Faktorpräparate aus der Apotheke

Herausforderung Hämophilie-Versorgung

Berlin - 27.08.2020, 11:45 Uhr

Hämophilie ist eine erblich bedingte Störung der Blutgerinnung, die aufgrund ihrer Lokalisation auf dem X-Chromosom meist Männer betrifft. (c / Foto: SciePro / stock.adobe.com)

Hämophilie ist eine erblich bedingte Störung der Blutgerinnung, die aufgrund ihrer Lokalisation auf dem X-Chromosom meist Männer betrifft. (c / Foto: SciePro / stock.adobe.com)


Ab dem 1. September ändert sich der Vertriebsweg für Hämophilie-Produkte: Die Versorgung der Patienten läuft künftig nicht mehr über spezialisierte Zentren, sondern über die Apotheken. Doch die Präparate sind in vielerlei Hinsicht besonders – und nicht jede Apotheke will auf den Zug aufspringen. Andere fühlen sich zwar gut gerüstet für das neue Geschäft, befürchten aber, dass die Versorgung der Hämophilie-Patienten sich verschlechtern wird. Zu ihnen gehört  Markus Kerckhoff, Inhaber der Schloss-Apotheke in Bergisch Gladbach.  

Der Hämophilie-Markt ist im Hinblick auf die Patientenzahl überschaubar: Zwischen 6.000 und 10.000 Betroffene soll es geben. Auf der Webseite des Deutschen Hämophilieregisters (DHR) beim Paul-Ehrlich-Institut heißt es, dort gingen jährlich Meldungen zu fast 8.500 Patienten ein. Etwa 3.000 bis 5.000 der in der Regel männlichen Patienten haben eine schwere Form der Hämophilie. Ihnen fehlen spezielle Gerinnungsfaktoren, die durch plasmatische oder gentechnologisch hergestellte Zubereitungen ersetzt werden (z. B. Immunate®, Advate®, Rixubis®). Zudem steht mittlerweile mit Emicizumab (Hemlibra®) ein monoklonaler Antikörper zur Verfügung, der schon jetzt über Apotheken zu beziehen ist. Nun sollen auch die Faktorpräparate diesem Vertriebsweg folgen.

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Gerinnungsfaktoren aus der Apotheke

Trotz der geringen Patientenzahl ist der Markt lukrativ – die gegen Hämophilie eingesetzten Präparate sind echte Hochpreiser: Die AOK Niedersachsen bezifferte die Ausgaben für ambulante Faktorenversorgung im Jahr 2018 auf 219.000 Euro pro Patient und Jahr. Doch es ist schwer, genaue Zahlen zu finden, der Markt zeichnet sich bislang durch Intransparenz aus. Und genau das ist der Grund, warum die Faktorpräparate künftig nicht mehr direkt von den Herstellern zu den Ärzten vertrieben werden, sondern über die Apotheken – so sollen die Kassen die Kosten kontrollieren können. Die Preisspannenverordnung gilt nunmehr also auch für den Hämophiliesektor. Insbesondere in den Ländern sah man die Umstellung angesichts der seit Jahrzehnten etablierten Versorgungsstrukturen zwar sehr skeptisch. Die große Koalition setzte sich allerdings über die Bedenken des Bundesrats hinweg.

Für einige Apotheken sind die hohen Preise der Arzneimittel ein Grund, in dem Geschäft nicht mitmischen zu wollen – das Risiko bei einem Ausfall ist einfach zu hoch. Hinzu kommt: Die Produkte sind temperaturempfindlich und müssen besonders gelagert und transportiert werden. Darüber hinaus ist eine Dokumentation gemäß Transfusionsgesetz verbindlich. Andere Apotheken hingegen stehen bereits bereit, um sich ein Stück dieses neu aufgetischten Kuchens zu sichern. Und so hat sich bereits ein Verband gegründet: Der VHA (Verband der Hämophilie Apotheken) will Apotheken, die für die Hämophilie-Versorgung bereit sind, unterstützen, die neuen Herausforderungen zu meistern.

Problemfelder Dokumentation, Kühlung und Importweg

Auch Markus Kerckhoff, Inhaber der Schloss Apotheke in Bergisch Gladbach, hat sich für das neue Geschäftsfeld in Stellung gebracht. Er ist im Versandgeschäft tätig und hat schon seit langem Impfstoffe zu seinem Spezialgebiet auserkoren. Eigenen Angaben zufolge laufen mehr als 600.000 Impfdosen jährlich über seine Apotheke. Mit diesen Erfahrungen will er nun auch in der Hämophilie-Versorgung punkten. Er hat ein ausgefeiltes Kühlkettenkonzept in seinem Betrieb etabliert. Und die neuen Dokumentationspflichten scheut er ebenso wenig: Kerckhoff hat vor einigen Jahren ein eigenes Serialisierungs-System geschaffen, das alle relevanten Daten vereint. „Durch die Serialisierung wird aus jeder von uns in Verkehr gebrachten Packung ein Individuum. Durch unser damit verknüpftes Datenmanagement können wir eine lückenlose Rückverfolgung jeder einzelnen Packungen in jede Richtung garantieren und allen Beteiligten – Arzt, Patient und Hämophilieregister – zur Verfügung stellen.“, heißt es in einer Werbebroschüre, die der Apotheker nun zur Hämophilieversorgung gestaltet hat und die sich an Hersteller wie Ärzte und Patienten sowie ihre Verbände richtet.

Schloss Apotheke Bergisch Gladbach
Mit dieser Grafik verdeutlicht Kerckhoff die komplexe pharmazeutische Kühlkette – und zeigt die Risiken an den einzelnen Stationen auf. 

Für andere, nicht spezialisierte Apotheken, so erklärt Kerckhoff gegenüber DAZ.online, ist die Versorgung mit Hämophilieprodukten schwierig. Gängige Warenwirtschaftssysteme seien für eine durchgängige Chargenverwaltung in der Regel nicht geeignet. Damit würden die spezifischen Dokumentationspflichten – zum Beispiel in Bezug auf die Eintragung ins Hämophilieregister – zur Herausforderung. Auch die konsequente Kühlung der betroffenen Produkte vom Hersteller bis zum Empfänger ist weitreichender, als es auf den ersten Blick scheint und aus seiner Sicht nicht von jeder Apotheke zu gewährleisten.


Die Hämophilie-Versorgung durch Apotheken ist eine besondere Herausforderung. Sie setzt Konzepte und Lösungen für die durchgängige Kühlkette vom Hersteller bis zum Patienten und die Chargendokumentation voraus. Jeder teilnehmende Apotheker muss sich der Verantwortung dieser beiden Aufgaben bewusst sein und bereit sein, einen entsprechenden Lösungsweg zu finden.“

Markus Kerckhoff, Inhaber der Schloss Apotheke Bergisch Gladbach


Ein drittes mögliches Risiko ist laut Kerckhoff der Bezug der Hämophilie-Produkte über den Importweg. Eine lückenlose Temperaturdokumentation sowie Rückverfolgbarkeit der Arzneimittel sei hier Fehlanzeige. Darüber hinaus sieht er den Importweg als mögliches Einfallstor für Fälschungen in die legale Lieferkette. Aus den genannten Gründen hat der Apotheker aus Bergisch Gladbach seine Probleme mit Importen und der zugehörigen Quote – er gibt sie in seiner Apotheke seit Sommer 2018 gar nicht mehr ab.

Auch wenn er selbst von dem neuen Vertriebsweg für Hämophilie-Produkte profitieren wird, sieht Kerckhoff das Risiko, dass die Versorgung der Patienten nun schlechter wird. Die millionenschweren Einsparungen für die Kassen gehen aus seiner Sicht auf Kosten der Arzneimittelsicherheit.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Retaxrisiko!

von Thomas Eper am 28.08.2020 um 9:55 Uhr

Es sind Hochpreiser und es werden pro Rp. 30 - 40 o. mehr Packungen p.m. verordnet.
Dann muss eben mal für 1 Patienten ca. 60.000 € vorfinanziert werden.

Wenn die Apotheke dann Pech hat, wird sie z.B. von der DAK auf Null € retaxiert, weil ein Buchstabe auf dem Rp. fehlt.

So lange der Retaxwahnsinn von der Politik nicht gestoppt wird, sehe ich schwarz für die Patienten-Versorgung!

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Haemophilie-Versorgung

von Inge Deufert am 28.08.2020 um 8:23 Uhr

Ich kann die Bedenken des Kollegen in weiten Teilen nicht nachvollziehen. Die Argumentation riecht für mich nach : alle Patienten zu mir, der "normale" Kollege ist zu doof dafür.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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