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Bottroper Zyto-Skandal
Gläubiger fordern mehr als 90 Millionen Euro von Zyto-Apotheker Peter S.
Die Forderungen gegen den zu einer Haftstrafe verurteilten Bottroper Zyto-Apotheker belaufen sich im Insolvenzverfahren bislang auf rund 92 Millionen Euro – doch nach aktuellen Informationen könnte sich die freie Masse auf nur ungefähr 2 Millionen Euro belaufen. Rund 30 Betroffene sowie 50 Krankenkassen haben bislang Forderungen angemeldet, dutzende weitere Betroffene wollen dies demnächst tun.
Nachdem das Amtsgericht Essen im Juni das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bottroper Apothekers Peter S. eröffnet hatte, sollten Gläubiger bis zum 8. August Forderungen anmelden – gestern fand die Gläubigerversammlung statt. Diese bestätigte den Insolvenzverwalter Klaus Siemon in seinem Amt. Bislang wurden Forderungen in einer Höhe von 92 Millionen Euro angemeldet, erklärt Siemon gegenüber DAZ.online – insgesamt gab es 133 Anmeldungen. Hierunter waren rund 30 frühere Patienten oder deren Erben, die Ansprüche in Höhe von 2,1 Millionen Euro anmeldeten – sowie rund 50 Krankenkassen, die 72 Millionen Euro geltend machten. Bis zum Ende des Verfahrens können jedoch weitere Forderungen angemeldet werden.
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Insolvenzverwalter: Freie Masse liegt bei etwa 2 Millionen Euro
Der Wert der Insolvenzmasse sei derzeit schwer zu beziffern, sagt Siemon. Er geht davon aus, dass die gesamten Vermögenswerte rund 20 Millionen Euro betragen, erklärt er. Jedoch seien rund 18 Millionen Euro mit Sicherungsrechten belastet – etwa vom Landgericht Essen, das S. in erster Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt hat. Somit beliefe sich die freie Masse auf knappe 2 Millionen Euro. „Wir klopfen alles ab, was möglich ist“, sagt Siemon – die Suche nach Vermögenswerten werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Die Rechtsanwältin Sabrina Diehl hat als einzige Vertreterin von Patienten oder Angehörigen an der Gläubigerversammlung teilgenommen: Sie vertritt gut 20 Mandanten, die Ansprüche gegen S. durchsetzen wollen – 80 Prozent seien Angehörige, sagt sie DAZ.online. Alle Ansprüche zusammen beliefen sich auf einen hohen sechsstelligen Betrag. So könne für einen vierjährigen Leidensweg eines später verstorbenen Patienten ein Schmerzensgeld von rund 150.000 Euro angesetzt werden, sagt die Anwältin.
Nach Informationen von DAZ.online soll S. im Rahmen des Insolvenzverfahrens keine Kooperationsbereitschaft und kein Unrechtsbewusstsein gezeigt haben. Siemon wollte auf Nachfrage hierzu nicht Stellung nehmen. Er soll nach Informationen von DAZ.online Banken in der Schweiz angeschrieben haben, ob sie Konten für S. führen – und auch prüfen, ob die Rückübertragung der Bottroper Apotheke von S. an seine Eltern rechtmäßig war, die der Pharmazeut nach seiner Verhaftung vorgenommen hat.
Verteidiger von Peter S. dementiert Verweigerungshaltung
Der Rechtsanwalt und Strafverteidiger Peter Strüwe, der den Apotheker Peter S. vertritt und zu dem laufenden Verfahren in der Regel keine Presseanfragen beantwortet hatte, äußerte sich auf Nachfrage von DAZ.online – und widersprach der Darstellung, S. habe sich unkooperativ verhalten. „Alle an uns gerichteten Anfragen oder Rückfragen wurden zeitnah und meines Erachtens erschöpfend beantwortet“, erklärt Strüwe – offene Fragen seien ihm nicht bekannt. „Gleichwohl wurde dem Insolvenzverwalter vorsorglich nochmals die volle Bereitschaft zur Mitwirkung mitgeteilt.“ Auch verberge S. keine Vermögenswerte. „Dem Insolvenzverwalter wurde die komplette Finanzlage ohne Einschränkung offengelegt“, sagt Strüwe.
Er war für seinen Mandanten gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgegangen, welches die Staatsanwaltschaft Essen beantragt hatte – jedoch bislang ohne Erfolg. Das Amtsgericht hatte die Eröffnung vorgenommen, obwohl das Urteil aus dem Strafprozess noch nicht rechtskräftig ist, in welchem das Landgericht Essen die Einziehung eines Wertersatzes in Höhe von 17 Millionen Euro angeordnet hatte. Sollte das Urteil im Zuge der Revision wieder aufgehoben werden, wäre dieses Geld womöglich wieder verfügbar.
Was sagt Peter S.' Verteidiger?
Durch das Insolvenzverfahren seien unumkehrbare Fakten geschaffen worden, die tief in die Rechte seines Mandanten eingreifen, sagt Strüwe: Das beginne mit den immensen Kosten des Verfahrens, die bis zu 40 Prozent der Insolvenzmasse „auffressen“ könnten. Zu dem vor einiger Zeit neu geschaffenen Insolvenzantragsrecht der Staatsanwaltschaft gebe es bislang keinerlei Rechtsprechung – das Verfahren gegen S. sei bundesweit möglicherweise das allererste Insolvenzverfahren, das auf diesem Wege eröffnet wurde. „Besonders kritisch ist, dass jedenfalls nach der Gesetzeslage dem Beschuldigten kein Rechtsmittel gegen die Antragstellung eröffnet sein soll“, sagt Strüwe.
Das Oberlandesgericht Hamm habe sich sehr ausführlich mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt und die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. Strüwe sagt, er sei überrascht, dass sich kein einziger Gläubiger gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewendet hat – welches dazu führt, dass Schadensersatzklagen ruhen. „In den Zivilverfahren wären Ärzte und Nebenkläger zu Wort gekommen“, sagt Strüwe. „Es lag daher wohl auch im Interesse der ‚Patientenseite‘, dass die Verfahren geführt und nicht unterbrochen werden.“
Dutzende weitere Betroffene wollen noch Forderungen anmelden
Einer der Rechtsanwälte, der noch Forderungen für seine Mandanten anmelden will, ist Khubaib-Ali Mohammed – er hatte auch im Strafprozess Nebenkläger vertreten. Im September wolle er mit drei Kollegen Forderungen für etwa 70 Patienten anmelden, erklärt er DAZ.online – einige dutzend weitere kämen später womöglich noch hinzu.
Die Forderungen beliefen sich im Durchschnitt auf jeweils rund 25.000 Euro. Angesichts der freien Insolvenzmasse will er womöglich auch Schadensersatzforderungen gegen die Kommunen aufstellen, die für die auch vom Landgericht Essen festgestellte mangelhafte Apothekenaufsicht verantwortlich waren.
Anwalt: Peter S. sollte wegen Morddelikten verurteilt werden
Außerdem will er erreichen, dass S. über die Revision wegen Morddelikten verurteilt wird – hierdurch gäbe es für Betroffene deutlich bessere Möglichkeiten, Entschädigungen zu erhalten, die auch gegenüber den Forderungen von Krankenkassen vorrangig zu bedienen wären. „Ich fühle mich wohler im Strafprozess, weil dort Entscheidungen in der Regel schneller fallen als im Zivilprozess“, sagt Mohammed. Jedoch ist das Strafverfahren noch nicht beim Bundesgerichtshof eingegangen. „Es ist sehr ärgerlich, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Akten nicht weiterschickt“, sagt er. „Das verzögert das Verfahren und ärgert Angehörige.“
Bei der Staatsanwaltschaft Essen laufen weitere Ermittlungsverfahren etwa gegen frühere Mitarbeiter und die Eltern von S. Diese Verfahren dauern „noch für unbestimmte Zeit an“, erklärt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage von DAZ.online.
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