Dr. Frank Diener (Treuhand)

Wie könnte der Apothekenmarkt 2022 aussehen?

Postdam - 27.11.2019, 14:00 Uhr

Dr. Frank Diener, Geschäftsführer der Treuhand, erwartet bis 2022 weitreichende Veränderungen im Apothekenmarkt. (s / Foto: Treuhand)

Dr. Frank Diener, Geschäftsführer der Treuhand, erwartet bis 2022 weitreichende Veränderungen im Apothekenmarkt. (s / Foto: Treuhand)


E-Rezept, neue Botendienst-Regelungen, pharmazeutische Dienstleistungen, Telepharmazie. Die Apotheker mögen diese Veränderungen teils kritisch sehen – aber sie werden früher oder später kommen. Auf der Versammlung der Landesapothekerkammer Brandenburg hat Treuhand-Chef Dr. Frank Diener dargestellt, welche Veränderungen sich in den Arbeitsabläufen und in den betriebswirtschaftlichen Ausrichtungen der Apotheken in den nächsten drei Jahren ergeben könnten. Seine Botschaft an die Apotheker: Wehren Sie sich nicht gegen die neuen Strukturen, nutzen Sie sie als Chance!

Dr. Frank Diener beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Entwicklungen im Apothekenmarkt. Der ehemalige Wirtschaftschef der ABDA ist seit Jahren Generalbevollmächtigter der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover. Zu seinen Aufgaben gehört es daher natürlich auch, den Apothekern aufzuzeigen, welche Veränderungen ihnen ins Haus stehen, wenn das E-Rezept kommt, telepharmazeutische Beratungen ermöglicht werden und Botendienste zur Standard-Versorgung werden.

Am heutigen Mittwoch in Potsdam blickte Diener dazu auf die möglichen Entwicklungen der kommenden drei Jahre. Seine Prognose für das Jahr 2020 ist allerdings: Zunächst wird es keine weltbewegenden Veränderungen geben, vielmehr könnten sich die derzeitigen Entwicklungen fortsetzen. Denn: Die von der Bundesregierung und vom Gesetzgeber beschlossenen Änderungen im Apothekenmarkt werden 2020 noch nicht greifen. Die per Verordnung beschlossenen Änderungen am Apothekenhonorar (BtM-Vergütung und Notdienstpauschale) treten zwar im Januar 2020 in Kraft und die neue Botendienstregelung ist jetzt schon wirksam. Die für die Einführung des E-Rezeptes wichtigen, strukturellen Festlegungen (Gematik Spezifikationen im Sommer 2020 und Änderungen in den Verträgen zwischen Kassen, Ärzten und Apothekern) kommen aber erst im Laufe des nächsten Jahres.

Bemerkenswert ist, dass Diener schon für 2020 eine weitere Marktspreizung vorhersagt. Die großen Apotheken würden weiter wachsen, während die kleinen mehr und mehr Probleme bekämen. Ein weiterer Effekt: Durch weitere Schließungen müsste frei werdender Umsatz in einer Größenordnung von etwa 200 Millionen Euro verteilt werden. „Das ist mehr als Sie durch die Notdienstpauschale im Jahr einnehmen“, sagte Diener. Ansonsten werde sich der Wareneinsatz weiter verteuern, das Umsatzplus werde daher weiter „gefressen“. Außerdem würden die Personalkosten marktbedingt steigen. Unter dem Schnitt erwartet Diener für 2020 „stagnierende Betriebsergebnisse“. Die kommenden Honorar-Anpassungen haben für ihn eher „marginale Bedeutung“. Die Erhöhung der Notdienstpauschale bringe rein rechnerisch etwa 2000 Euro mehr pro Jahr in die Apotheke, die neue BtM-Vergütung etwa 750 Euro mehr.

Diener: Fünf große Veränderungen stehen an

2021 und 2022 stehen laut Diener aber diverse tiefgreifendere, strukturelle Veränderungen an. Grund dafür seien „systemverändernde Bausteine“ der teilweise noch geplanten Apothekenreform. Diener sieht hier fünf größere Veränderungen, die den Alltag der Apotheker ändern könnten:

1) Das E-Rezept

2) Der Botendienst als Regelleistung. Schon jetzt gibt es den Botendienst nicht mehr nur im begründeten Einzelfall.

3) Telepharmazeutische Beratungen. Diese sind auch in der schon beschlossenen Sammelverordnung enthalten und ermöglichen künftig, dass der Botendienst auch ohne pharmazeutisches Fachpersonal angeboten kann – wenn die Beratung vorher per Telepharmazie erfolgte. Hier erwartet Diener erhebliche Veränderungen im Bereich Öffnungszeiten. Denn: Während der normalen Öffnungszeiten werden nur die wenigsten Apotheker Video-Sprechstunden anbieten können.

4) Die automatisierte Arzneimittelabgabe aus der Offizin. Im noch nicht beschlossenen Apotheken-Stärkungsgesetz ist dazu eine Neuregelung vorgesehen, die es auch Versendern unter bestimmten Bedingungen ermöglichen soll, solche Abgabestationen anzubieten.

5) Der E-Medikationsplan mit Vergütung. Die Einführung des E-Medikationsplans ist beschlossene Sache und soll in der Telematikinfrastruktur als eine der ersten Anwendungen umgesetzt werden. Die Vergütung für Apotheker, wenn sie Daten in einem E-Medikationsplan bearbeiten, war kürzlich in einem Gesetzentwurf des GSAV vorgesehen, wurde dann aber doch nicht beschlossen.

Diener: Neue Möglichkeitsbereiche für Apotheker

Diener erklärte, dass sich durch diese Veränderungen ein neuer „Möglichkeitsbereich“ für Apotheker ergebe. Allerdings stehen diese neuen Möglichkeiten auch mit teils großen Veränderungen im Arbeitsablauf der Apotheker in Verbindung. Die folgenden Gedanken dazu führte der Treuhand-Chef aus:

1) Durch das E-Rezept wird sich ein neuer Kundentypus ergeben, der „Fernbesteller“.

2) Durch die neuen Botendienst-Regelungen ergibt sich ein neues Wettbewerbselement, mit dem sich die Apotheker untereinander abgrenzen können, aber auch vom Versandhandel. Was die konkrete Umsetzung in der Apotheke betrifft, empfahl Diener den Apothekern, eine Apotheken-individuelle Konzeption des Botendienstes. Abhängig von der Lage der Apotheke (Stadt/Land) aber auch von der Kundschaft sollten die Apotheken ihr eigenes Botendienst-Angebot konzipieren.

3) Die telepharmazeutische Beratung eröffne einen neuen Kanal zu den Kunden. Auch hier empfahl der Treuhand-Chef eine eigene Konzeption möglicher telepharmazeutischer Leistungen.

4) Sowohl die Telepharmazie aber auch die Pläne zu den automatisierten Abgabestationen werden sich auf die Öffnungs- und Arbeitszeiten der Apotheker auswirken. Durch die Kombination dieser ersten vier Punkte bräuchten die Apotheker einen „virtuellen Arbeitsplatz“ – also einen Arbeitsplatz, um mit Kunden digital zu kommunizieren. Daraus ergeben sich laut Diener nicht nur Gedanken über die Umgestaltung der Apotheke (Wo wird dieser Arbeitsplatz eingerichtet?) aber auch Fragen nach der Fort- und Weiterbildung des Personals. Insgesamt sollten sich Apotheker Gedanken über ihren eigenen „Marktauftritt“ machen und diesen konzipieren, so die Empfehlung.

5) Durch den E-Medikationsplan ergeben sich neue Chancen auf eine intensivere pharmazeutische Betreuung aber auch Chancen auf eine neue Vergütung.

Diener empfahl den Pharmazeuten, bei diesen Veränderungen nicht die Angst überwiegen zu lassen, sondern die Chancen zu sehen. „Das ist anders als beim EuGH-Urteil von 2016. Da konnten Sie nur mit Zorn raufgucken und nichts gegen die Wettbewerbsverzerrung machen. Bei diesen Veränderungen können Sie selbst mitgestalten“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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12 Kommentare

Analyse

von Roland Mückschel am 02.12.2019 um 17:53 Uhr

Dafür wird der bezahlt?
Was für ein Lettengeschwätz.

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Plan C

von Karl Friedrich Müller am 28.11.2019 um 12:01 Uhr

den Plan C hatte ich anders in Erinnerung. Da sollten doch die großen Apotheken den kleinen etwas abgeben, dass die überleben und die flächige Versorgung garantieren.
So ist es eher, dass die kleinen die großen noch fetter machen, eine Zeit lang, bis sich die Versender richtig etabliert haben. Dann bleiben nur noch die ganz,ganz großen Apotheken übrig.
Damit wird dann der Besuch einer Apotheke im Rahmen einer (Groß-) Städte Tour noch möglich....
Sonst nur noch Automaten, die wie die Bankautomaten auch noch abgebaut werden wegen mangelnder Rentabilität und Versand: die Mitarbeiter sind alle im Gespräch, der nächste frei werdende Mitarbeiter ist für Sie reserviert.....

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Umverteilung durch Schließungen

von Wolfgang Müller am 27.11.2019 um 16:26 Uhr

Liebe DAZ, lieber Frank Diener, lieber Kollege Bauer, diese Diskussion ist hochinteressant. Zur aktuellen Aufgabenstellung jedes Einzelnen und der Berufspolitik erscheint sie mir besser als Alles, was es bisher dazu gab.

Die realistische Einschätzung der Lage von Frank Diener, kombiniert mit der exzellenten Bauer´schen Zusammenfassung der Sanierungs-Notwendigkeiten unseres völlig überregulierten, überverwalteten und drangsalierten Geschäfts zeigen, was eine "Kluge Apothekerschaft" schnell tun muss.

Doch ein Problem gibt es: Wurden die "200 Mio. Umsatz-Neuverteilung durch Schließungen" irgendwie missverstanden? Ist "Gewinn" gemeint? Oder: Um welchen Zeitraum geht es? Vielleicht wurde auch eine Null vergessen?

Um mal bei einer runden Summe zu bleiben: Schlössen in den nächsten 5 Jahren 1500 Apotheken, mit durchschnittlich 1,3 Mio € Umsatz, sind wir doch schon bei 2 Milliarden neu zu verteilendem Umsatz.

Da es durchaus Fachleute gibt, die von locker 7.000 - 10.000 überflüssigen Apotheken ausgehen, kann man hier als Szenario-Analyst ohne unseriös zu werden sogar den zweistelligen Milliardenbereich betrachten.

Die Klärung dieser Frage ist m. E. wichtig, da sich um diese "Umverteilungs-Zahl durch Schließungen" politisch und berufspolitisch praktisch ALLES dreht:

Ist es besser, möglichst viele Apotheken zu erhalten, oder ist es besser, diesen großen Umverteilungs-Brocken auf eine geringere Anzahl "richtig starke" zu verteilen ("Friedhofs-Effekt")?

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Telepharmazie und Abgabeautomaten

von Karl Friedrich Müller am 27.11.2019 um 15:30 Uhr

Bedeuten Arbeit rund um die Uhr? Und weitere Stärkung der Versender.
Ich lese hier nur, dass ein Monster von Spahn geschaffen wurde, dass sehr viele an den Kragen geht.
Und weitere Bürokratie wird geschaffen
Es gibt nichts Positives, gar nichts.
Die ländlichen Gebiete werden weiter angehängt. Man bildet sich ein, alles könne virtuell und online erledigt werden. Das ist eine ganz miese Einstellung zu den Menschen. Ganz mies.
Dazu werden die Dienstleistungen nur ein weiteres Loch in die Tasche brennen. Das ist ja beabsichtigt, damit das Sterben noch schneller geht

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Zukunft und Marktrealität gestalten eigene Abläufe ...

von Christian Timme am 27.11.2019 um 15:14 Uhr

... im regulierten Quadrat von Patient, Arzt, Apotheke und Versendern. Da weder Politik noch Leistungserbringer im deutschen Gesundheitswesen den Patienten als Zielperson erkannt haben ... könnten sich noch viele Verhaltensweisen völlig losgelöst von den gewünschten Vorgaben entwickeln.

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Umsatzsteigerung durch Schließungen-Notdienstpauschale?

von Peter Bauer am 27.11.2019 um 15:04 Uhr

Die 200Mio Umsatzverteilung durch Apothekenschließungen mit den Einnahmen aus dem Notdienstfond gleichzusetzen hören sich aus den Mund eines Steuerberaters etwas misslungen an.Was da im Gewinn der einzelnen Apotheke übrigbleibt ist vernachlässigbar.Es werden auch immer nur neue Regelungen auf das bestehende draufgepackt ,aber das bestehende und in großen Teilen veraltet und überholte nicht durchforstet,in Frage gestellt und rausgeschmissen.Der generelle Botendienst wird doch schon jahrelang gemacht.Jetzt wird halt das Gesetz angepasst.Die Identitätsprüfungen sind vollkommen überflüssig und bestehen eigentlich in den meisten Fällen nur noch im Analysenprotokollausfüllen.Ich habe in den letzten 25Jahren an die 900 Notdienste geschoben und hatte schätzungsweise 5 bis 10 echte(!) Notfälle.Alle anderen "Notfälle" waren aus meiner Sicht gelinde gesagt keine.ich würde auch die Notdienstgebühr zwischen 22Uhr und 6Uhr morgens auf 10 bis 20€ anheben und für Notfallrezepte freimachen.An Sonn-und Feiertagen ist freier Einkauf zwischen meinetwegen 8 und 12Uhr und 15 und 20Uhr ohne Gebühr ,ausserhalb dieser Zeiten nur mit der oben genannten Notdienstgebühr.Leider entscheiden ja diejenigen über diese Regelungen ,die noch nie einen Notdienst gemacht haben.Ist das QMS,ausser für diejenigen die daran verdienen,in dieser Form wirklich notwendig?Da wird mehr "hingebogen",als
wirklich "gelebt".Nicht nur in Apotheken!
Gefährdungsbeurteilungen,teils für verschiedene Tätigkeiten für einen Stoff mehrfach,die ständig überprüft werden müssen.Ein Rezepturburokratiewahnsinn,der nie mehr einen Menschen interessiert und der überhaupt keinen Rückschluß mehr auf die Qualität der tatsächlich gemachten Rezeptur machen lässt.Papier nach den Anforderungen ausfüllen und abheften.So kann man noch lange weitere Dinge aufzählen ,die zu überprüfen wären,aber sich schon so eingebrannt haben,dass kaum mehr einer daran denkt.
Zusammen machen diese vollkommen veralteten sehr viel Arbeit .Damit kosten Sie unnötigerweise viel Geld,aber noch viel mehr wertvolle Zeit und körperliche Energie,die weitaus sinnvoller genutzt werden könnte.
Vielleicht greift da mal so ein
Bürokratenschlaufuchs an-das würde den Apotheken wirklich helfen

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AW: Umsatzsteigerung durch Schließungen-

von Karl Friedrich Müller am 27.11.2019 um 15:20 Uhr

Bravo

AW: Umsatzsteigerungen durch Schließungen contra Sanierung

von Wolfgang Müller am 27.11.2019 um 17:05 Uhr

Setzte man das Alles um, was Sie da völlig richtig als notwendige Sanierungsmaßnahmen aufgezählt haben, entfiele aber die "Umsatz-Umverteilung durch Schließungen", m. E. im Milliarden-Maßstab (s. o.).

Und vom AVOXA-Umsatz würde nur noch ein kleiner Teil übrig bleiben.

Revisionen verlören ihren Reiz.

Kann man diesen Schrecken als Apothekerschaft wirklich wollen, am Ende nur, um die Flächendeckung mit normalen, Inhaber-geführten Vor-Ort-Apotheken zu erhalten?

AW: Identitätsüberprüfungen

von Holger am 28.11.2019 um 13:23 Uhr

... sind für Sie " vollkommen überflüssig und bestehen eigentlich in den meisten Fällen nur noch im Analysenprotokollausfüllen"? Sorry, aber nach dem Fall der an abgefüllter Glucose verstorbenen Schwangeren vor ein paar Wochen kann ich das nur als menschenverachtenden Schwachsinn abkanzeln. Wenn Sie wirklich so denken, sollten Sie Ihre Approbationsurkunde freiwillig zurückgeben.

AW: ...

von Wolfgang Müller am 28.11.2019 um 18:32 Uhr

Das ist interessant. Gibt es inzwischen Hinweise, dass dort keine WE-Prüfung durchgeführt wurde, und es deswegen zu der Glucose-Verwechslung kam? Hatte der Großhandel da Lidocain in einem mit "Glucose" beschrifteten Behältnis geliefert, mit einem von der Qualified Person des Herstellers auf "Glucose" ausgestellten Freigabe-Zertifikat?

Im übrigen: Es war schon immer zu befürchten gewesen, dass irgendwann mal auch jemand aus der Kollegenschaft mit einschlägiger Genugtuung/einschlägigem Spaß am Leid der Anderen diesen schrecklichen Fall auf geschmacklose Weise missbraucht. Um irgendein Süppchen zu Lasten der Offizin-Apothekerschaft darauf zu kochen. Sollten Sie das gerade gewesen sein, Holger? Hätte ich eigentlich nicht von Ihnen gedacht ....

AW: Gegenfrage

von Holger am 29.11.2019 um 9:27 Uhr

Gibt es Hinweise, dass konkret gegen jemand ermittelt wird, der NACH der WE-Prüfung das Lidocain in die Glucose gemischt hat?

Es gibt doch nur zwei Varianten - entweder es war vorher schon drin oder es ist erst nachträglich reingekommen. Wie kann ich diese beiden Varianten voneinander differenzieren? Mit einer tatsächlich durchgeführten WE-Prüfung, so wie es unsere Regeln vorschreiben! Ob die in der betroffenen Apotheke durchgeführt wurden oder nur ein Protokoll gefaked - das entzieht sich meiner Kenntnis. Und sollte, wie Sie ja vermuten, kriminelle Energie hinter der Beimischung stecken, dann gibt es dagegen niemals einen 100%igen Schutz. Ich sehe auch nicht, dass da irgendwie ein Süppchen gekocht wird, egal zu wessen Lasten. Das wird im Moment medial als tragischer Einzelfall behandelt und das finde ich auch korrekt. Alles Weitere wird bitte diskutiert, wenn die Staatsanwaltschaft oder ggf. ein Gericht zu einer Entscheidung gelangt sind.

AW: Bürokratie = Versorgungssicherheit?

von Hummelmann am 29.11.2019 um 20:16 Uhr

Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum und wie die völlig ausufernde Bürokratie im Apothekenwesen die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln verbessern soll. Mit Abstand die wenigste Zeit des Tages verbringen wir mit unserer eigentlichen Kernaufgabe, weil sich an jeder Ecke der Apotheke mindestens noch ein Gesetz, Paragraf, Liefervertrag oder sonst irgendein unnötiges Protokollformular finden lässt, das gerade unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht.

MERKE:
Mit noch so vielen Protokollen werden Fehler nicht verhindert, wir werden die begangenen Fehler allenfalls protokollieren (wenn wir Glück haben).

Wenn ein chinesischer Arzneistoffhersteller sechs Jahre lang verunreinigte und krebserregende Sartane produzieren kann, hunderte von Arzneimittelherstellern diese Ware ungeprüft zu Tabletten verpressen und sich nach dem Bekanntwerden NIEMAND darum kümmert, wie man das zukünftig verhindern kann, sollten wir nicht den Stab über eine Apothekenmitarbeiterin brechen, die an einem persönlichen Unglückstag unabsichtlich das falsche Pulver in Tütchen abfüllt.

Die vielen Protokolle in der Pharmaindustrie vom Hersteller in China bis zur Tablettenabgabe in der Apotheke konnten offensichtlich die Verunreinigungen nicht verhindert. Die Medien, die Politik und die zuständigen Aufsichtsbehörden interessieren sich noch nicht einmal dafür, wie man solche Fälle in Zukunft verhindern kann. Aber die kleine Apotheke vor Ort, der so etwas einmalig passiert, wird sofort geschlossen und von der Polizei medienwirksam an den Pranger gestellt, noch bevor die Ermittlungen aufgenommen werden und lange bevor ein Richter sein Urteil gesprochen hat.

Mal im Ernst:
Glauben Sie, wenn ALDI, REWE, LIDL oder ein anderer Handelsriese einen Fehler bei der Etikettierung eines giftigen Artikels unterlaufen würde, dass man dann gleich den ganzen Markt schließen würde? Oder noch besser, dass die zuständigen Behörden gleich die ganze Kette bundesweit schließen würde? Ganz sicher nicht. Und das ist auch richtig so.
Denn erstens ist bei uns jemand erst dann schuldig, wenn ein rechtskräftiges Urteil über ihn gesprochen wurde. Und zweitens bestand im konkreten Glucose-Fall vermutlich kein Wiederholungsrisiko.
Deshalb refelxartig gleich nach noch mehr Prüfungen und Prüfprotokollen zu rufen ist falsch. Möglicherweise passieren sogar mehr Fehler, wenn man sich auf seine Aufgabe nicht mehr ausreichend konzentrieren kann, weil von den Mitarbeitern so viele Verwaltungsakte gleichzeitig bearbeitet werden müssen.
Wenn man also als Apotheker die ausufernde Bürokratie in Frage stellt, könnte das durchaus ein diskussionswürdiger Vorschlag sein. Deshalb gleich die freiwillige Rückgabe der Appobationsurkunde zu fordern, ist reine Polemik und dient ganz sicher nicht der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln.

Oder ganz anders ausgedrückt:
Wenn ich für jedes Protokoll 5€ Extrahonorar bekomme, schreibe den ganzen Tag nur noch Protokolle und öffne meine Apotheke jeden Tag nur noch maximal zwei Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags für die Abholung der vorbereiteten Packungen.
Wenn Sie mal die einzelnen Zeiten addieren, womit wir in unserem Alltag beschäftigt sind, dann sind wir nicht mehr weit davon entfernt.

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