EMA-Geschäftsbericht 2019 veröffentlicht

Nach dem Umzug endlich wieder nach vorne blicken

Remagen - 23.06.2020, 15:15 Uhr

Die EMA war äußerst produktiv im vergangenen Jahr. (Foto: picture alliance / ANP)

Die EMA war äußerst produktiv im vergangenen Jahr. (Foto: picture alliance / ANP)


Die Europäische Arzneimittelagentur hat in den letzten zwei Jahren wirklich einiges mitgemacht. Der größte Einschlag war der Brexit-bedingte Abschied vom angestammten Sitz in London. Seit Anfang dieses Jahres mahlen die „zentralen europäischen Zulassungsmühlen“ nun von Amsterdam aus. Die EMA hat sich nicht unterkriegen lassen und hat trotz alledem für 2019 eine stattliche Bilanz vorzuweisen.

Die Europäische Arzneimittelagentur hat ihren Jahresbericht 2019 veröffentlicht, zum ersten Mal digital, das heißt: Der Leser kann durch die Inhalte navigieren und bestimmte Themen vertiefen, zum Beispiel durch Interviews und kurze Videos. EMA-Geschäftsführer Guido Rasi bezeichnet das letzte Jahr als einen entscheidenden Wendepunkt für die EMA, vornehmlich wegen der Verlegung der Agentur von London nach Amsterdam. Der Umzug sei reibungslos verlaufen, schreibt Rasi im Annual Report 2019, obwohl er komplex war. Musste sich die EMA doch zunächst in temporären Büros im Amsterdam Sloterdijk niederlassen, bis das maßgeschneiderte neue Gebäude in Amsterdam Zuidas am 15. November 2019 fertig war, für alle Beteiligten ein Riesen-Kraftakt. Unterdessen mussten die Tagesgeschäfte der Agentur so reibungslos wie möglich weiterlaufen, und das taten sie auch.

66 zentrale Zulassungen

Die EMA erhielt in 2019 insgesamt 117 Erstanträge auf Zulassung, 39 Prozent mehr als 2018. Der Anstieg bricht den in den beiden Vorjahren beobachteten Abwärtstrend. Die Zahl der Anträge für Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) hat sich 2019 verdoppelt (von 17 auf 34). Die Anträge für Biosimilars nahmen um 44 Prozent zu. Es gab zwei Anträge für Arzneimittel der neuartigen Therapierichtungen (ATMPs), gegenüber drei im Vorjahr.

Im Jahr 2019 empfahl die EMA 66 Arzneimittel für eine zentrale Zulassung, davon 30 mit einem neuen Wirkstoff, wobei die folgenden hervorgehoben werden:

  • Vitrakvi® (Larotrectinib), der erste Vertreter einer neuen Arzneimittelklasse für die gezielte Behandlung seltener Krebserkrankungen mit einer Tyrosinrezeptorkinase (NTRK)-Genfusion,
  • Ondexxya® (Andexanet alfa), ein Gegenmittel für erwachsene Patienten, die die Gerinnungsmittel Apixaban oder Rivaroxaban einnehmen,
  • Baqsimi®, das erste nasal applizierbare Glucagon-Präparat zur Behandlung einer schweren Unterzuckerung bei Diabetes,
  • Zynquista® (Sotagliflozin), eine orale Ergänzung zu Insulin für bestimmte Patienten mit Typ-1-Diabetes,
  • Zynteglo®, die weltweit erste Gentherapie zur Behandlung der transfusionsabhängigen Beta-Thalassaämie,
  • Epidyolex® (Cannabidiol), zur Behandlung von zwei seltenen Epilepsie-Formen, das erste Arzneimittel mit einem Cannabis-Wirkstoff in der EU,
  • Sixmo®, eine Burprenorphin-Substitutionsbehandlung für Opioidabhängigkeit und last but not least
  • den ersten Ebola-Impfstoff.

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Drei Arzneimittel (Ervebo®, Xospata® und Zynteglo®) kamen wegen des besonderes therapeutischen Interesses in den Genuss einer beschleunigten Bewertung (Accelerated Assessment). Acht erhielten eine Empfehlung für eine bedingte Genehmigung für das Inverkehrbringen: Ervebo®, Libtayo®, Lorviqua®, Ondexxya®, Polivy®, Vitrakvi®, Waylivra® und Zynteglo®. Sie stehen den Patienten damit frühzeitig zur Verfügung, auch wenn die Pharmaunternehmen noch Daten nachliefern müssen.

Auch das so genannte Life-Cycle-Management hat die Agentur im letzten Jahr weiter auf Trab gehalten. So wurden die Produktinformationen für 405 zentral zugelassene Arzneimittel auf der Grundlage neuer Sicherheitsdaten geändert.

Bekämpfung von Arzneimittelverknappungen

Daneben thematisiert der Jahresbericht noch einige weitere Dauerbrenner, zum Beispiel die Vorbereitung des Pharmasektors auf den Brexit und die Bekämpfung von Arzneimittelverknappungen. Ein neuer Informationsaustausch soll hier Abhilfe schaffen. Im Jahr 2019 hat eine spezielle Task Force das System der Einheitlichen Anlaufstelle (Single Point of Contact, SPOC) ins Leben gerufen. Über diese Plattform können die Mitgliedstaaten Informationen über Verfügbarkeitsprobleme mit Arzneimitteln sowie mögliche Alternativen, die in anderen Mitgliedstaaten vorhanden sind, schnell untereinander austauschen. In der ersten Phase des Pilotprojekts, die von April bis August 2019 lief, wurden die Funktionsweise und der Austausch des SPOC-Systems getestet. Eine zweite Phase ist für 2020 vorgesehen.

Regulatory Science Strategy und Big Data

Die EMA ist auch ein bedeutender Vordenker: Trotz der schwierigen Umstände wurden die Überlegungen zur Regulatory Science Strategy to 2025 im letzten Jahr tatkräftig vorangetrieben. Anthony Humphreys, Leiter Regulierung Task Force Wissenschaft und Innovation bei der EMA, bezeichnet diese nicht nur mit Blick auf Europa, sondern auch weltweit als die „umfassendste regulatorische Wissenschaftsstrategie“, die die Agentur seit ihrer Gründung in Angriff genommen hat. Außerdem haben die Agentur und die nationalen Behörden im Berichtsjahr 2019 wichtige Schritte unternommen, um das Potenzial von Big Data für die Arzneimittelregulierung in der EU zu erschließen.

58 Deutsche arbeiten bei der EMA

Im Dezember 2019 belief sich der Personalbestand der EMA auf 818 Mitarbeiter: 560 Frauen und 258 Männer. 2019 hat die Agentur insgesamt 159 Kräfte verloren. Eine erfolgreiche Rekrutierungsoffensive, die über 5.000 Bewerber anzog, hat dazu beigetragen, einen Teil dieses Verlustes auszugleichen, aber die Rekrutierung und insbesondere die Suche nach der richtigen Expertise wird nach dem Annual Report 2019 ein Schwerpunktbereich der Agentur bleiben. Mit Blick auf die EU-Länder sind die Italiener mit 107 Experten am stärksten vertreten, gefolgt von Spanien (97) und Frankreich (94). Dahinter folgen mit weitem Abstand Deutschland (58), Griechenland (54) und Großbritannien (53). Neun Länder kommen auf zehn bis 20 Mitarbeiter, darunter Österreich und sieben Staaten nicht mal auf zehn, wie etwa die Niederlande.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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