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Interpharm online 2020
Dauerbrenner Corona: Jede Antwort wirft neue Fragen auf
Prof. Dr. Leif Erik Sander leitet die Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité. Er betreut als Internist und Pneumologe COVID-19-Patienten. Im Rahmen der Interpharm online ging er im Expertengespräch mit Dr. Verena Stahl auf Fragen aus Forschung und (Apotheken-)Praxis ein.
Viele Apothekenkunden fragen nach Mitteln zur „Stärkung des Immunsystems“: Vitamine, Vitalstoffe und Nahrungsergänzungsmittel, die mit zweifelhaften Wirkversprechen gegen das neuartige Coronavirus beworben werden. Zu Vitamin D und Zink gebe es diesbezüglich keine nachgewiesenen positiven Effekte, stellt Prof. Sander klar. Auch bei neueren Mechanismen wie der Aktivierung der Autophagie (Spermidin) sieht er keine belastbare Evidenz. „Insgesamt gibt die Datenlage bei keinem Mittel eine Empfehlung her“, so der Immunologe. Hoffnung auf eine unspezifisch wirksame Aktivierung des Immunsystems machten indes Erfahrungen mit der BCG-(Bacille Calmette-Guérin)-Impfung. Patienten hatten im Vergleich zur Placebogruppe nach Gabe des Lebendimpfstoffes generell weniger Infekte. Möglicherweise könnten gefährdete Personengruppen von der Aktivierung des angeborenen Immunsystems profitieren.
Kommen antivirale Arzneistoffe?
Der einzige zugelassene anivirale Wirkstoff, Remdesivir, hemmt die virale RNA-Polymerase. Mögliche weitere Ansätze bestehen in kleinen inhibitorischen Peptiden, löslichen ACE2-Rezeptoren, oder Enzymen, die an der Spaltung des Spikeproteins beteiligt sind, mit dem sich das Coronavirus Zugang in die Zelle verschafft. Jüngst haben Forscher der Charité hochpotent neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 aus Blutzellen Infizierter isoliert, die zur passiven Immunisierung dienen könnten.
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Angriff auf die Niere
Risikopatienten erkennen und Medikation anpassen
Solche Optionen seien eher im sehr frühen, teils asymptomatischen Infektionsstadium sinnvoll, betonte Sander. Die schweren Krankheitsverläufe sind aber weniger durch die Virusreplikation geprägt, sondern durch eine überschießende, teils aus dem Ruder laufende Immunantwort.
Warum sich das Immunsystem mit Corona so schwertut
Bei schweren Verläufen von COVID-19 kommt es zu einer schnellen, aber ineffektiven Mobilisierung unreifer myeloischer Zellen, was als Notfall-Myelopoese bezeichnet wird. „Myeloische Zellen wie Neutrophile und Monozyten sind zwar zum Teil aktiviert, aber in ihrer Funktion gestört“, erklärte Prof. Sander. „Wir finden deutlich mehr unreife, dysfunktionale Zellen, die eher hemmend auf die Immunreaktion wirken“. Das Immunsystem gerät in eine Dauerschleife aus Aktivierung und Hemmung.
Kreuzreaktivität bedeutet nicht Immunität
Für Aufsehen sorgte jüngst die Nachricht, dass vier von zehn SARS-CoV-2-naiven Probanden, die aber nachweislich mit humanen endemischen Coronaviren Kontakt hatten, Gedächtniszellen besaßen, die auf das neue Coronavirus reagierten. Sie waren in der Lage, die C-terminalen Epitope des SARS-CoV-2-Spike-Glykoproteins zu erkennen. Wenn gut ein Drittel der Bevölkerung kreuzreaktive Gedächtniszellen gegen SARS-CoV-2 aufweist, darf daraus aber nicht, wie in Publikumsmedien frohlockt wurde, auf „Immunität gegen COVID-19“ geschlossen werden, betonte Sander. Allenfalls bestehe die Hoffnung, dass diese Personen schneller eine ausreichende Immunantwort aufbauten, die helfe, schwere Verläufe abzuwenden. Dies werde nun in prospektiven Studien untersucht.
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Die Hoffnung ist, schon am Point-of-Care besser die Behandlungsweichen anhand von Laborwerten und Scores stellen zu können. Einen Fortschritt stellt hier der Score des „Coronavirus Clinical Characterization Consortium“ dar. Der „4C-Score“ umfasst die Variablen Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Atemfrequenz, Glasgow-Koma-Skala, Sauerstoffsättigung, Harnstoff und C-reaktives Protein. Erhöhte Spiegel von LDH (Laktatdehydrogenase), D-Dimeren, Ferritin und Interleukin 6 sind weitere Risikoindikatoren für schwere Verläufe.
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