- DAZ.online
- News
- Politik
- „Automatisierte ...
Interview mit AOK-Expertinnen Richard/Beckmann
„Automatisierte Ausgabestationen sind besser als Rezept-Briefkästen“
Ihr Aufsatz in der Fachzeitschrift „Gesundheit und Gesellschaft“ hatte im Apothekerlager zuletzt für Aufsehen gesorgt: Die Versorgungschefin des AOK-Bundesverbandes, Sabine Richard, und die Arzneimittel-Chefin des Verbandes, Sabine Beckmann, hatten Vorschläge für eine Apothekenreform formuliert und dabei unter anderem den DocMorris-Arzneimittelautomaten als Versorgungsalternative gelobt sowie Lockerungen am Mehrbesitzverbot und Änderungen am Apothekenhonorar gefordert. DAZ.online hat mit beiden über ihre Ansichten zum Apothekenmarkt gesprochen.
DAZ.online: In Ihrem Artikel deuten Sie an, dass mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz der Versandhandel eingeschränkt werden soll. Wie leiten Sie diese Aussage her? Im Gesetzentwurf ist nichts darüber zu finden.
Richard: Für die AOK steht die sichere Versorgung unserer Versicherten mit Arzneimitteln im Mittelpunkt. Daher beschreiben wir in dem Artikel der G+G (Fachzeitschrift „Gesundheit und Gesellschaft“) den aus unserer Sicht notwendigen Reformbedarf für den Apothekenmarkt. Leider überlagert die Diskussion um die Wirkung des EuGH-Urteils und den Umgang mit dem ausländischen Versandhandel zurzeit diese Debatte. Das Versandhandelsverbot steht immer wieder im Mittelpunkt der Diskussion, gerade auch im Zuge der laufenden Gesetzgebung.
DAZ.online: In Ihrem Text liebäugeln Sie mit dem DocMorris-Automaten in Hüffenhardt, weil er in einem Dorf, wo es keine Apotheke mehr gab, die Arzneimittelversorgung aus Ihrer Sicht wieder herstellte. Warum meinen Sie, dass ein Automat eine persönliche Vor-Ort-Beratung in der Apotheke gleichwertig ersetzen kann?
Beckmann: Das ist so nicht richtig, und das haben wir auch nie behauptet: Natürlich ist eine Ausgabestation mit Videoschaltung nicht gleichwertig zu einer Vor-Ort-Apotheke – aber sie ist aus unserer Sicht in jedem Fall besser als ein Briefkasten. Schließlich stand eine vollversorgende Apotheke in Hüffenhardt gar nicht zur Disposition. Die Chancen der Digitalisierung sollten im Sinne der Patientinnen und Patienten genutzt werden – auch in der Arzneimittelversorgung. Ob ein solcher Automat aus den Niederlanden durch eine deutsche Versandapotheke oder durch eine nahe gelegene Vor-Ort-Apotheke betrieben wird, ist erstmal eine nachgelagerte Frage. Dass dieser Automat von einem ausländischen Anbieter etabliert wurde, macht ihn nicht grundsätzlich zu einer schlechten Idee. Aber für die Schlussfolgerung, wir würden uns für einen Abgabeautomaten eines ausländischen Versenders anstelle einer vollversorgenden Apotheke stark machen, findet sich in unserem Artikel kein Beleg. Tatsächlich ist aus unserer Sicht ein Abgabeautomat wie in Hüffenhardt kein Modell für den städtischen Ballungsraum, sondern für die unterversorgte Fläche.
Mehr zum Thema
Hüffenhardt, Versandhandel, Dienstleistungen
AOK: Lieber ein DocMorris-Automat als die vollversorgende Apotheke
Kommentar
Fake News von der AOK
DAZ.online: Allerdings behaupten Sie in Ihrem Beitrag ja fälschlicherweise auch, dass Spahn solchen Automaten „die rechtliche Grundlage“ entziehen will. Das Gegenteil ist der Fall: Laut Entwurf sollen Versender solche Ausgabestationen unter gewissen Voraussetzungen betrieben dürfen. Wie kommen Sie also zu der Aussage?
Richard: In der Tat sollen auch Versandhändler zukünftig Ausgabestationen einrichten dürfen – allerdings gerade nicht in der Form, wie in Hüffenhardt praktiziert. Der aktuelle Gesetzesvorschlag verlangt nämlich die Vorlage und Abzeichnung der Original-Verordnung, so dass eine entsprechende Umsetzung de facto allenfalls nach Einführung des E-Rezepts möglich wäre. Aber selbst dann ist fraglich, ob ein Terminal mit Ausgabestation, wie er in Hüffenhardt existierte, statthaft wäre. Dort erfolgte die Belieferung aufgrund einer elektronischen Sichtung.
Ist DocMorris eine Apotheke?
DAZ.online: Sie schreiben auch „Die persönliche fachkundige Beratung gewährleistete eine Videoschaltung in die Stammapotheke im niederländischen Heerlen.“ Ist DocMorris für die AOK eine Apotheke?
Beckmann: Nach den gesetzlichen Regelungen ist DocMorris eine Apotheke. Entsprechendes wird über die „Länderliste“ des Bundesgesundheitsministeriums konkretisiert. Danach darf aus den Niederlanden ein Arzneimittelversand nach Deutschland erfolgen, wenn neben der Versandapotheke eine Präsenzapotheke unterhalten wird.
DAZ.online: Aber die Länderliste ist doch eher ein Argument GEGEN die Belieferung von DocMorris. Schließlich ist dort die Pflicht einer Präsenzapotheke vorgegeben. Haben Sie die DocMorris-Präsenzapotheke jemals gesehen?
Richard: Die Frage, ob DocMorris die gesetzlichen Vorgaben erfüllt, wird nicht von uns entschieden. Solange DocMorris als Versandapotheke nach Deutschland liefern darf, gehen wir davon aus, dass sie die rechtlichen Vorgaben erfüllt. Ihre Frage geht aber vom Thema weg: Für den Patienten am Ausgabeautomat ist es doch nicht entscheidend, wie Räume in Heerlen aussehen, sondern ob er hier vor Ort die Chance hat, von einer pharmazeutischen Fachkraft beraten zu werden.
Mehr zum Thema
AOK-Bundesverband zum Rx-Versandverbot
„Der Rx-Versand mag nicht das beste Beispiel für Digitalisierung sein“
DAZ.online: Sie werben auch für die konsequentere Umsetzung und Beachtung des Honorargutachtens aus dem BMWi und behaupten, dass die Apotheken laut Gutachten nicht gefährdet sind. Allerdings weisen selbst die Gutachter darauf hin, dass es 7600 Apotheken wirtschaftlich schlecht geht. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Richard: Die ABDA und die AOK bewerten das Gutachten grundsätzlich sehr unterschiedlich. Das haben wir in der Vergangenheit ausführlich diskutiert und werden uns hier und jetzt sicherlich nicht einig. Zur ganzen Wahrheit des Gutachtens gehört jedoch die Botschaft, dass die Apothekenversorgung als Ganzes nicht gefährdet ist. Kritischere Entwicklungen betreffen überwiegend Apotheken in wettbewerbsstarken Ballungsräumen und nicht den Apothekenmarkt insgesamt.
DAZ.online: Weiterhin behaupten Sie, dass eine Beschränkung des Versandhandels ein Problem für die Versorgung wäre. Welches Interesse haben die Krankenkassen an einer Stärkung des Versandhandels und insbesondere an einer Bevorteilung des multinationalen Konzerns DocMorris?
Beckmann: Wir haben kein Interesse an einer Stärkung des Versandhandels, aber im Sinne der Patientinnen und Patienten an seinem Fortbestehen. In unserem Artikel erläutern wir mehrfach den Zusammenhang zwischen dem existierenden Fachkräftemangel und einer nötigen Strukturveränderung der Apotheken, um die Arzneimittelversorgung in der Fläche zu sichern. Dabei sehen wir den in- und ausländischen Versandhandel als eine sinnvolle Versorgungsoption, insbesondere in Regionen, in denen der Weg zur nächsten Apotheke weit ist. Im Übrigen kam auch das Gutachten des BMWi zu dem Ergebnis, dass aus der Sicht einer flächendeckenden Versorgung Botendienste von Vor-Ort-Apotheken und Lieferungen von Versandapotheken effiziente ergänzende Versorgungsformen der Bevölkerung in der Fläche sind.
Richard: Nochmal klargestellt: Uns liegt die Versorgung der Versicherten am Herzen und nicht die Verbesserung von Marktchancen eines Anbieters oder Marktsegments. Dabei haben wir überhaupt kein Interesse an einer Bevorteilung ausländischer Versandapotheken – im Gegenteil: Bekanntlich bewerten wir die gelebte Praxis ausländischer Versandapotheken kritisch, Boni zu gewähren: Schließlich handelt es sich bei den an die Patienten ausgeschütteten Geldern um Mittel der Solidargemeinschaft. Darauf haben wir schon des Öfteren hingewiesen. Insofern ist Ihre zugespitzte Interpretation für uns nicht nachvollziehbar.
Vor dem Hintergrund, dass Anbieter wie DocMorris bekanntlich auf Dauer nicht aus dem deutschen Markt ausgeschlossen werden können, könnten unsere Reformüberlegungen Ansatzpunkte für konkurrenzfähige Angebote gerade von Vor-Ort-Apotheken für eine zukunftsfähige flächendeckende Versorgung bieten. Nochmal: Es geht uns überhaupt nicht darum, die vollversorgenden Apotheken abzulösen, sondern durch Regelungsöffnungen die Möglichkeiten für Präsenzangebote für die Versicherten zu verbessern. Unsere Vorschläge zu neuen Betriebsformen sind eine Alternative zur bisherigen Versorgung, wenn in der Region keine vollversorgende Apotheke mehr vorhanden ist. Unter welchen Bedingungen diese ergänzenden Betriebsformen statthaft wären, wäre durch entsprechende Regelungen zu konkretisieren.
Beckmann: Filialnetze sind „Ketten im Kleinen“
DAZ.online: Aus Ihrer Sicht ist es der Fachkräftemangel in den Apotheken, der dazu führt, dass man über alternative Versorgungsmodelle nachdenken sollte. Können Sie das erläutern?
Richard: Der Fachkräftemangel ist ein wichtiger Aspekt bei der Frage, wie eine alternde Gesellschaft auch künftig qualitativ hochwertig gerade auch in der Fläche versorgt wird. Es geht uns bei der Strukturdebatte darum, dass Patientinnen und Patienten auch künftig eine sichere Arzneimittelversorgung haben – gerade auch auf dem Land. Leider ist es Fakt, dass in ländlichen Gebieten bereits heute Nachwuchsprobleme bestehen. Das liegt an vielen Faktoren, beispielsweise an der höheren Attraktivität von städtischen Arbeitsplätzen. Nicht alles lässt sich mit mehr Geld kompensieren, wie die Berichterstattung zur vergeblichen Nachwuchssuche von Apothekern und Ärzten auf dem Land zeigt. Vor diesem Hintergrund sind unsere Reformvorschläge zu verstehen. Wie wir deutlich schreiben, halten wir persönliche pharmazeutische Angebote für wünschenswert. Diese können aber in der Fläche nur mit spürbarer struktureller Flexibilisierung der Anforderungen an eine Apotheke und der Nutzung digitaler Versorgungsangebote erhalten werden. Hierzu nennen wir konkrete Ansatzpunkte wie Öffnungszeiten, mobile und digitale Angebote, zentralisierte Rezepturherstellung et cetera. Mit solchen Konzepten kann die persönliche Beratungskompetenz der Apothekerinnen und Apotheker insbesondere in der Fläche für die Versicherten erhalten werden. Wichtig ist uns dabei die Suche nach regional angepassten Möglichkeiten und regionalen Vertragsmöglichkeiten. Hierfür stehen wir als AOK.
DAZ.online: Sie werfen den Apothekern auch vor, sich jeglicher Weiterentwicklung der Versorgung in den Weg zu stellen. Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund dieser Aussage, dass es die Apotheker sind, die in einigen Projekten und in der Gematik das Thema E-Rezept entscheidend voranbringen, dass die Apotheker mit einer AOK ein innovatives Arzneimittelprojekt in Sachsen/Thüringen betrieben und dass die AOK selbst beim Thema E-Rezept bislang wenig bis gar nichts vorzuweisen hat?
Richard: Die AOK verweigert sich keinem konstruktiven Dialog, das zeigt doch das von Ihnen zitierte Beispiel. Wir bewerten das E-Rezept bekanntlich positiv und haben keinen Zweifel daran, dass alle an der Versorgung Beteiligten – auch die Apothekerschaft – diese Aufgabe konstruktiv umsetzen. Das ist aber hier nicht das Thema. Neben der Digitalisierung brauchen wir die strukturelle Flexibilisierung, damit auch persönliche Beratungsangebote in strukturschwachen Gebieten erhalten beziehungsweise geschaffen werden können.
Mehr zum Thema
Positionen zur Bundestagswahl
AOKen: Retax-Drohung, Apothekenketten und Versand-Verträge
DAZ.online: Im Artikel behaupten Sie auch, dass Filialapotheken Einzelapotheken „verdrängen“. Haben Sie Belege für eine solche Aussage?
Beckmann: Diese Belege liefert die ABDA selbst. Danach steigt die Zahl der Filialapotheken, während die Zahl der Einzelapotheken ohne Filialen sinkt. Hierzu schreibt die ABDA ja selbst: „Die Filialisierung nimmt zu.“ Unsere Überlegung, dass limitierte Filialnetze „Ketten im Kleinen“ sind, ist übrigens nicht neu. Auf diese Idee ist auch der damalige DAV-Vorsitzende Keller bei der Einführung dieser Regelung gekommen. Für die Versorgung der Patientinnen und Patienten ist es nicht entscheidend, wer eine Apotheke besitzt.
DAZ.online: Letztlich haben Sie große Probleme mit der Etablierung vergüteter pharmazeutischer Dienstleistungen. Worum geht es Ihnen?
Richard: Wir haben Bedenken, wenn Versichertengelder in relevanter Höhe für nicht klar definierte pharmazeutische Dienstleistungen in einem intransparenten Verteilungsmechanismus ausgelobt werden, wie es der Gesetzentwurf jetzt vorsieht. Es ist jedoch nicht richtig, dass wir pharmazeutische Dienstleistungen pauschal ablehnen. Nur muss die Leistung konkret und nachvollziehbar sein, und sie muss bei unseren Versicherten ankommen. Aufgrund der regional unterschiedlichen Gegebenheiten sehen wir zudem keine Regelungsnotwendigkeit für die Bundesebene – zum Teil gibt es ja bereits entsprechende Vereinbarungen von den AOKen vor Ort.
DAZ.online: Vielen Dank für das Gespräch.
8 Kommentare
GKV
von Köhler H. am 06.11.2019 um 13:51 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Versuch
von Hubert Kaps am 06.11.2019 um 13:27 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Zwei Fachmänninen
von Roland Mückschel am 06.11.2019 um 12:25 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
AOK,s
von Ruf Tatjana am 06.11.2019 um 10:07 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Jaja, die netten Damen von der AOK-Raststätte...
von Murat Baskur am 06.11.2019 um 8:30 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Jaja, die netten Damen von der AOK-
von Roland Mückschel am 06.11.2019 um 9:43 Uhr
AW: Jaja, die netten Damen von der AOK-
von Hermann Eiken am 06.11.2019 um 13:17 Uhr
GKV
von Anita Peter am 06.11.2019 um 8:17 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.