- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- Kann man die zweite Dosis...
Laut Zulassung erfordert eine vollständige Immunisierung mit dem Biontech/Pfizer-Corona-Impfstoff zwei Impfdosen im Abstand von drei bis vier Wochen. Da allerdings möglicherweise schon nach einer Dosis ein gewisser Schutz besteht und der Impfstoff knapp ist, gibt es nun Überlegungen, erstmal möglichst viele Menschen einmal zu impfen. In Großbritannien beispielsweise wird das bereits empfohlen. Auch in Deutschland wird zumindest darüber diskutiert. Doch geht das so einfach?
Die Idee ist auf den ersten Blick simpel und einleuchtend: Um zumindest einen gewissen Schutz gegen Corona zu haben, könnten möglichst viele Menschen zunächst die erste Dosis des Impfstoffs bekommen. Die zweite Dosis, die für einen besseren Schutz notwendig ist, käme dann später als vorgesehen dran. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will aufgrund der begrenzten Impfstoff-Mengen prüfen lassen, ob ein solches Vorgehen für Deutschland in Frage kommt. Auch in anderen Ländern wird das diskutiert. In Politik und Wissenschaft gehen die Meinungen dazu auseinander – auch weil Daten fehlen. Wichtige Aspekte dabei:
Mehr zum Thema
Die zweite Vakzine
EMA empfiehlt Zulassung für Corona-Impfstoff von Moderna
Seit Ende Dezember bekommen bestimmte Bevölkerungsgruppen in Deutschland den Impfstoff „Comirnaty“ von Biontech und Pfizer verabreicht. Für den vollen Impfschutz müssen zwei Dosen im Abstand von etwa drei Wochen gespritzt werden. Denkbar wäre nun, die zweite Dosis deutlich später zu geben. Dadurch könnten mehr Menschen eine erste Dosis bekommen – und damit zumindest einen gewissen Schutz vor COVID-19, so die Hoffnung. In Großbritannien hatte der zuständige Impfstoff-Ausschuss empfohlen, vorerst möglichst vielen Menschen nur die erste Dosis zu geben. Die zweite Dosis könne zwölf Wochen nach der ersten gespritzt werden.
Was genau will das BMG prüfen lassen?
Man habe die Ständige Impfkommission (STIKO) gebeten, vorliegende Daten und Studien zu einer solchen Praxis zu sichten, auszuwerten und eine Empfehlung in dieser Frage abzugeben, heißt es in einem BMG-Papier. „Eine solche Entscheidung in Abweichung von der Zulassung bedarf einer vertieften wissenschaftlichen Betrachtung und Abwägung.“
Wie ist das aktuelle Vorgehen beim Impfen?
Da in Deutschland erst Ende Dezember mit dem Impfen begonnen wurde, ist bislang nicht bekannt, dass jemand regulär bereits die zweite Dosis bekommen hätte. Empfohlen ist laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur, die zweite Dosis „mindestens 21 Tage“ nach der ersten zu spritzen. Die WHO empfiehlt einen Abstand von 21 bis 28 Tagen. In der entscheidenden Phase-III-Studie zu Comirnaty mit rund 36.000 Teilnehmern hat laut Biontech die Mehrheit der Probanden „die zweite Impfstoffdosis wie im Studienprotokoll vorgeschrieben“ bekommen – also nach 21 Tagen. Den Ergebnissen zufolge hat der Impfstoff sieben Tage nach der zweiten Dosis eine Wirksamkeit von 95 Prozent entfaltet.
Was spricht dafür, zunächst nur die erste Dosis zu geben?
Schiebt man die zweite Dosis nach hinten, ist erstmal mehr Impfstoff verfügbar, um mehr Menschen die einmal zu impfen. Die Hoffnung ist, dass dies allein schon einen gewissen Schutz bietet. So weist etwa die Gesellschaft für Immunologie darauf hin, „dass bereits die erste Impfung ab Tag 14 einen beträchtlichen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bieten kann". Es dürfe zwar nicht auf die zweite Dosis verzichtet werden, aber: „In dieser besonderen Pandemielage ist es vertretbar, mit den jetzt vorhandenen Impfdosen möglichst vielen Menschen erst einmal die erste Immunisierung zu ermöglichen, und die zweite Impfung verzögert, aber zwingend innerhalb von 60 Tagen, nachzuholen.“
Schützt eine Dosis oder drohen Resistenzen?
Gezielt wurde das bislang nicht untersucht. „Die Studie war nicht darauf ausgerichtet, die Wirksamkeit des Impfstoffs bei nur einer Dosis zu untersuchen“, heißt es in der Publikation zur Phase-III-Studie. Die Autoren schreiben aber auch: „Nichtsdestotrotz lag die beobachtete Wirksamkeit in der Zeitspanne zwischen der ersten und der zweiten Dosis bei 52 Prozent.“
Warum gibt es Bedenken, zunächst vielen Menschen eine Dosis zu geben?
Weil die Datenlage einigen Experten zufolge für eine solche Entscheidung recht schwach ist. „Ich glaube, dass Menschen nach der ersten Spritze nicht gut geschützt sind“, sagt Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI). Publizierte Daten zur Immunantwort von Probanden würden zeigen, dass der Körper nach der ersten Dosis kaum schützende Antikörper bildet. Es fehle eine Studie mit Zehntausenden Probanden, um die Dauer und Stärke der Schutzwirkung nach nur einer Dosis korrekt beurteilen zu können. Die Angaben zu einer Wirksamkeit von 52 Prozent nach nur einer Spritze bezeichnet er aufgrund der geringen Anzahl der aufgetretenen COVID-19-Erkrankungen in der Studie als „nicht sehr zuverlässig“. Zudem sei unklar, wie lange man die zweite Dosis aufschieben könne, um damit noch einen Boost-Effekt zu erreichen, der für die volle Wirkung notwendig ist.
Kann es bei einer unzureichenden Impfung sein, dass das Coronavirus resistent gegen den Impfstoff wird?
Das hält Experte Ulbert für „extrem unwahrscheinlich“. Befürchtungen in diese Richtung beruhen seiner Einschätzung nach auf Erfahrungen bei Antibiotika. Gegen diese Stoffe können Bakterien vergleichsweise einfach Resistenzen bilden, indem sie genau die Stelle eines Proteins verändern, an der das Medikament angreift. Bei den Corona-Impfstoffen sei die Lage aber eine andere. Die vom Körper gebildeten Corona-Antikörper seien sehr vielfältig und bänden das Virus an vielen unterschiedlichen Stellen. Um den Impfstoff unwirksam zu machen, müsste das Virus sich an allen diesen Stellen wandeln.
Was sagt der Hersteller?
Biontech weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass in der Phase-III-Studie Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs nur für den Fall untersucht wurden, dass die zweite Dosis 21 Tage nach der ersten erfolgt. „Auch wenn Daten aus der Studie gezeigt haben, dass ein gewisser Schutz auch schon zwölf Tage nach der ersten Impfung besteht, gibt es bisher keine Daten, dass ein Schutz nach der ersten Dosis auch über 21 Tage hinaus erhalten bleibt.“
Und die Zulassungsbehörde?
Die EMA weist in einer Mail darauf hin, dass die Empfehlungen zum Ablauf der Impfung auf Daten der Phase-III-Studie beruhen. In dieser Studie habe der Abstand zwischen den beiden Dosen maximal 42 Tage betragen. Würde der Abstand etwa auf sechs Monate vergrößert werden, „würde das eine Änderung der Bedingten Marktzulassung sowie mehr klinische Daten“ notwendig machen. Bislang gebe es keine Daten, die zeigen, dass es einen Schutz nach der ersten Dosis gibt, der über zwei bis drei Wochen hinausgeht.
Mehr zum Thema
Verschärfte Maßnahmen in der Corona-Pandemie
Regierung will für schnellere Impfstoff-Produktion sorgen
Die FDA, warnt davor, von der vorgeschriebenen Verabreichung der zwei Dosen abzuweichen. Mögliche Veränderungen in diesem Vorgehen wie die Reduzierung der Dosen oder die Verlängerung der Intervalle könnten eine Gefahr für das öffentliche Gesundheitswesen darstellen. Änderungen könnten erst erwogen werden, wenn es dazu wissenschaftlich fundierte Daten gebe.
Spahn: An die Zulassung halten
Auch wenn die Prüfung bei der STIKO noch läuft: Erste Rückmeldungen gibt es offenbar schon. So stellte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am heutigen Mittwoch in einer Pressekonferenz klar, dass die zweite Dosis jedenfalls nicht von einem anderen Hersteller kommen sollte als die erste. Davon rate die STIKO klar ab. Auch was ein Hinauszögern der Frist zwischen den beiden Impfungen betrifft, sieht es so aus, dass am Ende die Zulassung gilt. Und demnach sollten bei einer Impfung mit der Biontech-Vakzine 21 bis maximal 42 Tage zwischen den beiden Impfungen liegen. Gerade bei so sensiblen Fragen, wo es um Vertrauen gehe, sei es sinnvoll sich an die Zulassung zu halten, sagte Spahn.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.