Kommentar

Zu viele Belastungen auf einmal

Süsel - 28.09.2020, 17:50 Uhr

Die Probleme für Apotheken häufen sich derzeit in einer noch nie dagewesenen Weise. Für viele Betroffene könnten das zu viele Belastungen auf einmal sein, meint Dr. Thomas Müller-Bohn. (s / Foto: eyewave / stock.adobe.com)

Die Probleme für Apotheken häufen sich derzeit in einer noch nie dagewesenen Weise. Für viele Betroffene könnten das zu viele Belastungen auf einmal sein, meint Dr. Thomas Müller-Bohn. (s / Foto: eyewave / stock.adobe.com)


Die AvP-Insolvenz kann nach den ersten Schätzungen auf Jahressicht zu ebenso vielen Apothekenschließungen führen wie alle anderen Probleme der Apotheke zusammen. Kurzfristige Liquiditätshilfen werden als Gegenmaßnahme nicht ausreichen. Doch welche Folgen lassen sich aus den bisherigen Erkenntnissen ableiten? DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn trägt die wesentlichen Informationen zusammen und beschreibt die naheliegenden Konsequenzen in einem Kommentar.

Noch vor einer Woche waren die Neuigkeiten um das Apothekenrechenzentrum AvP kaum einzuordnen. Inzwischen ist klar, dass die Lage für die betroffenen Apotheken schrecklich ist. Offenbar fehlen vielen Apotheken die GKV-Einnahmen eines ganzen Monats und manchen droht damit selbst die Insolvenz. Die allererste Reaktion auf die ausbleibenden Zahlungen war die Suche nach kurzfristiger Liquidität. Apothekereigene Unternehmen haben dabei eindrucksvoll ihre Solidarität unter Beweis gestellt

Doch leider wird das Problem damit nicht zu lösen sein. Dies haben die Erklärungen des vorläufigen Insolvenzverwalters in der vorigen Woche gezeigt. Demnach hat er zwar einen dreistelligen Millionenbetrag bei AvP vorgefunden, aber die meisten Betroffenen würden lange auf Zahlungen warten müssen und das Geld reiche nicht für alle Forderungen der Apotheker. Nur sehr wenige Apotheken könnten auf kurzfristige Zahlungen hoffen. Die Frage nach Aussonderungsansprüchen sei kompliziert und werde die Gerichte möglicherweise über mehrere Instanzen beschäftigen, also über Jahre.

Verdoppeltes Apothekensterben befürchtet

Als Konsequenz aus diesen Erkenntnissen droht ein Wettlauf um die Aussonderungsansprüche. Die Verlierer werden sich das verbleibende Geld mit weiteren Gläubigern teilen müssen. Bisher ist jedoch nicht bekannt, wie viele weitere Ansprüche gegen AvP bestehen. Besonders drängt sich die Frage nach Forderungen von Banken auf. Außerdem ist immer noch offen, wie viele Apotheken auf wie viel Geld warten. Allerdings gab der Apothekerverband Nordrhein dazu am Freitag eine erschreckende Einschätzung bekannt. Demnach seien in Nordrhein-Westfalen etwa 5 Prozent der Apotheken so stark betroffen, dass eine kurzfristige Schließung drohe. Bundesweit gelte das für drei Prozent der Apotheken. In Verbindung mit den ohnehin erwarteten Apothekenschließungen ergebe dies einen Rückgang der Apothekenzahl um etwa 700 in diesem Jahr.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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13 Kommentare

@ Dr. Th. Müller-Bohn

von Uwe Hüsgen am 29.09.2020 um 18:51 Uhr

Die Apotheken-Inhaber waren glücklich, als sie ihre Rezepte nicht mehr in Schuhkartons nach Kostenträgern (vor-)sortieren mussten, meine ich mich schwach erinnern zu können. Mit dem Markteintritt der Apothekenrechenzentren wurde die Buchhaltung in den Apotheken w e s e n t l i c h entlastet. Man denke nur an die Abrechnung von HiMi-Rezepten u.a. Die Rechenzentren waren und sind bis heute grundsätzlich eine gute Lösung für die Apotheken.
Mit meinem Beitrag „Denkmodell Kassenapothekerliche Vereinigung“ (DAZ 2016, Nr. 29) wurde ein Lösungsansatz für eine sichere Abrechnung ähnlich wie bei den Ärzten aufgezeigt (Abrechnung über die KV). Über einen (zu errichtenden) Fonds wurden sogar weitere berufspolitische Ziele angedacht. Bliebe als Problem wie bei den Ärzten die Abrechnung mit Privatpatienten – aber das ist ein anderes Thema.

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@ Uwe Hüsgen

von Dr. Thomas Müller-Bohn am 29.09.2020 um 15:49 Uhr

Die Grundidee meines Kommentars war, dass der Auslöser für die Gründung von Rechenzentren nicht in den Apotheken liegt. Vor Jahrzehnten war die Abrechnung sicher einfacher, aber auch damals wollten die meisten Apotheker lieber pharmazeutisch arbeiten und haben die Formalitäten soweit wie möglich abgegeben. Als die Rechenzentren erstmal existierten, haben diese sich vielleicht weitere Aufgaben gesucht. Das gibt es bei sehr vielen Organisationen. Doch das ändert nichts am Grundproblem: Warum können Apotheken die Rezepte nach der pharmazeutischen Dokumentation der Abgabe nicht einfach an die Krankenkasse schicken, die sie dann so bearbeitet, wie sie es mag?

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Durchgeblickt oder wie wir Baden geschickt wurden und merkten dass da kein Champagner drin war

von Bernd Jas am 29.09.2020 um 11:59 Uhr

Seeehr, seehr gut Herr Müller Bohn,

eine Systemanalyse in Kurzfassung, aber vom feinsten!
Das ist ja auch das was Herr Herzog immer vertritt.
In diesem Stil kann und darf es nicht weitergehen.
Ob der Wechsel in die Digitale Welt der Abrechnung eine Chance bietet, muss sich erst mal unter Beweis stellen, da die KK ja nur zu gerne die Zeche prellen und sich schon alleine das Instrument der Retaxation nicht so schnell aus der Hand nehmen lassen werden.

Auf jeden Fall tun diese Worte der Seele gut und wir können mit frischer Energie wieder Gas geben im Hamsterrad …. , ähhh …. ich meine …. mit frischer Energie die Chancen aufgreifen, die sich da bieten und (wie sagte Trullalala damals) "alte Zöpfe abschneiden", wie z.B. den KK-Rabatt .

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An sich eine gute Idee, aber ...

von Uwe Hüsgen am 29.09.2020 um 11:11 Uhr

Der Beitrag beleuchtet messerscharf genau eine Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille: Es waren Vertreter der Apothekerschaft, die die Abrechnung über Verträge mit den Krankenkassen immer mehr „optimierten“ (und damit zwangsläufig auch verteuerten), damit sich möglichst alle Apotheken an ein Apothekenrechenzentrum anschließen mussten. (Nach meiner Erinnerung kam die letzte Apotheke, die ihre Abrechnung „eigenständig strickte“, aus dem nordrheinischen Selfkant. Mit der Übergabe dieser Apotheke in neue Hände vor weit mehr als 10 Jahren war damit der letzte „Selbststricker“ vom Abrechnungsmarkt verschwunden.)
Und nach meinem Kenntnisstand war es sogar ein sehr bekannter Apotheker aus dem grauen Norden, der sich – erfolgreich – besonders stark dafür gemacht hat, dass jetzt auch noch die (risikoreiche) Abrechnung der Herstellerrabatte mit den Krankenkassen über die Rechenzentren läuft.
An sich eine brillante Idee, die Datenhoheit in den eigenen Reihen zu halten. Im Laufe der Zeit wurde wohl aber immer mehr versäumt, die Verträge den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Risiken (!) anzupassen.

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AW: An sich eine gute Idee, aber

von Werner Heuking am 29.09.2020 um 11:34 Uhr

Der schwindeige Vorfall könnte dazu führen, daß die Stellung der Apotheken im Gesundheitswesen auf andere solide
Fundamente gestellt werden müßte. Da hilft der graue Norden gar ncht. was haben Ärzte mit ihrer KV gemach ?. Wo gibt es zukunftssichere Fundamente ? Die Standesführung muss jetzt handeln.

Wer die Musik bestellt...

von Thomas Eper am 29.09.2020 um 9:14 Uhr

-Wieviel Mrd. € sparen die Apotheken für die Krankenkassen durch die Umsetzung der Rabattverträge?
-Wieviel Mio. € wir jährlich retaxiert? Wieviel Mio. € davon unrechtmäßig?
- Wieviel Mrd. € Kassenrabatt zahlen die Apotheken den Krankenkassen jährlich?

Und jetzt sind nicht mal paar Mio. zu Rettung der betroffenen Apotheken da!

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Wenn das Licht ausgeht ... und aus bleibt.

von Christian Timme am 28.09.2020 um 22:11 Uhr

Da fallen mir nur noch die Worte eines langjährigen Mitarbeiters ein: "Wenig Ahnung, davon aber viel". Nur damals bezog es sich noch auf eine überschaubare Zahl von Personen ...

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Guter Kommentar, leider nur in der Fachpresse

von I.Greif am 28.09.2020 um 22:04 Uhr

Leider findet man gute sachliche Informationen zu diesem Skandal hauptsächlich in den Fachmedien.
In der Süddeutschen Zeitung konnte beim Lesen des großen Artikels zum Thema am 22.Sept der Eindruck entstehen, dass die Apitheker monatlich große Summen einnehmen (verdienen?) und den Ausfall (locker?) aus ihren privaten Ersparnissen ausgleichen könnten. Da frage ich mich, ob hier bewusst in dieser Weise berichtet wird oder ob seitens der Standesvertretungen nicht umfänglich informiert wird.
Die Causa wurde z.B. in der Stuttgarter Zeitung oder in Lokalmedien sachlicher dargestellt.
Es gibt viel zu tun!



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AW: Nur ein Monatsgewinn...

von Thomas Eper am 29.09.2020 um 12:21 Uhr

Hoffen wir mal, dass die Herren von der BaFin und der Herr Insolvenzverwalter besser informiert sind und mehr Sachverstand mitbringen.
Denn der Geldbetrag eines Rp.-Abrechnungsmonates ist nicht gleich Monatsgewinn! Dieser beträgt nur ca. 15% des Betrages.
Somit reden wir hier von einem Jahresgewinn der Apotheke vor Steuern!
Umso überraschender die Äußerungen der o.a. Herren bzgl.
Dauer des Verfahrens. Keiner dieser Herren wäre doch bereit Monate - Jahre auf ihr Jahresgehalt zu warten.

Vielen Dank für den Kommentar

von Nikolaus Guttenberger am 28.09.2020 um 18:53 Uhr

Letztlich bedeutet der Avp Fall, dass der Apothekerberuf nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn die Politik solche Zahlungen nicht garantiert.

Und das gilt für alle Kollegen.

Wenn man sich ein wenig in die Thematik Treuhandkonten, Aussonderung etc. einliest, wird einem recht schnell bewusst, dass man vertraglich absolut nichts abschliessen kann, was einen vor der aktuellen Situation der Avp - Apotheken schützen könnte. Selbst wenn der Treuhänder alles richtig macht, und man (berechtigt) die Aussonderung einklagt, wird man mehrere Jahre kein Geld sehen. Alleine um Schadenersatzansprüche zu verhindern, wird jeder Insolvenzverwalter durch die Instanzen gehen. Ist ja auch nicht sein Geld, das verbrannt wird.

Das ist mit der Marge absolut nicht abzubilden. Der potentielle Verlust kann kaum aufgeholt werden.
Dessen sollte sich jeder bewusst werden.

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Neu verhandeln

von ratatosk am 28.09.2020 um 18:33 Uhr

Warum denn ?
Die Insolvenzen sind doch das mittelfristige Ziel von Politik und GKV ! jetzt gehts halt schneller.
Nur Corona und die öffentliche Anerkennung haben hier kurz die Adlaten gebremst. In Kürze werden wir hören, wie toll es ist, daß es Versand gibt um die größten Lücken die diese Abrechnungskatastrophe gerissen hat etwas zu lindern etc.
Bei digitalen Prozessen zählt nur Größe - und die hat naturgemäß das Großkapital und das kann den Aushungerunsprozess der richtigen Apotheken leicht abreiten. Mission erfüllt in Politik und Verwaltung. Den Rest orchestriert die dann Bertelsmannstiftung beim Kaffeelein im Kanzleramt.

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von Anita Peter am 28.09.2020 um 18:06 Uhr

Hat auch der AVP Skandal das Fass noch nicht zum überlaufen gebracht, um endlich zu sagen" Schluss, Aus, alles zurück auf Start, ALLES muss neu verhandelt werden!" ?

Wielange wollen wir uns von Politik, Kassen, Versendern etc noch demütigen lassen?

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AW: na ja...

von Dr. Stephan Hahn am 29.09.2020 um 10:10 Uhr

...solange es Apotheken vom alten Schlag halt noch gibt und nicht vom Markt verschwunden sind.

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