Sinnvoller Einsatz der CGRP-Antikörper (Teil 1 von 2)

Migräne-Leitlinie um Antikörper ergänzt

Stuttgart - 16.12.2019, 09:01 Uhr

Für wen eignen sich die innovativen CGRP-/CGRP-Rezeptor-Antikörper? Kann man sie auch wieder absetzen? Diese Fragen beantwortet das neue Addendum zur Migräne-Leitlinie. (m / Prostock-studio / stock.adobe.com)

Für wen eignen sich die innovativen CGRP-/CGRP-Rezeptor-Antikörper? Kann man sie auch wieder absetzen? Diese Fragen beantwortet das neue Addendum zur Migräne-Leitlinie. (m / Prostock-studio / stock.adobe.com)


Seit einem Jahr bereichern Migräne-Antikörper die Prophylaxe der Migräne. Doch wie soll man umgehen mit Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab? Wie lange sollten die Antikörper überhaupt gegeben werden – kann man sie auch wieder absetzen oder bleiben sie eine Dauertherapie? Und was sind Vorteile gegenüber den bisherigen Migräne-Prophylaktika?

Ab Juli 2018 ging es mit den innovativen Antikörpern zur Migräne-Prophylaxe bei den FDA- und EMA-Zulassungen Schlag auf Schlag. Mittlerweile bereichern bereits drei Antikörper – Erenumab (Aimovig®), Galcanezumab (Emgality®) und Fremanezumab (Ajovy®) – im CGRP-System (Calcitonin Gene-Related Peptide) die Vorbeugung von Migräne-Anfällen, sowohl für episodische als auch chronische Migräne. Ein vierter CGRP-Antikörper hängt derzeit in der Pipeline, für Eptinezumab hat Alder Biopharmaceuticals die Zulassung bei der FDA im April dieses Jahres eingereicht und erwartet eine Entscheidung bis zum Februar 2020.

Zeit, sich um eine Empfehlung zum Umgang mit den Migräne-Antikörpern Gedanken zu machen. Dieser Ansicht war die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) – sie hat die S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ um Empfehlungen zum rationalen Umgang in der Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor ergänzt.

Wirksam bei Migräne

Die Experten kommen zu dem Schluss, dass alle Antikörper im CGRP-System wirksamer sind als Placebo, und zwar sowohl zur Prophylaxe der episodischen als auch der chronischen Migräne (in mindestens den letzten drei Monaten kam es an 15 und mehr Tagen im Monat zu Kopfschmerzen und an mehr als sieben Tagen davon lagen migräneartige Kopfschmerzen vor). So gelingt es mit Erenumab, Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab die monatlichen Migränetage durchschnittlich um 2,9 bis 4,7 Tage zu reduzieren, bei chronischer Migräne um 4,3 bis 6,6 Tage.

Nach drei bis sechs Monaten Antikörpertherapie halbieren sich bei 30 bis 60 Prozent der episodischen Migräniker die Migräne-Attacken. Unter Placebo liegt die 50-Prozent-Responderrate bei 17 bis 38 Prozent. Auch bei chronischer Migräne haben 27 bis 57 Prozent der Patienten nach drei bis sechs Monaten nur noch halb so viele Migräne-Attacken. Wie auch bei der episodischen Migräne liegt die 50-Prozent-Responderrate höher als unter Placebo (15 bis 40 Prozent).

CGRP-Antikörper wirken meist rascher als andere Prophylaktika

Für alle vier Antikörper im CGRP-System konnte ein rascher Wirkeintritt gezeigt werden. Dies stellt nach Einschätzung der Leitlinien-Autoren einen Vorteil gegenüber den bisher etablierten Prophylaktika dar. Bei denen könne die Wirkung zwar ebenfalls schnell einsetzten, doch meist seien – im Gegensatz zu den neuen Migräne-Antikörpern – „einige Wochen der langsamen Auftitrierung notwendig“. Eine erste Wirksamkeitsbeurteilung sei jedoch erst acht bis zwölf Wochen nach Erreichen der tolerablen Zieldosis möglich. Da die Antikörper kein Auftitrieren erfordern, kann bereits acht bis zwölf Wochen nach Therapiebeginn entschieden werden, ob die Therapie wirksam ist oder nicht. Bei anderen Prophylaktika könne dies unter Umständen länger dauern.

Die Leitlinien-Experten haben Daten zum ungefähren Wirkeintritt der Migräne-Antikörper analysiert. Sie kommen für Erenumab und Galcanezumab zu einem Wirkeintritt zwischen ein und zwei Wochen nach Injektion. Besonders rasch soll Eptinezumab wirken – bereits am ersten Tag nach der Gabe der Studienmedikation. Das ist möglicherweise der intravenösen Gabe zu verdanken.

Wer sollte einen Migräne-Antikörper bekommen?

Zugelassen sind alle bislang verfügbaren Antikörper für Migränepatienten mit mindestens vier Migränetagen pro Monat. In seiner Nutzenbewertung fasste der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Beschluss, dass eine Verordnung der CGRP-Antikörper dann möglich sein soll, wenn mindestens fünf Wirkstoffe aus den vier verfügbaren zugelassenen Pharmakotherapien (Betablocker mit Metoprolol und Propranolol), Flunarizin, Topiramat, Valproinsäure oder Amitriptylin nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder wenn gegen deren Einnahme Kontraindikationen oder Warnhinweise bestehen. Bezüglich Patienten mit chronischer Migräne wird empfohlen, dass diese zusätzlich nicht auf eine Therapie mit Onabotulinumtoxin A angesprochen haben.

Auslassversuch nach sechs bis neun Monaten

Der Stellenwert der CGRP-(Rezeptor-)Antikörper bei Patienten, die auf eine herkömmliche Prophylaxe nicht angesprochen haben, wurde in mehreren Studien und Subgruppenanalysen untersucht. In einigen Zulassungsstudien wurden auch Patienten eingeschlossen, die bei episodischer und chronischer Migräne auf frühere Prophylaxe in ausreichender Dosierung und Behandlungsdauer nicht angesprochen hatten. „Aufgrund der bislang vorliegenden Subgruppenanalysen ist die Behandlung mit Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab auch bei Patienten mit bislang therapieresistenter chronischer Migräne mit und ohne begleitenden Medikamentenübergebrauch zu empfehlen.“

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Wie lange sollte die Therapie erfolgen? Auch mit dieser Frage setzten sich die Leitlinienexperten auseinander. Ihrer Einschätzung nach sollte die Therapie zunächst für drei Monate erfolgen. Sei kein „befriedigender Therapieeffekt“ zu diesem Zeitpunkt zu spüren, „wird die Therapie beendet“. Sprechen die Migränepatienten auf die CGRP-Antikörper an, sollte nach sechs bis neun Monaten „ein Auslassversuch unternommen werden, um zu überprüfen, ob die Therapie noch notwendig ist“, so der Rat.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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