CMDh verhängt risikominimierende Maßnahmen

Dextromethorphan soll sicherer werden

Stuttgart - 08.10.2019, 17:54 Uhr

Dextromethorphan: Künftig müssen zusätzliche Warnhinweise zur Abhängigkeit, der Gefahr eines Serotonin-Syndroms und zu schweren Nebenwirkungen durch Überdosierung bei Kindern in die Packungsbeilage aufgenommen werden. (m / Foto: imago images / Panthermedia) 

Dextromethorphan: Künftig müssen zusätzliche Warnhinweise zur Abhängigkeit, der Gefahr eines Serotonin-Syndroms und zu schweren Nebenwirkungen durch Überdosierung bei Kindern in die Packungsbeilage aufgenommen werden. (m / Foto: imago images / Panthermedia) 


„Abhängigkeit“, „Serotonin-Syndrom“ und im Falle der Überdosierung bei Kindern „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, einschließlich neurologischer Störungen“ – auf diese Neben- und Wechselwirkungen müssen die Hersteller dextromethorphanhaltiger Arzneimittel künftig hinweisen. Nur dann sieht der CMDh auch weiterhin ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis für das rezeptfreie Hustenpräparat. Was kann bei Dextromethorphan-Überdosierung getan werden?

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA hat sich das Antitussivum Dextromethorphan (DXM) vorgeknöpft. Im Rahmen eines europäischen, die periodischen Sicherheitsberichte bewertenden Verfahrens hat der PRAC die seit Markteinführung verfügbaren Daten zu Dextromethorphan überprüft – und sieht jetzt in einigen Punkten Handlungsbedarf. Der PRAC empfiehlt aus wissenschaftlicher Sicht, dass die Produktinformationen zu Dextromethorphan – also Fach- und Gebrauchsinformation – künftig Warnhinweise zum Serotonin-Syndrom, zur Medikamentenabhängigkeit und zur Anwendung bei Kindern enthalten.

Die Koordinierungsgruppe CMDh (Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human) folgte im Sommer einstimmig den PRAC-Empfehlungen. Die CMDh vertritt die Auffassung, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis dextromethorphanhaltiger Arzneimittel unverändert bleibt, wenn die vom PRAC vorgeschlagenen Warnhinweise in Fach- und Gebrauchsinformationen aufgenommen werden. Ohne die vereinbarten Änderungen sei hingegen nicht mehr von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis der betroffenen Arzneimittel auszugehen. Das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) setzt nun den CMDh-Beschluss in seinem Bescheid vom 26. September 2019 um.

Missbrauch und Abhängigkeit

Bislang informieren die Hersteller von DXM-Präparaten in der EU nur über „Missbrauch“ von Dextromethorphan – und das auch erst seit 2017. Auch damals war diesem neuen Warnhinweis (2016) ein europäisches Risikobewertungsverfahren auf Basis der periodischen Sicherheitsberichte zu dextromethorphanhaltigen Arzneimitteln vorausgegangen und die zuständige Koordinierungsgruppe (CMDh) der Mitgliedstaaten fasste sodann den einstimmigen Beschluss, dass die Produktinformationen zu den Arzneimitteln mit dem folgenden Hinweis ergänzt werden sollten: „Über Fälle von Missbrauch von Dextromethorphan wurde berichtet. Vorsicht ist insbesondere geboten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie bei Patienten mit Arzneimittelmissbrauch oder Verwendung psychoaktiver Substanzen in der Vorgeschichte.“ Das BfArM setzte den Beschluss der Koordinierungsgruppe mit Bescheid vom 8. August 2017 um.

Künftig geht die Warnung weiter, und es muss unter „Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels“ in Abschnitt 4.4 der Fachinformation heißen: „Fälle von Dextromethorphan-Missbrauch und -Abhängigkeit wurden berichtet. Vorsicht ist besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie bei Patienten mit einer Vorgeschichte bzgl. Drogenmissbrauch oder psychoaktiven Substanzen geboten.“ 

Die Packungbeilage fasst sich kürzer: „Dieses Arzneimittel kann zu Abhängigkeit führen. Daher sollte die Behandlung von kurzer Dauer sein.“

In Deutschland sind alle DXM-Arzneimittel rezeptfrei erhältlich, Frankreich wurde bei Hustenstillern vor einigen Jahren strenger und unterstellte Dextromethorphan 2017 wieder der Verschreibungspflicht. Grund für den Rx-Switch war die missbräuchliche Einnahme des Antitussivums.

Was tun bei Dextromethorphan-Überdosierung?

DXM-Arzneimittel mit pädiatrischer Indikation (unter zwölf Jahre) müssen in Zukunft Hinweise zu Überdosierungen tragen: „Bei Kindern können im Falle einer Überdosierung schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auftreten, einschließlich neurologischer Störungen. Pflegepersonen sollten angewiesen werden, die empfohlene Dosis nicht zu überschreiten.“ Auch bei der Frage, was im Falle einer überdosierten DXM-Gabe zu tun ist – zu erkennen an Übelkeit, Erbrechen, Dystonie, Unruhe, Verwirrtheit, Schläfrigkeit, Stupor, Nystagmus, Kardiotoxizität, Tachykardie, abnormales EKG einschließlich QTc-Verlängerung, Ataxie, toxischer Psychose mit visuellen Halluzinationen und Übererregbarkeit bis hin zu Koma, Atemdepression, Konvulsionen –, helfen die neuen Fachinformationen, die Gebrauchsinformationen verweisen lediglich an Arzt oder Krankenhaus.

Dextromethorphan als Antitussivum

Dextromethorphan wird zur symptomatischen Behandlung des Reizhustens (unproduktiver Husten) eingesetzt. Pharmakokinetisch betrachtet wird Dextromethorphan nach oraler Applikation rasch resorbiert, nach zwei Stunden werden maximale Plasmaspiegel erreicht, wobei die antitussive Wirkung bereits nach 15 bis 30 Minuten einsetzt und etwa drei bis sechs Stunden anhält. DXM unterliegt einem extensiven First-Pass-Metabolismus über das CYP2D6-System.

CYP2D6-Polymorphismus: längere und stärkere Wirkung

Genetisch bedingt liegt bei etwa 10 Prozent der Bevölkerung ein Polymorphismus vor, der dazu führt, dass DXM langsamer über CYP2D6 inaktiviert wird. Die Folge können verstärkte und verlängerte Wirkungen des Hustenstillers sein. Gleiches kann passieren, wenn Dextromethorphan mit Arzneimitteln kombiniert wird, die CYP2D6 hemmen – wie Fluoxetin, Paroxetin, Chinidin, Terbinafin, Cimetidin und Ritonavir. Laut Fachinformation wurden bis zu 20-fach erhöhte DXM-Plasmaspiegel beobachtet und entsprechende Dextromethorphan-Nebenwirkungen: Erregungszustände, Verwirrtheit, Tremor, Schlaflosigkeit, Diarrhoe und Atemdepression. Auch unter Amiodaron, Flecainid und Propafenon, Sertralin, Bupropion, Methadon, Cinacalcet, Haloperidol, Perphenazin und Thioridazin können erhöhte DXM-Plasmaspiegel auftreten.

Aktivkohle und Naloxon

So kann „Aktivkohle (...) asymptomatischen Patienten verabreicht werden, die innerhalb der letzten Stunde eine Überdosis Dextromethorphan eingenommen haben“, erklärt die Fachinformation künftig. Und weiter: „Für Patienten, die Dextromethorphan eingenommen haben und sediert oder komatös sind, kann Naloxon, in den üblichen Dosen wie zur Behandlung einer Opioidüberdosierung, in Betracht gezogen werden.“ Zusätzlich muss ein Hinweis dazu, dass Benzodiazepine gegen Anfälle und externe Kühlmaßnahmen gegen Hyperthermie aufgrund des Serotonin-Syndroms angewendet werden können.

Serotonin-Syndrom vermeiden

Auch auf die Gefahren eines Serotonin-Syndroms unter Dextromethorphan soll künftig hingewiesen werden: „Serotonerge Wirkungen, einschließlich der Entwicklung eines möglicherweise lebensbedrohlichen Serotonin-Syndroms, wurden für Dextromethorphan bei gleichzeitiger Einnahme von serotonergen Wirkstoffen wie selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (Selective Serotonin Re-Uptake Inhibitors, SSRIs); Arzneimitteln, die den Stoffwechsel von Serotonin (einschließlich Monoaminoxidase-Hemmer (MAOIs)) beeinträchtigen, und CYP2D6-Inhibitoren berichtet.“

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Und weiter muss der Hinweis folgen: „Das Serotonin-Syndrom kann Veränderungen des mentalen Status, autonome Instabilität, neuromuskuläre Anomalien und/oder gastrointestinale Symptome umfassen. Bei Verdacht auf ein Serotonin-Syndrom sollte eine Behandlung eingestellt werden.“

Wie wirkt DXM?

Laut der Fachinformation zu „Hustenstiller-ratiopharm Dextromethorphan“ wirkt DXM „antitussiv, besitzt aber in therapeutischen Dosen keine analgetische, atemdepressive, psychotomimetische Wirkung und hat nur eine schwache Abhängigkeitspotenz.“ Bei hoher Dosierung können berauschende Effekte auftreten, ebenso bei therapeutischen Dosierungen und versehentlicher oder absichtlicher Kombination mit CYP2D6-Inhibitoren oder genetischem Polymorphismus.

Dextromethorphan ähnelt zwar in seiner chemischen Struktur den Opioiden, wie Codein oder Morphin, jedoch zählt es nicht zu den Opiaten. Seine Wirkung entfaltet DXM über den Sigma-1-Rezeptor (Agonist). Dieser wurde früher fälschlich zu den Opioidrezeptoren gezählt, da Opioide ihre antitussive Wirkung über diesen Rezeptor vermitteln. 

Zudem wirkt DXM als nichtkompetitiver Antagonist an NMDA-Rezeptoren und als Dopamin- und Serotonin-Reuptake-Inhibitor, wodurch das Rauschpotential zustande kommt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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