bei der Versicherung abrechnen und die Ware vorher gewinnbringend exportieren – schließlich dürfte der Preis der Arzneimittel in England bei allen drei betroffenen Präparaten deutlich über dem Preisniveau in Italien liegen.
Warum konnte der EU-Fälschungsschutz nicht helfen?
Es bleibt die Frage: Warum ist das alles nicht durch das neue EU-Fälschungsschutzsystem (hierzulande: Securpharm) aufgefallen und schon früher aufgedeckt worden? Schließlich müssen die EU-Staaten seit einigen Monaten schon an das Sicherheitssystem angeschlossen sein, damit möglicherweise gefälschte Packungen in ganz Europa wiedergefunden werden können. In diesem Fall wäre dies aber nicht möglich gewesen. Denn Italien gehört neben Griechenland und Belgien zu einem der drei Länder, die das Fälschungsschutzsystem nicht sofort umsetzen mussten, weil in den Ländern bereits zuvor Schutzmaßnahmen installiert worden waren. Und selbst wenn Italien an das System angeschlossen wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit illegale Lieferungen zu entdecken in England derzeit nicht wirklich groß.
Kurz nach dem Securpharm-Start hatte DAZ.online in zahlreichen europäischen Ländern nachgefragt, wie die Einrichtung verläuft. Aus Großbritannien hieß es damals, dass viele Apotheker abwarten wollen, was in Sachen Brexit passiert, bevor sie sich an das System anschließen.
1 Kommentar
Bollino
von Jörg Geller am 12.07.2019 um 11:55 Uhr
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