Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

06.12.2020, 08:00 Uhr

Was bringt uns wohl der Nikolaus? Auf jeden Fall keine Corona-Testkits – die gibt's nur bei dm (Foto: Alex Schelbert)

Was bringt uns wohl der Nikolaus? Auf jeden Fall keine Corona-Testkits – die gibt's nur bei dm (Foto: Alex Schelbert)


1. Dezember 2020 

Apothekerin Beatrice Guttenberger versucht’s: Sie gründete einen neuen Verein, den Verbund starke Apotheke, seit Kurzem auch zu finden auf der neuen Webseite www.starkeapotheke.de. Auslöser für ihre Vereinsgründung waren die AvP-Insolvenz, von der die Apotheke ihres Bruders betroffen ist, und ihr Gefühl, in dieser Krise von der Politik und der Berufsvertretung in Stich gelassen zu sein. Gemeinsam mit gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen will sie über den neugegründeten Verein ein gewisse politische Schlagkraft entwickeln. Die Apothekerin, die ihre Apotheke im unterfränkischen Ochsenfurt betreibt und selbst nicht von der AvP-Insolvenz betroffen ist, ist schon seit geraumer Zeit unzufrieden mit der Art, wie wir Apothekers politisch vertreten werden. Und so haben sich dem neuen Verein nicht nur AvP-Geschädigte angeschlossen, sondern auch etliche andere Apothekerinnen und Apotheker, die unzufrieden mit der Standesvertretung sind. Auf der Agenda stehen z. B. E-Rezept, Honoraranpassung, Securpharm, Nullretax, Lieferengpässe und vieles mehr. Guttenberger beklagt vor allem eine mangelnde Basisnähe: Statt Standesvertretung aus dem Elfenbeinturm, so ihre Vision, braucht es ein System, das von unten nach oben aufgebaut ist. Mein liebes Tagebuch, vermutlich sind solche Gedanken von vielen nachvollziehbar. Mit dem neugegründeten Verein will Guttenberger auch sehen, ob die Kolleginnen und Kollegen nur schimpfen wollen oder ernsthaft bereits sind, einen, auch finanziellen Beitrag zu leisten: Derzeit haben sich dem Verein schon über 340 Mitstreiter:innen angeschlossen und Beiträge bezahlt. Die Apothekerin ist sich bewusst, dass ihr Verein eine gewisse Größe und entsprechende finanzielle Mittel braucht, um handlungsfähig zu sein. Guttenberger sieht eine akzeptable Größe dann erreicht, wenn rund zehn Prozent aller deutschen Apotheken dabei sind. Bis Ende Januar 2021 möchte sie die 1900 Mitglieder erreicht haben – wenn nicht, will sie nicht weitermachen, dann war’s für sie eine Initiative, „bei der ich viele neue Freunde gefunden und tolle Menschen kennengelernt habe“, wie sie sagt. Mein liebes Tagebuch, eine gewisse Unzufriedenheit ist durchaus bei vielen Apothekerinnen und Apothekern zu spüren. Viele fühlen sich nicht mehr verstanden und alleine gelassen. Die mangelhafte Unterstützung in der AvP-Krise durch Kammern, Verbände und auch durch die ABDA brachte das Fass zum Überlaufen. Ein neuer Verein ist da per se keine verkehrte Idee. Und er zeigt, wie ernst es denjenigen ist, die etwas verändern wollen.

 

Arzneimittel-Lieferengpässe rauf und runter, es wird nicht besser. Die ABDA hat daher Vertreter von Fachverbänden sowie EU-Politiker zu einer digitalen Fachkonferenz eingeladen, um europäische Ansätze gegen Arzneimittel-Lieferengpässe zu diskutieren. Wie ABDA-Vize Mathias Arnold richtig anmerkte: „Nicht zu handeln ist keine Option“. Wie wahr, mein liebes Tagebuch, aber was tun? Das Thema stärker priorisieren, sagt Peter Liese, Arzt und Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Die pharmazeutische Industrie muss dazu bewegt werden, Wirkstoffe vermehrt in der Europäischen Union zu produzieren. Für die approbierte Apothekerin und Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus ist das nur eine von mehreren Optionen. Die Hersteller müssten auch zu mehr Transparenz in der Lieferkette und Herstellung verpflichtet werden. Paulus möchte auch den „One health“-Ansatz verfolgen, will heißen: „Es gibt keine gesunden Menschen in einer ungesunden Umgebung.“ In die Gute Herstellungspraxis (GMP) für die pharmazeutische Industrie müssen auch ökologische Kriterien übernommen werden. Keine kleine Aufgabe.

 

Auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) veranstaltete eine Online-Konferenz zu den Themen Versorgungssicherheit, zur Verwendung von Versorgungsdaten und zu Freistellungen aus der Verschreibungspflicht. Der BAH-Vorstandsvorsitzende Jörg Wieczorek betonte, dass nationaler Protektionismus nicht gefragt sei – die Arzneimittelhersteller seien systemrelevant, und es brauche offene Grenzen. Auch die BAH-Konferenz befasste sich mit Arzneimittel-Lieferengpässen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte unterscheidet bekanntlich gerne zwischen Liefer- und Versorgungsengpässen – ein Unterschied, der für die Praxis im Apothekenalltag und die Versorgung der Patienten so nicht immer gesehen wird. BfArM-Präsident Karl Broich meinte, dass man es mit echten Versorgungsengpässen wie in der Pandemie nur zu tun habe, wenn es nicht genügend Alternativen gebe. Mein liebes Tagebuch, Versorgungsengpässe mit Alternativen zu begegnen, kann bei Patienten durchaus zu Problemen führen. Und wenn Versorgungs- und Lieferengpässe durch Alternativen gemildert werden sollten, dann sollte man uns Apothekers endlich auch dauerhaft auf breiter Front und nicht nur in Pandemie-Zeiten zugestehen, ein geeignetes vorhandenes Arzneimittel auswählen zu dürfen. Aber da stehen die Krankenkassen mit den Rabattverträgen im Weg. Mein liebes Tagebuch, die Lösung von Liefer- und Versorgungsengpässen liegt noch in weiter Ferne.



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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5 Kommentare

Bohn

von Karl Friedrich Müller am 06.12.2020 um 20:35 Uhr

Im Vorwort zur neuesten DAZ schreibt Bohn von der (alternativlosen) Flucht nach vorne, von der man nicht weiß, was die bringt oder bringen soll, weil es nicht wirklich Genaues gibt. Der Rückweg und Ausweg bleibt verschlossen durch die (Un-) Taten von Spahn und ABDA. Bei der ABDA auch das konsequente Nichtstun.
Mit drängen sich Bilder auf aus der Zeit der Neandertaler, die Mammutherden über die Klippen trieben in den sichern Tod. Nur, dass wir saturierte Faultiere sind. Und uns eher freuen, wenn einer ..

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Ahnung? Nicht die Bohne!

von Bernd Jas am 06.12.2020 um 22:07 Uhr

Hallo Herr Müller,
schöne Bilder sind das nicht. Aber haben Sie mal gehört was auf dem WEF (Welt Wirtschafts Forum) so bestimmt wird. Ich meine das ist so ´ne Truppe die zwar von niemanden gewählt wurden, aber unser aller Schicksal bestimmen wollen. Corona als Mittel zum Zweck. Digitalisierung auf Teufel komm raus, Rationalisierung der Arbeitswelt auf Teuf.........und Nahrungsmittelsteuerung. Da passen wir einfach nicht mehr ins Bild; und nicht nur wir nicht.
Es wird wenig heiter und mehr als Wolkig.
Kleiner Trost; über den Letzten der zumacht freut sich dann keiner mehr.

AW: Bohn

von Karl Friedrich Müller am 06.12.2020 um 22:48 Uhr

Was mich zugegeben ziemlich irritiert, ist die Tatsache, dass sehr viele Übernahmen, einige Neugründungen neben ein paar Schließungen stattfinden.
Das passt nicht ins Bild, also meines. Offensichtlich sich doch viele Kollegen und Kolleginnen sehr optimistisch und sehen für sich die Möglichkeit einer guten Zukunft, die ich ihnen auch von Herzen wünsche.
Vielleicht bin ich ein zu alter Dinosaurier und zu sehr in meiner Welt verhaftet. Die Digitalisierung ist nicht meine. Das hab ich schon oft gesagt.
Doch bin ich überzeugt, dass der Weg der ABDA der grundverkehrte ist. Er basiert auf Spekulationen. Sonst nichts.

Was ist ein (Wahl-) Aufsatz wert…

von Gunnar Müller, Detmold am 06.12.2020 um 9:49 Uhr

...in dem nur ein Name steht!?!
In Deutsch bekommt man dafür ’ne glatte Sechs – bei der ABDA demnächst ein Präsidentinnen- bzw. ein Vizepräsidentenamt.

Dann wünschen wir den 34 Mitgliedern also am Mittwoch viel Spaß beim erneuen „Zettel-Falten“ - so nannte man bereits die Wahlen in der alten DDR. Vielleicht auch aus eben jener Ermangelung an wirklichen Alternativen…

Dazu kommt: Friedemann Schmidt war nun wahrlich kein Donald Trump – und Gabriele Regina Overwiening ist erst recht kein weiblicher Joe Biden!

Warum sollten wir also euphorisch auf den 9. Dezember schauen?

In ihren bisherigen Amtszeiten in Westfalen-Lippe hat Overwiening nichts unversucht gelassen, die Opposition in Münster entweder mundtot zu machen oder sie aber (bei eigener absoluter Mehrheit.... :-)) so stark mit ihrer eigenen Mehrheits-Vorstandsarbeit zu verbinden, dass eine vorausschauende, lebendige und tatkräftige Problembewältigung mit einem Lächeln abgewürgt wurde.
Die sinkenden Apothekenzahlen auch in Westfalen-Lippe und die unbefriedigenden Ergebnisse ihrer „intensiven Gespräche“ mit den Gesundheitsministern auf Landes- und Bundesebene sprechen Bände.
Und das Verhältnis zur Ärzteschaft: Zwar große mediale ‚Baumberger Gespräche’ — aber ohne nachhaltige Veränderungen an der Basis und für die Basis.
Und ihre vorgeschobenen Bekenntnisse zu Transparenz: reine Fassade. Was erfahren wir in WL von all ihren jahrelangen „Aktivitäten“ in den diversen Gremien und Ausschüssen in Berlin und über den wirtschaftenden „Konzern ABDA“ denn wirklich? Nichts.

Mit GRO als Präsidentin der ABDA wird sich weder die ABDA ändern noch die Uneinigkeit zwischen den Mitgliedsorganisationen noch die Situation der Apothekerschaft insgesamt politisch wie wirtschaftlich noch unser Verhältnis zu den vermeintlich so mächtigen Standeszertretern in Berlin - und umgekehrt.

Also, machen wir uns nichts vor:

Mit GRO ändert sich bei der Apothekerschaft allenfalls die Tonhöhe - aber nicht die Situation. Geschweige denn, dass sie sich verbessern würde.
Alles bleibt, wie es ist. Allenfalls mit mehr Trara, Tamtam - und Pathos.
Na dann viel Spaß ...
P. S. Und falls unsere anderen 33 ABDA-Heldinnen und -Helden ihr eine besondere Vorweihnachtsfreude machen wollen - ein kleiner Tip:
Sie liebt „Einstimmigkeit“ ....

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Was lohnt mehr?

von Ulrich Ströh am 06.12.2020 um 8:54 Uhr

Mit Jens Spahn beim ABDA-Talk sich brav und nett zu unterhalten ist vernünftig, hilft uns aber bei unseren aktuellen Problemen nicht weiter, besonders , wenn es nur Verabschiedungsgespräche sind.

Insofern lohnt der Besuch von www.starkeapotheke.de.
Immerhin 340 Unterstützer bereits.

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