Interpharm online 2020

Dauerbrenner Corona: Jede Antwort wirft neue Fragen auf

München - 29.09.2020, 16:45 Uhr

Dr. Verena Stahl im Gespräch mit Professor Leif Erik Sander von der Berliner Charité bei der Interpharm online. (m / Foto: Schelbert)

Dr. Verena Stahl im Gespräch mit Professor Leif Erik Sander von der Berliner Charité bei der Interpharm online. 
(m / Foto: Schelbert)


Prof. Dr. Leif Erik Sander leitet die Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité. Er betreut als Internist und Pneumologe COVID-19-Patienten. Im Rahmen der Interpharm online ging er im Expertengespräch mit Dr. Verena Stahl auf Fragen aus Forschung und (Apotheken-)Praxis ein.

Viele Apothekenkunden fragen nach Mitteln zur „Stärkung des Immunsystems“: Vitamine, Vitalstoffe und Nahrungsergänzungsmittel, die mit zweifelhaften Wirkversprechen gegen das neuartige Coronavirus beworben werden. Zu Vitamin D und Zink gebe es diesbezüglich keine nachgewiesenen positiven Effekte, stellt Prof. Sander klar. Auch bei neueren Mechanismen wie der Aktivierung der Autophagie (Spermidin) sieht er keine belastbare Evidenz. „Insgesamt gibt die Datenlage bei keinem Mittel eine Empfehlung her“, so der Immunologe. Hoffnung auf eine unspezifisch wirksame Aktivierung des Immunsystems machten indes Erfahrungen mit der BCG-(Bacille Calmette-Guérin)-Impfung. Patienten hatten im Vergleich zur Placebogruppe nach Gabe des Lebendimpfstoffes generell weniger Infekte. Möglicherweise könnten gefährdete Personengruppen von der Aktivierung des angeborenen Immunsystems profitieren.

Kommen antivirale Arzneistoffe?

Der einzige zugelassene anivirale Wirkstoff, Remdesivir, hemmt die virale RNA-Polymerase. Mögliche weitere Ansätze bestehen in kleinen inhibitorischen Peptiden, löslichen ACE2-Rezeptoren, oder Enzymen, die an der Spaltung des Spikeproteins beteiligt sind, mit dem sich das Coronavirus Zugang in die Zelle verschafft. Jüngst haben Forscher der Charité hochpotent neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 aus Blutzellen Infizierter isoliert, die zur passiven Immunisierung dienen könnten.

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Solche Optionen seien eher im sehr frühen, teils asymptomatischen Infektionsstadium sinnvoll, betonte Sander. Die schweren Krankheitsverläufe sind aber weniger durch die Virusreplikation geprägt, sondern durch eine überschießende, teils aus dem Ruder laufende Immunantwort.

Warum sich das Immunsystem mit Corona so schwertut 

Bei schweren Verläufen von COVID-19 kommt es zu einer schnellen, aber ineffektiven Mobilisierung unreifer myeloischer Zellen, was als Notfall-Myelopoese bezeichnet wird. „Myeloische Zellen wie Neutrophile und Monozyten sind zwar zum Teil aktiviert, aber in ihrer Funktion gestört“, erklärte Prof. Sander. „Wir finden deutlich mehr unreife, dysfunktionale Zellen, die eher hemmend auf die Immunreaktion wirken“. Das Immunsystem gerät in eine Dauerschleife aus Aktivierung und Hemmung.



Ralf Schlenger, Apotheker. Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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