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Umsatzsteuer auf Herstellerrabatt
AOK Hessen will Vereinbarung mit Apotheken – welche Risiken bestehen?
Ende vergangenen Jahres wurden viele Apothekeninhaber von Krankenkassen aufgefordert, auf die Einrede der Verjährung bei der Umsatzsteuer zu verzichten. Die Kassen erhofften sich Erstattungen, weil sie meinten zu viel Umsatzsteuer auf den Herstellerabschlag bezahlt zu haben. Es folgten Klagen gegen Apotheker, die diesen Verzicht nicht aussprechen wollten. Mittlerweile ist die AOK Hessen wieder aktiv geworden und will Apotheken zu Verfahrensvereinbarungen bewegen. Steuerberater Niko Hümmer zeigt die Risiken einer solchen Vereinbarung für Apothekeninhaber auf.
Seit Ende 2019 werden Apothekeninhaber, insbesondere durch die AOK Hessen aufgefordert, auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich der Rückforderung von Umsatzsteuerteilbeträgen für das Jahr 2015 zu verzichten. In einer Vielzahl von Fällen haben die Krankenkassen im Dezember 2019, bei Nichtabgabe dieser Verzichtserklärung auf die Einrede der Verjährung, Klage eingereicht.
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Um was genau geht es dabei? Einige Krankenkassen gehen aufgrund eines finanzgerichtlichen Urteils davon aus, die vergangenen Jahre zu viel anteilige Umsatzsteuer an die Apotheker als Leistungserbringer gezahlt zu haben. Dabei betrifft das Urteil des Finanzgerichts Münster (Az. 15 K 832/15 U) die Fälle der Belieferung von Patienten aus Deutschland durch eine Versandhandelsapotheke aus dem EU-Ausland. Hier sieht das Umsatzsteuergesetz vor, dass die Krankenkasse mit Sitz in Deutschland die Umsatzsteuer abzuführen hat und nicht, wie in rein nationalen Fällen, die (Versand)Apotheke als Leistungserbringer.
Aufgrund dieser besonderen Situation hatte das Finanzgericht Münster entschieden, dass die Erstattung des Herstellerrabatts bei der Berechnung der Höhe der zu zahlenden Umsatzsteuer nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sei, da die deutsche Krankenkasse in keiner unmittelbaren Rechtsbeziehung zum pharmazeutischen Hersteller stehe.
Daraus schlussfolgern einzelne deutsche Krankenkassen, dass die Entscheidung auch auf die nationalen Liefervorgänge anzuwenden sei und ihnen eine Umsatzsteuererstattung durch die deutschen Apotheker zustehe.
Die Entscheidung des Finanzgerichts Münster ist jedoch auf rein nationale Liefervorgänge nicht vergleichbar anwendbar. In rein nationalen Liefervorgängen zahlt der Apotheker die Umsatzsteuer auf den Herstellerrabatt und nicht die inländische Krankenkasse. Auch ein Abzug des Herstellerrabatts als Netto-Betrag kommt aufgrund einer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 2009 nicht in Frage. Eine Mehrbelastung, wie von den inländischen Krankenkassen angenommen, ist bei rein nationalen Liefervorgängen somit nicht gegeben und der von den Krankenkassen geltend gemachte Anspruch mehr als zweifelhaft.
Was versucht die AOK Hessen zu erreichen?
Aktuell geht die AOK Hessen wieder aktiv auf Apothekeninhaber zu. Sie beabsichtigt den Abschluss von Verfahrensvereinbarungen herbeizuführen, um weitere Klageverfahren beziehungsweise die ansonsten erforderliche Erweiterung bisheriger Verfahren zu vermeiden.
Die Verfahrensvereinbarung sieht vor, dass der Apothekeninhaber zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten, gegenüber der AOK Hessen auf die Einrede der Verjährung auf mögliche Ansprüche auf Rückzahlung der Umsatzsteuer auf den gesetzlichen Herstellerrabatt zu Gunsten der AOK Hessen ab dem Jahre 2015 verzichtet.
Ferner sieht die Vereinbarung vor, dass sich der Apothekeninhaber verpflichtet die jeweils relevanten Steuerbescheide, wo dies rechtlich noch möglich ist, zur Abwicklung etwaiger Rückforderungen, nicht bestandskräftig oder rechtskräftig werden zu lassen.
Welche Risiken bestehen für die Apothekeninhaber?
In der Änderbarkeit der Umsatzsteuerbescheide liegt jedoch eines der größten Risiken für die Apothekeninhaber. Zum einen ist äußerst fraglich, dass die Finanzverwaltung etwaige Feststellungen sozialgerichtlicher Urteile auch für umsatzsteuerliche Zwecke anerkennt, zum anderen müssen die Umsatzsteuerbescheide abgabenrechtlich noch änderbar sein. Umsatzsteuerveranlagungen unterliegen als Steueranmeldungen dem sogenannten Vorbehalt der Nachprüfung und können innerhalb der Festsetzungsfrist von vier Jahren grundsätzlich jederzeit geändert werden. Nach Eintritt der Festsetzungsfrist sind Änderungen jedoch grundsätzlich nicht mehr möglich. Um hier kein Risiko einzugehen, müssen die Umsatzsteuerfestsetzungen zwingend offen gehalten, das heißt der Eintritt der Festsetzungsfrist verhindert werden. Dies ist jedoch regelmäßig nicht mehr möglich. Für das Jahr 2015 ist in einer Vielzahl von Fällen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Ferner ist in einigen Fällen der Vorbehalt der Nachprüfung zum Beispiel im Rahmen von Betriebsprüfungen bereits aufgehoben worden.
Auch sind Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide, entgegen der Vorschläge vieler Krankenkassen, nicht mehr zulässig. Einsprüche können nur innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides wirksam eingelegt werden. Die Steuerbescheide 2015 bis 2018 liegen jedoch schon seit einem längeren Zeitraum vor, sodass die Einspruchsmöglichkeit nicht mehr gegeben sein wird.
Eine weitere Möglichkeit ist, im Rahmen eines Antrags auf Änderung die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks unter Bezugnahme auf das laufende Verfahren am Bundesfinanzhof (V R 34/18) zu erwirken (hier geht es um das bereits genannte Urteil des FG Münster). Hierbei sei jedoch angemerkt, dass die Finanzbehörden von vorläufigen Steuerfestsetzungen nur Gebrauch machen sollen, soweit hierzu durch Schreiben oder gleichlautende Erlasse des Bundesfinanzministeriums entsprechende Anweisungen vorliegen. Dies ist für das laufende Verfahren V R 34/18 bisher nicht der Fall.
Eine letzte Möglichkeit ist, bereits jetzt einen Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung zu stellen und die Erstattung der möglicherweise zu viel gezahlten Umsatzsteuer zu beantragen. Jedoch sind die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags mehr als fraglich. Es kann damit höchstens vorübergehend Zeit gewonnen werden.
Gibt es Vorteile für Apotheken? Und was bedeutet die Vereinbarung für sie generell?
Der vermeintliche Vorteil für die Apothekeninhaber liegt in einem Verzicht auf einen möglichen Zinsanspruch beziehungsweise in der Reduzierung eines denkbaren Zinsrisikos für den Fall des Obsiegens der Krankenkassen.
Dieser Zinsverzicht lässt sich meines Erachtens allerdings innerhalb eines anhängigen Klageverfahrens auch dadurch erreichen, dass man die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens, auf dass die AOK Hessen in den laufenden Verfahren hinwirkt, von einem entsprechenden Verzicht auf einen möglichen Zinsanspruch abhängig macht.
Auch versucht die AOK Hessen diejenigen Apothekeninhaber, gegen die bisher keine Klage rechtshängig gemacht wurde, zur Abgabe dieser Vereinbarung und Erklärung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung zu bewegen. Dies gilt selbst in den Fällen, in denen zum 31. Dezember 2019 bereits ein Berufen auf den Tatbestand der Verjährung möglich ist. Als vermeintliches Entgegenkommen bietet die AOK Hessen auch hier alleinig einen Verzicht auf die Verzinsung der von ihr behaupteten Rückzahlungsansprüche an.
Was bringt die Vereinbarung Apothekeninhabern?
Gerade für Apothekeninhaber die bisher von der Krankenkasse noch nicht verklagt wurden, bedeutet die Vereinbarung, wie oben bereits angedeutet, eine echte Schlechterstellung. Sie könnten sich insbesondere für das Jahr 2015 bereits auf die Einrede der Verjährung berufen und verzichten mit Abgabe dieser Erklärung „rückwirkend“ auf diese vorteilhafte Position. Dadurch wird ein Anspruch wieder eröffnet, der bereits verjährt war und somit wieder durchsetzbar wird.
Für die Apothekeninhaber, gegen die bereits für das Jahr 2015 ein Klageverfahren anhängig ist, bedeutet die Vereinbarung allein für die AOK Hessen eine erhebliche Arbeitserleichterung und Aufwandsvermeidung. Bisher waren die Klagen auf Ansprüche des Jahres 2015 beschränkt. Um für weitere Jahre Ansprüche geltend machen zu können, müssten die bestehenden Klagen erweitert oder weitere Klagen anhängig gemacht werden.
Vor dem Hintergrund, dass die Rechtsauffassung der Krankenkassen äußerst zweifelhaft ist und zu befürchten ist, dass die Möglichkeit der Änderung von Umsatzsteuerbescheiden in einer Vielzahl von Fällen nicht mehr gegeben sein dürfte, gehen die Apothekeninhaber ein erhebliches finanzielles Risiko ein am Ende auf der zurückzuzahlenden Umsatzsteuer sitzen zu bleiben.
Es sollte daher sehr gut geprüft werden, ob die Vereinbarung unterzeichnet werden kann. In der Vielzahl der Fälle ist dies sicherlich zu verneinen.
Insbesondere Apothekeninhaber die bisher für das Jahr 2015 keine Klage erhalten haben, sollten zwingend von der Abgabe der Vereinbarung absehen.
3 Kommentare
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von Andreas P. Schenkel am 08.09.2020 um 20:39 Uhr
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von Thomas Eper am 03.09.2020 um 9:22 Uhr
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von Karl Friedrich Müller am 03.09.2020 um 8:44 Uhr
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