Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

11.10.2020, 07:43 Uhr

Wo man hinschaut – nur Baustellen! (Foto: Alex Schelbert) 

Wo man hinschaut – nur Baustellen! (Foto: Alex Schelbert) 


Das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz darf kommen – man kann es als grünes Licht deuten, was der EU-Kommissar Breton in einem Brief an unseren Bundesgesundheitsminister schrieb. Und dennoch, es wird nicht ausbleiben, dass das Gesetz nach Inkrafttreten vor dem Europäischen Gerichtshof landet. Davon gehen sogar Spahn, Gesundheitspolitiker und der ABDA-Präsident aus. – Düster und teuer bleibt es für die Apotheken, die von der AvP-Pleite betroffen sind. Frust und Sorgen! Schnellkredite ja, aber wohl keinen zinslosen Rettungsfonds. Das Geld für die Rezepte wird es, wenn überhaupt, lange nicht geben. – Gibt’s nicht in Apotheken: die ersten Gesundheits-Apps auf Rezept. Gibt’s in Apotheken: Grippeschutzimpfungen – die ersten deutschen Apotheken haben geimpft. 

5. Oktober 2020 

Keine Frage, Corona beflügelt den Online-Handel. Warum soll ich mich mit Maske samt den übrigen AHA-Regeln in eine infektiöse Umwelt begeben, wenn ich meine Ware sicher und bequem online bestellen kann und der Paketbote legt sie mir vor die Tür? – diese Frage stellen sich vermutlich viele Menschen, die in Versandapos einkaufen. Wie sonst sind die steigenden Umsätzen der letzten Monate zu verstehen? Nehmen wir als Beispiel das Versandhaus Shop Apotheke, seit September im MDax gelistet. Der Konzernumsatz des Versandhändlers ist im dritten Quartal um knapp 40 Prozent auf 238,7 Mio. Euro gewachsen. Allein in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) freut sich der Versender über ein Plus von rund 34 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Besonders bemerkenswert ist der Rx-Bereich: Im ersten Halbjahr 2020 meldet hier Shop Apotheke ein Plus von 18 Prozent gegenüber den ersten sechs Monaten 2019. Mein liebes Tagebuch, solche Entwicklungen lassen uns Apothekers nicht kalt. Und die Politik schaut weg. Gegen solche Strömungen hilft wohl auch kein halbseidenes VOASG mit einem wackeligen Rx-Boni-Verbot und geplanten honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen, von denen wir noch weit entfernt sind. Nein, hier arbeiten gewaltige Marktkräfte, die Anlockung von Kunden ist stark. Mein liebes Tagebuch, ich hab mir das auf der Shop Apotheken-Seite mal angesehen: 5 Euro gibt’s einmalig für die Newsletter-Bestellung, 10 Euro fürs Einreichen des ersten Rezepts; außerdem sind derzeit bis zu 30 Euro Boni drin, abhängig vom Preis und Anzahl der verordneten Arzneimittel (bei einem Arzneimittelpreis unter 70 Euro gibt’s 2,50 Euro Bonus, über 300 Euro gibt’s die 10 Euro Bonus). Bei entsprechend hohem Rezeptwert könnte ein Erstkunde, der sich auch zum Newsletter anmeldet, so einmalig gleich 45 Euro auf sein Shop-Konto gespült bekommen, die er z. B. für den Kauf von OTC-Arzneimitteln einsetzen kann. Und schreibt er für seine gekauften Produkte eine Bewertung mit mindestens 50 Wörtern ins Netz, gibt’s zusätzlich noch einen 5% Rabatt-Gutschein für jede Premium-Bewertung. Ab 9 Euro liefert dieser Versender zudem versandkostenfrei. Mein liebes Tagebuch, EU-Versender werden natürlich mit allen Marketing- und sonstigen Instrumenten versuchen, an E-Rezepte zu gelangen. Wo sind unsere Gegenstrategien? Das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz, wenn’s denn so kommt und hält, was es verspricht? Dann gibt’s zumindest keine Boni mehr für GKV-Patienten. Wir werden vermutlich noch viel mehr als heute unsere Stärken herausstellen müssen: den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch und die Tatsache, dass es bei uns die Ware sofort oder am gleichen Tag per Botendienst gibt.

6. Oktober 2020 

Er hat’s gemacht: Dr. Markus Reiz, Mitglied des Vorstandes des Apothekerverbandes Nordrhein e.V. und Inhaber der Donatus Apotheke in Bornheim, ist der erste Apotheker, der eine Grippeschutzimpfung durchführte. Rund 120 Apothekerinnen und Apotheker aus mehr als 60 Apotheken an Rhein und Ruhr werden ihm schon bald folgen. Auch sie haben ihre Zusatzqualifikation zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in der Tasche. Und schon im November werden weitere Kolleginnen und Kollegen die Impfseminare besucht und die Qualifikation zum Impfen erworben haben. Mein liebes Tagebuch, sie alle profitieren davon, dass sich der Apothekerverband Nordrhein schon sehr bald für die Grippeschutzimpfungen in Apotheken einsetzte und ein Honorar (12,61 Euro netto pro Impfung) mit der AOK Rheinland/Hamburg aushandelte. Und schon meldet auch der Saarländische Apothekerverein, dass die erste Apotheke des Saarlands eine AOK-Versicherte gegen Grippe impfte. Aber wie sieht’s bei den anderen Bundesländern und Apothekerverbänden aus? Leider mau. Zum Teil laufen Verhandlungen mit Kassen, zum Teil bewegt sich noch gar nichts. Schade, dass die übrigen Bundesländer so hinterherhinken. Kritiker beklagen das in ihren Augen zu niedrige Honorar, sie rechnen vor, dass ökonomisch gesehen das Impfen einen geringeren Beitrag zur Deckung der Fixkosten einbringt als die Abgabe von Arzneimitteln. Ja, mag sein, mein liebes Tagebuch, aber ich bin überzeugt, dass die Apotheke damit bei ihren Kundinnen und Kunden punkten kann, wenn sie die Impfung anbietet. Und noch eins: Ärzte schielen bereits neidisch auf das Apothekenhonorar, denn es ist deutlich höher als die EBM-Abrechnungsziffer der Ärzte. 

 

Mein liebes Tagebuch, ich habe mich in dieser Woche gegen Grippe impfen lassen, noch nicht in einer Apotheke – leider ist der Apothekerverband in meinem Bundesland noch nicht so weit. Schade, ich wäre sofort in eine Apotheke gegangen. Statt dessen musste ich eine Arztpraxis aufsuchen. Mein Erlebnis dort: kein Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin, Impfung durch eine Praxisangestellte, ruckzuck, keine Fragen zu Unverträglichkeiten oder Risiken. Und auf die Eintragung in meinen Impfpass musste ich selbst aufmerksam machen und darauf bestehen. Mein liebes Tagebuch, ich vermute mal, dass ich in jeder impfenden Apotheke besser behandelt worden wäre.


Mehr als ein Jahr lang hat’s gedauert, jetzt liegt die Rückmeldung der EU-Kommission zum geplanten Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) vor. Und? Na ja, sagen wir’s mal so: Die EU-Kommission legt dem VOASG wohl erstmal keine Hürden in den Weg. Binnenmarktkommissar Thierry Breton lässt in seinem Schreiben an Jens Spahn wissen, dass das VOASG den Zugang deutscher Patienten zu Arzneimitteln verbessere und er sich freue, über den Ausgang des Gesetzgebungsprozesses informiert zu werden. Das Gesundheitsministerium liest aus dieser Antwort die Erlaubnis der EU-Kommission, das Gesetz final umzusetzen – wie das Handelsblatt schrieb. Mein liebes Tagebuch, kann man so sehen, aber ein eindeutiges Go hört sich anders an. Andererseits, was kann bei diesem Thema schon eindeutig sein! Mein liebes Tagebuch, wir dürfen also damit rechnen, dass Spahn mit dem Breton-Brief in der Hand nun sein VOASG durchzieht. Das letzte Wort wird eh der Europäische Gerichtshof haben: Es wird wohl nicht ausbleiben, dass die geplante Rx-Boni-Verbotsregelung, die im Sozialrecht verankert werden soll, diesem obersten Gericht vorgelegt werden wird. Davon geht im Übrigen auch Jens Spahn aus, wie er in einem Online-Interview mit der Pharmazeutischen Zeitung durchblicken ließ. Aber er zeigt sich zuversichtlich, dass sein VOASG diese EuGH-Prüfung bestehen wird. Mein liebes Tagebuch, da kann man sich natürlich fragen, warum unsere Regierung den VOASG-Entwurf der EU-Kommission vorlegte und dieser Entwurf dann dort ein Jahr lang vor sich hin schmorte, wenn man der Auffassung ist, dass am Ende doch alles vor dem EuGH landet. Aber auch dafür hatte Spahn eine Antwort: Entscheidend sei, dass die Kommission nicht sage, das gehe aber gar nicht. Ach so, mein liebes Tagebuch.


In einer gesundheitspolitischen Diskussionsrunde im Rahmen der Expopharm-Impuls-Streams betrachtete der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich die Brüsseler Äußerung vorsichtig optimistisch, es sei „zumindest kein rotes Licht“ erkennbar. meinte Hennrich, das heiße aber nicht, dass nicht möglicherweise andere Instanzen das Gesetz kippen könnten. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus, geht davon aus, dass das VOASG vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) beklagt werden wird. Das kann sich zwar auch ABDA-Präsident Friedemann Schmidt vorstellen, aber er sieht das durchaus optimistischer: Es sei durchaus denkbar, dass ein solcher Prozess heute zu einem anderen Ergebnis führen könnte als noch 2016, meinte er. Denn mit der Einführung des E-Rezepts existiere der Wettbewerbsnachteil für EU-Versender, die der EuGH 2016 noch bemängelt hatte, künftig nicht mehr. Mein liebes Tagebuch, richtig, man wird es nicht verhindern können, dass das Rx-Boni-Verbot vor dem EuGH landen wird, aber Fakt ist auch, dass für die EU-Versender der Zugang zum deutschen Arzneimittelmarkt mit dem E-Rezept ein anderer sein wird.


Gesundheits-Apps auf Rezept, von der Kasse bezahlt – ja, mein liebes Tagebuch, jetzt ist es soweit: Deutschland ist das erste Land, in dem es Apps auf Rezept gibt – sagt Jens Spahn. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat seine Liste der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) oder kurz „App auf Rezept“ vorgelegt. Lang ist die Liste noch nicht, bisher stehen nur zwei Apps drauf, aber 21 Apps sind derzeit noch in der Prüfung. Denn bevor eine App diesen Status als DiGA bekommt, muss sie eine Prüfung durchlaufen und als Medizinprodukt zertifiziert werden. Und diese beiden Apps haben das geschafft: „Kalmeda“, eine App zur Anwendung bei Tinnitus, und „velibra“ zur Anwendung bei Angst- und Panikstörungen, Phobien verschiedener Art. Ärzte können diese Apps verordnen, die Patienten erhalten dann von der Kasse einen Freischaltcode. Und wie helfen diese Apps? Sie zielen auf Verhaltensänderungen der Patienten ab und bieten Wissensvermittlung, Übungen und kognitive verhaltenstherapeutische Ansätze. Ein Blick in die Packungsbeilage zeigt, wie’s geht! Mein liebes Tagebuch, interessante Ansätze. Übrigens, die Apps sind nicht apothekenpflichtig, dieser Markt geht an der Apotheke vorbei.

 

Nochmal für alle zum Mitschreiben und Merken: Am 1. Juli 2021 soll der offizielle Startschuss fürs E-Rezept fallen. Und ab 1. Januar 2022 werden die elektronischen Verordnungen zur Pflicht. In einem Podiumsgespräch im Rahmen der digitalen Expopharm Impuls gab Projektleiter Hannes Neumann einen ersten Einblick, wie die Gematik ihre E-Rezept-App, die für den Transport des E-Rezepts wichtig ist, konkret umsetzen wird. Ganz klar: Eine Smartphone-Pflicht gibt es nicht, Smartphones gibt es auch nicht von der Kasse. Ein Patient, der kein Smartphone hat und kein E-Rezept empfangen kann oder keines möchte, erhält sein Rezept als Ausdruck – wie dieses Dokument genau aussieht, steht noch nicht fest, auf alle Fälle enthält es einen Code, den die Apotheke scannt und damit alle Informationen dieses E-Rezepts in ihrem Warenwirtschaftssystem übernimmt. Wie’s dann mit dem E-Rezept weitergeht, die Rezeptabrechnung, wird noch zwischen Deutschen Apothekerverband und GKV-Spitzenverband ausgehandelt. Mein liebes Tagebuch, vor dem Hintergrund des AvP-Desasters sind wir da besonders gespannt, was man sich da einfallen lässt. Die Frage drängt sich da auf: Braucht man überhaupt noch Abrechnungszentren heutiger Prägung? Projektleiter Neumann erklärte auch, was es mit der Verfügbarkeitsabfrage auf sich hat, die der Patient vorab an die Apotheke richten kann. Mein liebes Tagebuch, keine Sorge, das ist kein automatisch generierter Blick ins Warenlager der Apotheke, diese Anfrage des Patienten erfolgt unverbindlich. Und erst wenn der Patient den Zugriffslink fürs Rezept übermittelt, hat die Apotheke die Rechtssicherheit, dass sie die Verordnung beliefert.

7. Oktober 2020 

Ja, die Sache mit der Gleichpreisigkeit, die uns das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) erhalten soll, ist so eine Sache. Eine echte Gleichpreisigkeit für Rx-Arzneimittel verbirgt sich dahinter bekanntlich nicht, das VOASG gilt nämlich nur für Arzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung. Für Patienten, die in einer Privaten Krankenversicherung sind, gibt’s keine Gleichpreisigkeit mehr. Das könnte bedeuten, dass die Preise für GKV und PKV auseinander driften. Das gefällt der PKV gar nicht, und die ABDA hat mit einem Preiswettbewerb, der dadurch entstehen könnte, ebenfalls ein Problem. Aber auch Pharmaverbände, z. B. der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) warnen vor dem Aufweichen der Preisbindung. Die Bedenken sind bei der Politik angekommen: Die SPD-Bundestagsfraktion bittet nun das Bundesgesundheitsministerium, erneut zu prüfen, ob man nicht doch das Rx-Boni-Verbot des VOASG auf die PKV ausweiten könne. Mein liebes Tagebuch, wir können nur hoffen, dass dieser Vorstoß in letzter Minute noch etwas bewegt. Denn mit freien Preisen und Preiskämpfen im PKV-Bereich ist keinem gedient. Allerdings kommt der SPD-Vorstoß nun wirklich spät, vermutlich zu spät, denn Jens Spahn hat bereits so eine Art grünes Licht aus Brüssel für sein VOASG bekommen. Ob er das VOASG nun stoppt und umarbeiten lässt, ist mehr als fraglich.

 

Auch Klaus Michels, Chef des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, mahnte bei der Politik an, schnellstmöglich Lösungen für die Apotheken zu finden, die von der AvP-Insolvenz betroffen sind. Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen seien unverschuldet in diese Notlage gekommen, manche Apotheken stünden unmittelbar vor dem Aus. Michels machte auch deutlich, dass die Politik Regelungen finden muss, um für die Zukunft ähnliche Fälle zu verhindern.

 

Die AvP-Pleite war Thema im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Es sprachen miteinander: Fachpolitiker, Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums, Bundeswirtschaftsministeriums und Bundesfinanzministeriums, außerdem die ABDA und der vorläufige Insolvenzverwalter sowie der von der Bankenaufsicht BaFin eingesetzte AvP-Geschäftsleiter. Da gab’s so einige Erkenntnisse über das AvP-Geschäft. AvP war als Factoring-Institut gelistet, das den Apotheken und anderen Leistungserbringern „schnelles Geld“ bei der Krankenkassenabrechnung zur Verfügung stellte. Möglich machte dies die AvP durch einen Konsortialkredit, also einen Kredit mit mehreren Banken. Die Apotheken mussten in ihrem Vertrag ihre Forderungen gegenüber den Krankenkassen an AvP abtreten. Zur AvP-Insolvenz führten u. a. signifikant niedrige Gebühren, unverhältnismäßige Ausgaben und so manche besondere Entnahme, heißt es. Und dann kündigten die Banken ihre Kreditlinien just in dem Moment, als so viele (Abschlags-)Zahlungen der Kassen bei der AvP eingegangen waren, dass deren offenen Forderungen befriedigt werden konnten. Die Banken holten sich so ihr Geld gewissermaßen unter Ausnutzung ihres Wissensvorsprungs und auf Kosten anderer Gläubiger. Spekuliert wird auch darüber, ob größere Geldbeträge illegal beiseite geschafft wurden, ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Unbekannte wegen betrügerischer Insolvenz läuft. Mein liebes Tagebuch, in dieser Gemengelage ist alles drin, was einen guten Wirtschaftskrimi abgibt. Aber wie sieht es nun mit Hilfen für die betroffenen Apotheken aus? Auf alle Fälle soll es Schnellkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit günstigen Zinskonditionen geben. Weitere politische Maßnahmen werden geprüft. Vor allem FDP und Grüne wollen sogar im Rahmen von Sondersitzungen weitere Hilfsmaßnahmen für Apotheken und politische Konsequenzen aus den Vorgängen beraten. Mein liebes Tagebuch, das ist dringend nötig!

 

Wie aus einer schriftlichen Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervorgeht, will unsere Regierung erstmal die weitere Entwicklung abwarten. Die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch die Apotheken sei der Bundesregierung zwar ein sehr wichtiges Anliegen, „sie wird diese auch weiterhin genau beobachten“. Mein liebes Tagebuch, das ist dünn, sehr dünn. Da fragt sich auch die Apothekerin und Arzneimittelexpertin der Linken, Sylvia Gabelmann, ob die Bundesregierung den Ernst der Lage erfasst hat. Denn immerhin hat die aufsichtführende Bundesbehörde BaFin erst arg spät reagiert; zudem sind die Apotheken gesetzlich verpflichtet, über diese privaten Zentren abzurechnen. Mein liebes Tagebuch, man nennt es Mitverantwortung des Bundes!

8. Oktober 2020 

KfW-Schnellkredite für Apotheken, die von der AvP-Insolvenz betroffen sind, ist das eine Ergebnis der politischen Vorgänge in Berlin. Aber das reicht nicht, das hilft langfristig nicht weiter. Für die Dresdener Apothekerin Sylvia Trautmann ist das sogar der falsche Weg. Liquiditätsengpässe werden damit nicht behoben, so die Apothekerin, und sie bringt es auf den Punkt: „Ich bin keinesfalls damit einverstanden, dass ich mit meinem Privatvermögen für ein Finanzverbrechen haften soll, das durch Gesetzgebung und staatliche Kontrolle hätte verhindert werden können.“ Sie fordert einen staatlichen zinslosen Rettungsfonds, der den kompletten finanziellen Ausgleich der AvP-bedingten Zahlungsverluste übernimmt. Richtig, mein liebes Tagebuch, das wäre die einzig vernünftige und angebrachte Lösung des Desasters, in das die Apotheken unverschuldet gekommen sind. Und sie verlangt von der Politik dafür zu sorgen, dass ein derartiger Missbrauch treuhänderisch zu verwaltender Gelder künftig wirksam verhindert wird. Wie dringend diese Forderung ist, zeigt eine Videobotschaft des ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt, mit der er zuerst die schlechte Nachricht überbringt: Eine schnelle Lösung wird es nicht geben, ebenso wenig werden alle Forderungen befriedigt werden – und bis überhaupt etwas aus der  Insolvenzmasse ausgeschüttet wird, können Monate bis Jahre vergehen. Als Lösung für die Zukunft macht die ABDA den konkreten Vorschlag: Die Gelder, die von den Krankenkassen an die Rechenzentren fließen und an die Apotheken weitergeleitet werden, müssen klar und offen auf Treuhandkonten ausgewiesen werden. Also, die Krankenkassengelder sind vom Vermögen der Abrechnungsstelle zu trennen. Und eine solche Separierung muss im Sozialrecht vorgeschrieben werden. Schmidt ist optimistisch, dass das gelingt.

Warum die Politik eingreifen muss, zeigt auch der lesenswerte Gastkommentar von DAZ.online-Autor Dr. Thomas Wellenhofer.

 

Eigentlich, ja eigentlich fände jetzt unser großer Deutscher Apothekertag in München statt. Eigentlich. Aber die Corona-Pandemie ließ das Treffen unserer ABDA, unserer Berufspolitiker und Delegierten platzen. Und ein virtuelles Treffen hielt die ABDA nicht für geboten, nicht zielführend – der persönliche Austausch sei durch nichts zu ersetzen, hieß es von ABDA-Seite. Mein liebes Tagebuch, manche sind überzeugt davon: Die ABDA wollte einfach nicht. Oder sie traute sich die virtuelle Konferenz nicht zu, zu viel Aufwand oder was auch immer. Mein liebes Tagebuch, schade, sehr schade, dass man es zumindest nicht mal versuchte. Ein aufwendiges virtuelles Expopharm-impuls-Format stellte man doch auch auf die Beine. Also, wie soll das weitergehen? Wann wird  sich unsere Berufsvertretung dem Apothekerparlament stellen? Corona und die Einschränkungen bleiben uns noch eine Zeitlang erhalten. Kein Apothekertag, keine Statements von Gesundheitspolitikern der Bundespolitik? Doch! DAZ.online bat die zuständigen Abgeordneten der Bundestagsfraktionen um ihre Botschaften an die Apothekerinnen und Apotheker.

 

Die Übernahme des Telemedizin-Anbieters Teleclinic durch die DocMorris-Mutter Zur Rose sorgte im Juli für einen Aufschrei bei uns Apothekers. Die seit Jahrhunderten bewährte Trennung von Arzt und Apotheker, von demjenigen, der Arzneimittel verordnet und dem, der sie abgibt, löst sich da gerade in Luft auf! Sieht unsere Bundesregierung diese Gefahr? Das Bundesgesundheitsministerium sieht jedenfalls derzeit keine Veranlassung zu handeln. Es gebe ausreichend Vorschriften, die eine Zuweisung von Patientinnen und Patienten an Apotheken untersagen. Dann gebe es auch noch das neue Patientendatenschutzgesetz mit seinem Zuweisungs- und Makelverbot. Und außerdem ist die freie Apothekenwahl im Sozialrecht verankert. Auch Jens Spahn meint, es gebe bereits genug Spielregeln, die das Zuweisen von Rezepten verhinderten. Mein liebes Tagebuch, Spielregeln?! Was ist das für ein blauäugiges Gottvertrauen. Ehrlich gesagt, wenn man sich vor Augen hält, wie EU-Versender unsere Gesetze in der Tat nur als Spielregeln betrachten, die man brechen kann, und Grenzen ausdehnen kann,  dann darf man sich schon fragen, wie lange unter den Verlockungen des E-Rezepts die Trennung zwischen Arzneimittel-Verordnung und -Auslieferung noch halten wird. 

9. Oktober 2020 

Schrittchen für Schrittchen nähern wir uns der „Verstetigung“ der Botendienstvergütung. Noch ist sie in einer zeitlich befristeten Sonderverordnung geregelt, die Ende des Jahres ausläuft, und auf 2,50 Euro gestutzt. Demnächst soll sie dann mit nicht mehr und nicht weniger als 2,50 Euro ins Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) übernommen werden. Das Bundesgesundheitsministerium hat die Formulierungshilfe für den Botendienst-Änderungsantrag zum VOASG vorgelegt. Inkrafttreten soll diese Regelung dann am 1. Januar 2021. Also, mein liebes Tagebuch, es wird wohl dabei bleiben, das wir diesen Mini-Zuschuss zum Botendienst bekommen. Einen Unterschied zu bisher wird es allerdings noch geben: Den Botendienstzuschuss gibt es nicht mehr für die Privatversicherten, die privaten Krankenversicherungen sind nämlich von dieser sozialrechtlichen Regelung nicht mehr erfasst. Mein liebes Tagebuch, wie wäre es, wenn wir für diesen Bringdienst zusätzlich z. B. 2,50 Euro von unseren Kundinnen und Kunden als Servicegebühr verlangen? Dieser besondere Service einer Lieferung nach Hause wird dadurch wertiger! Schaun wir uns doch mal um, welches Unternehmen liefert am gleichen Tag ohne Mindestbestellwert gratis nach Hause? Kein Pizzadienst, kein Lieferando, kein Lebensmittelsupermarkt. Ein großer Elektronikmarkt wirbt für seinen Lieferdienst „für nur 19 Euro“ sogar mit dem Begriff „Lieferluxus“ – und will damit deutlich machen, dass dieser Dienst zu diesem Preis etwas Besonders und darüber hinaus auch noch günstig sei.

 

Auch in Sachsen sind rund 100 Apothekers von der AvP-Insolvenz betroffen. Nach einer Umfrage schätzt der Sächsische Apothekerverband die derzeit offenen Zahlungen für seine Mitglieds-Apotheken auf fast 20 Millionen Euro. In einem Live-Talk auf DAZ.online machte Thomas Dittrich, Chef des Sächsischen Apothekerverbands, deutlich, dass die AvP-Insolvenz für alle ein Schock gewesen sei. Der Verband habe sofort das Landesgesundheitsministerium informiert. Für Dittrich ist es „unstrittig“, dass die Politik die Notlage der Apotheken erkennt. Der Verbandschef ließ wissen, dass die Apothekerverbände auch auf Bundesebene in dieser Sache zusammenarbeiteten, neun Verbände hätten gemeinsam eine Anwaltskanzlei beauftragt. Ja, KfW-Kredite stünden zur Verfügung. Und was ist mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen? Mein liebes Tagebuch, leider gibt’s da keine positiven Signale aus der Politik; Dittrich dazu: „Das ist schwierig, aber nicht aussichtslos.“ Mein liebes Tagebuch, das mag verhalten optimistisch klingen. Ehrlich gesagt, damit sollte man wohl eher nicht rechnen. Mit einem KfW-Kredit lässt sich die Liquidität sichern, das Aus für die Apotheke könnte abgewehrt werden, aber langfristig werden die betroffenen Apotheken vermutlich bluten müssen – viel Geld ist verloren.



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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8 Kommentare

"Avp-Virus" jetzt auf Kassensuche ...?

von Christian Timme am 11.10.2020 um 23:13 Uhr

"Corona" als wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument wird nicht nur den Apothekers noch "viel Freude" bereiten... wer wird denn ein solches "Spielzeug" freiwillig aus der Hand GEBEN?

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3 mal Hoch

von Dr.Diefenbach am 11.10.2020 um 16:17 Uhr

...man lese die Ausführungen der geschätzten Kollegin mehrfach um die dramatischen Konsequenzen, dargelegt von Prof.H. Meyer(hat die ABDA Spitze ihn eigentlich im Focus??)überhaupt zu erkennen.Offenbar ist da in der Berliner Juristerei einiges vorbei gelaufen,Ich frage aufs Neue:WO bleibt mal ein Statement von zB Herrn Tisch?Mir wird stets erzählt, dass die Aktivitäten im Verborgenen ablaufen, ohne die plebiszitäre PR(wie wir hier im Netz sie so betreiben!!),aber ich SEHE :Die Erfolge nicht!!! Insofern kann ich auch nur die Basis auffordern sich Ala Luther die Guttenbergerschen Thesen anzuschauen, dann vom Glauben abzufallen UND NEUE Wege zu suchen.Die Komplettabsage eines gerade jetzt so wichtigen Apothekertages.Das spricht für sich.Dass die Aktivitäten der Banken bei AvP so subtil abgelaufen sein sollen:Dies wäre ein Signal der hauseigenen PR gewesen, die breite!!!! Öffentlichkeit einmal auf das verquere Problem Individualhaftung gegenüber dem staatlichen,verpflichtenden!!! Versorgungsauftrag aufzuklären.Das unterblieb.Dass die Verbände nun agieren, ist in Sachen AvP OK, aber ging das rasch genug?In Bezug auf das VOASG :Da dürften wir erleben wie bestens strukturierte Prozesse schnell oder weniger schnell ,aber zielgerichtet auf Dinge wie Amazon Apotheken(auch wenn es noch dauern mag ) oder wie auch immer das dann heisst hinauslaufen.Die Menge an Individualapotheken:Sie sinkt, ganz massiv.Die Zukunftsqualitäten bei Konzentrationen sehen wir bereits heute in vielen Branchen:Anonym,unpersönlich.Genau DAS WAS die heutige Apothekenlandschaft TUT,wird politischer Wichtigtuerei geopfert.Das zwischenmenschliche schwindet,der Automat lebt.Auch dies steckt in den Hoch-Zeilen...

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Bringschuld

von Reinhard Rodiger am 11.10.2020 um 14:05 Uhr

Es ist geradezu peinlich und beschämend, dass die Standesführung die Mitverantwortung des Staates so völlig ignoriert.Hängenlassen zugunsten eines Deals, der die restlichen Apotheken sichern soll? Gleichzeitig durch den Mangel an Rückendeckung signalisieren, dass der AvP-Crash fast willkommen erscheint als Anlass, die 50% -Strategie zum Eliminieren früher zu beenden.
.Wo bleibt der lautstarke mediale Aufschrei, dass 20-30% der Apotheken in manchen Landesteilen gefährdet sind? Dass das System auf der Kippe steht? Daß Apotheken nur weiterarbeiten, wenn der Staat die Ausfallgarantie übernimmt.Das Risiko ist nicht zumutbar, weil erwartet werden kann,dass bei unzureichender Kontrolle des Staates Schäden gesetzt werden können, für die dann wieder niemand Verantwortung trägt.Jede Regelung für später muss die heutigen Schäden einbeziehen.Später nützt sonst nicht angemessen.
Juristische Unklarheiten sind kein Grund die eigentliche staatliche Verantwortung nicht zu fokussieren.Schliesslich hat schon Corona gezeigt, was alles möglich ist, wenn der Wille da ist.Hier fehlt er völlig.Es ist Einzelpersonen und EINER Partei zu danken, dass dies überhaupt zur Sprache kommt. Allein das sollte für eine Interessenvertretung beschämend sein.

Wer ausser Insidern versteht denn die Dimension dieses Vertrauensverlustes und die potentielle Schwächung der regionalen Versorgung ?

Es ist einfach die Pflicht, die Bringschuld des Staates lautstark zur Geltung zu bringen.Oder ist wirklich das unter Tarnnamen gemachte Eliminierungsförderungsgesetz (VASG) der Preis für die Enthaltsamkeit? Das wäre die Krönung der Nichtvertretung.

Zur Gefahr des vermeintlichen Apothekenstärkungsgesetzes liefert Kollegin Dr.H.Hoch im vorangegangenen Beitrag den Hintergrund.Dank dafür.Allein das Stehenlassen dieses Wortes zeugt für die eigentlichen Absichten unserer "Führung" : um jeden Preis müssen 50% weg, sonst ist es für den Rest nicht mehr komfortabel.

Also wehrt euch, indem ihr dem Aufruf von Kollegin A.Peter
folgt.Danke.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Immerhin "BEOBACHTET" die Politik die insolventen AvP-Apotheken ...

von Christian Timme am 11.10.2020 um 13:30 Uhr

Diese "Palliativbetreuung" muss man sich erstmal verdienen ... um danach dankbar als "Gesundheitsmüll" abzutreten. Wären die Apothekers die "Commerzbank" gäbe es keine "Spähne"...

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: "BEOBACHTET" ? - im Verkehrsfunk hieß das damals mal "Gaffer"

von Bernd Jas am 11.10.2020 um 15:58 Uhr


"BEOBACHTET" ? - im Verkehrsfunk hieß das damals mal "Gaffer"
Wo Sie grad´ sagen "Commerzbank" Herr Timme,
da fällt mir ein das diese mittlerweile eigentlich den Bürgern zu eigene Institution (18. oder 19. Milliarden-Rettung) der Hauptpartner der AvP war. Sind früher mal Zahlungen Trotz teurer Blitzüberweisung nicht pünktlich auf dem Apotheken-Konto erschienen, lag das NIE an der AvP sondern immer an der "Commerzbank" oder der Hausbank.
So langsam wird klaaar wo die hunderte von Millionen hin sind. Aber alles legal! Jau! Und die "Klein" Kriminellen haben ja angeblich auch noch nicht vollständig bezahlt.


Und wenn´s nutzt - Neue Bewegung - ok!

Das VOASG darf so nicht kommen!

von Dr. Heidrun Hoch am 11.10.2020 um 12:54 Uhr

Das VOASG darf SO NICHT kommen!
Zur Begründung zitiere ich Herrn Prof. Dr. Hilko Meyer aus seinem Artikel „Arzneimittelpreisrecht auf dem Prüfstand“ aus Arzneimittel & Recht , Ausgabe 4/20:

„Die Abkehr vom Geltungsanspruch der deutschen Preisregelungen für die aus anderen EU-Staaten an deutsche Patienten versandten Arzneimittel durch Streichung des § 72 Abs. 1 Satz 4 AMG gibt grundsätzliche Positionen des deutschen Gesetzgebers im Bereich seiner originären, durch Art. 168 Abs. 7 AEUV anerkannten Zuständigkeiten für den nationalen Gesundheitsschutz und die Organisation des Gesundheitswesens auf.“

Auch „untergräbt die Ausklammerung weiter Bereiche des einheitlichen RX-Abgabepreises (PKV-Versicherte, Selbstzahler, Kostenerstattung aus Einzelverträgen)
die unionsrechtlich bedeutsame Kohärenz und Widerspruchsfreiheit der vorgetragenen Rechtsgründe.“

Das bedeutet: Durch das VOASG in der vorliegenden Form ist kein Ende der Wettbewerbsverzerrung zulasten der Vor-Ort-Apotheken in Sicht!

Schlimmer noch, es wird die Grundlage gelegt, bei einem erneuten Verfahren vor dem EuGH zu scheitern.

So freut sich denn auch Binnenmarktkommissar Thierry Breton, dass das VOASG den Zugang deutscher Patienten zu Arzneimitteln verbessere...

Dieses Gesetz „Apothekenstärkungsgesetz“ zu nennen ist Zynismus pur.

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Neue Bewegung

von Anita Peter am 11.10.2020 um 9:22 Uhr

Liebe Kollegen,

bitte schliessen Sie sich alle der Bewegung von Frau Guttenberger an! Kurze Email reicht:

guttenberger@ratsapo24.de

Wir können nicht länger tatenlos dem Treiben der Politik und der ABDA zusehen. Die ABDA vertritt uns nicht mehr! Wir brauchen eine Bewegung die sich auch um die untere Hälfte der Vor Ort Apotheken kümmert und sich politisches Gehör verschafft.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Neue Bewegung

von Roland Mückschel am 11.10.2020 um 9:51 Uhr

Gemacht!

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.