Interview mit Ursula Funke

„Wir müssen als Heilberufler stärker in Erscheinung treten“

Berlin - 23.10.2020, 17:50 Uhr


„Das RxVV ist nach wie vor der Königsweg.“

Manch ein Politiker fürchtet, dass der DAV es nicht schafft, bis zum Ende der Legislaturperiode konkrete Verträge mit dem GKV-Spitzenverband auszuhandeln – denn dieser mauert ganz offensichtlich. Falls die Kassen eine Einigung bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr verschleppen, drohen die nächsten Spargesetze, die dann auch die pharmazeutischen Dienstleistungen treffen könnten. Teilen Sie die Bedenken?

Ich bin mir sicher, dass der DAV die nötige Manpower und Kraft hat, die Verhandlungen schnell zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen. Was Sie ansprechen, ist für mich ein vorgeschobenes Argument, um das Konzept der regionalisierten Dienstleistungen voranzutreiben. Da muss halt auch der entsprechende politische Druck aus dem Bundesgesundheitsministerium kommen.

Eine Regionalisierung lehnen Sie also ab?

Absolut. Es wäre doch aberwitzig, wenn bei mir in Wiesbaden ein Versicherter der AOK Hessen Anspruch auf eine Medikationsanalyse bei der Therapie mit fünf Arzneimitteln hat, der Patient, der über die Brücke kommt und bei der AOK Rheinland-Pfalz versichert ist, aber schon bei drei Arzneimitteln. Es darf auch nicht von der Zugehörigkeit zu einer Kasse abhängig sein, auf welche von Dienstleistungen ein Mensch Anspruch hat. Das Kriterium muss doch sein, was der Patient, der vor mir steht, für einen Bedarf hat.

Noch einmal zurück zum Thema Digitalisierung: Welche Visionen haben Sie diesbezüglich für die Apotheken?

Das ist ein Feld, das sich extrem schnell entwickelt. Beispielsweise können schon heutzutage Medikamente aus dem 3D-Drucker hergestellt werden, diese Entwicklungen sind extrem spannend. Natürlich wird das nicht heute oder morgen in den Apotheken ankommen, aber wir sollten solche Innovationen eng begleiten. Damit könnten wir auch die Herstellung in den Präsenzapotheken wieder stärken. Auch Apps sind ein wichtiger Bereich, in den wir uns stärker einbringen sollten.

Inwiefern?

Apps spielen heute in der Gesellschaft eine große Rolle. Das gilt auch für Gesundheitsapps – und viele davon sind erklärungsbedürftig. Wir Apotheker sind doch die idealen Ansprechpartner, wenn es darum geht, dabei die Spreu vom Weizen zu trennen, insbesondere, wenn es medikationsbezogene Anwendungen sind. Welche Anwendung ist für welchen Versicherten wirklich geeignet? Bei dieser Frage sollten wir uns einbringen. Denn diese Entwicklung läuft, ob wir sie begleiten oder nicht.

Die Digitalisierung setzt viel in Bewegung. Gibt es für Sie dabei auch Stoppschilder?

Mein Kollege Otto Quintus Russe hat uns im Vorstand seine Recherchen vorgestellt, die er neulich auch in einen Artikel auf DAZ.online veröffentlicht hat, wie leicht man auf „Arzt/Apotheker“-Online-Portalen mitunter an verschreibungspflichtige Medikamente praktisch aller Indikationen kommt. Ohne Kontakt mit einem Arzt, nur durch das Ankreuzen in einem Fragebogen, erhält man eine „Verschreibung“, die auch gleich an einen Versender gegeben wird. Das finde ich wirklich sehr erschreckend. Die Verschreibungspflicht gibt es ja nicht ohne Grund. Dagegen sollten wir uns mit aller Kraft stemmen, auch im Schulterschluss mit den Ärzten. Denn in deren Interesse können solche Entwicklungen ja auch nicht liegen. Auch die Politik müsste aus Verbraucherschutzgründen schnellstens aktiv werden.

Letzte Frage: Sie gelten als Befürworterin des Versandhandelsverbots mit verschreibungspflichtigen Arzneien. Wollen Sie dieses wieder auf die Agenda setzen?

Das RxVV ist nach wie vor der Königsweg. Damit wären sehr viele Probleme auf einen Schlag gelöst. Allerdings haben wir auch beschlossen, das VOASG konstruktiv und kritisch begleiten zu wollen und die Gleichpreisigkeit – auch für den Bereich der Privaten Krankenversicherung – eingefordert. Dahinter stehe ich völlig. Ich bin gespannt, was aus der Prüfbitte von Sabine Dittmar diesbezüglich wird. Wenn das VOASG in Kraft tritt, kann ich mir nicht vorstellen, dass das RxVV kurzfristig noch einmal auf die politische Agenda gesetzt wird.

Frau Funke, vielen Dank für das Gespräch. 



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


2 Kommentare

Grundlagen

von Reinhard Rodiger am 24.10.2020 um 20:19 Uhr

Da schwindet die Hoffnung auf eine Aufbruchstimmung, die früher durchklang.
Es ist eine Zumutung für die Politik und Missachtung der eigenen Leute, immer quasi eine Katze im Sack anzubieten und das als einzige Option für die Zukunft zu betrachten.
Die Grenze zum Vertrauensmissbrauch ist seit langem überschritten.Und das soll sich nicht ändern? Es besteht ein massives Defizit an Glaubwürdigkeit.Das lässt sich am besten an der praktizierten Debattenverkürzung festmachen.Alles Wesentliche ist nicht besprechbar. Soll das so bleiben?
Es besteht doch kein Zweifel,dass weder die Kassen,noch die Politik Finanzierungsmittel in substantiellem Mass vorhalten wollen.Vor allem, wenn sie nicht wissen "wofür".Es fehlt alles,
um das zu entkräften.
Wenn der Heilberufler stärker zum Vorschein kommen soll, so geht das nur, wenn der Kaufmann die Grundlage sichert.
Stattdessen steht ein bürokratisches Monstrum ohne offenes Validieren der Wirtschaftlichkeit am Horizont.

Ein Weitermachen ohne ein stimmiges Konzept hierzu begrenzt die Wirkung aller sonstigen Massnahmen.Ohne wirtschaftliche Grundlage ist der Heilberufler nur als staatlicher Angestellter möglich.Das gilt es zu widerlegen.




» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Ehrlichkeit

von Wolfgang Müller am 24.10.2020 um 16:49 Uhr

Liebe Kollegin Funke!

Bei aller Sympathie, bei Einigkeit zu allen anderen grundlegenden Themen der Apothekerschaft. Und bei aller sicher gemeinsamen Zielsetzung, einmal "Dienstleistungen" so auf die Schiene zu bringen, dass alle Beteiligten davon in Harmonie auskömmlich profitieren - Apotheker, Ärzte, Patienten. Und sich nicht in eine neue, nervtötende "polizeiliche" Strampel- und Aufsichts-Problematik begeben, vor Allem auch gegenüber den Ärzten.

Kollegin Funke, aber das können Sie doch selber nicht glauben und vertreten: "Ich verstehe, dass jeder Kollege gerne mehr über die Dienstleistungen wissen möchte, finde es jedoch schon nachvollziehbar, dem GKV-Spitzenverband nicht jetzt schon die Gelegenheit zu geben, den Katalog zu zerfleddern und sich Gegenargumente zu überlegen."

Da geht es doch in Wirklichkeit keinesfalls um "Die GKVen"! Die sind für ALLE Verhandlungs-Angebote des DAV zu "Dienstleistungen" definitiv sowieso schon perfekt vorbereitet. Da geht es doch schlicht um die vollkommen berechtigte Befürchtung, dass die klügeren unter den durchschnittlichen selbständigen Kolleg/innen da selber rechtzeitig ihren vollkommen berechtigten Protest anmelden könnten ("Zerfleddern").

Wenn die ABDA bzw. der DAV hier nämlich zwar mit fachlich guten Vorschlägen ankommt, die aber zu einem Stundensatz von 40 Euro (Frank Diener, völlig unverständlich) statt der mindestens für den Löwenanteil der Kollegenschaft vertretbaren 100 Euro pro Apothekerstunde (T. Müller-Bohn) verramscht werden sollen! Weil man eben vielleicht zu SCHWACH zum Verhandeln ist, und das Ganze UNBEDINGT auch unter Strampeln will, ohne Rücksicht auf Verluste, im wahrsten Sinne des Wortes.

Das GEHT NICHT, es ist unakademisch und würdelos. Wieder einmal so ein wichtiges Thema bis zu den mit "Den GKVen" geschaffenen Fakten geheim zu halten.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Müller

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.