Multiple Sklerose

COVID-19-Impfung unter Immuntherapie?

Stuttgart - 11.02.2021, 09:15 Uhr

Grundsätzlich empfehlen DMSG und KKNMS MS-Patienten, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Eine Immuntherapie sollte nicht pausiert werden. (Foto: IMAGO / Science Photo Library)

Grundsätzlich empfehlen DMSG und KKNMS MS-Patienten, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Eine Immuntherapie sollte nicht pausiert werden. (Foto: IMAGO / Science Photo Library)


Gibt es bereits Daten zu COVID-19-Impfungen bei MS? Welcher Impfstoff kommt in Frage, und sollen immunmodulierende Therapien pausiert werden? Beziehungsweise sollen sich MS-Patienten überhaupt gegen SARS-CoV-2 impfen lassen? Besteht nicht ein Risiko, dass Schübe getriggert werden? Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft und das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose haben Empfehlungen erstellt.

„Eine MS stellt grundsätzlich keine Kontraindikation für Impfungen dar“, erklärt die DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft), das ist auch bei COVID-19-Impfungen nicht anders. Doch gibt es vielleicht Präferenzen hinsichtlich des Impfstoffs? Mittlerweile sind in Deutschland drei Corona-Vakzinen zugelassen, zwei weitere prüft die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) bereits. Gemeinsam mit dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) hat die DMSG eine Empfehlung erstellt, was bei einer Corona-Impfung von MS-Erkrankten, auch während einer immunmodulierenden Therapie, zu beachten ist.

Impfungen schützen vor schweren Erkrankungen und infektbedingten Schüben

„Impfungen lösen keine MS aus“, konstatieren DMSG und KKNMS, eine Auswirkung auf die Krankheitsaktivität sei unwahrscheinlich. So seien in den letzten Jahren viele Daten zu Totimpfstoffen bei MS-Patienten veröffentlicht worden, und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Impfung mit einem Totimpfstoff einen Schub auslöst, ist laut den Experten diesen zufolge gering. Auch das Auftreten einer MS oder einer anderen Autoimmunerkrankung nach einer Impfung habe durch eine umfangreiche Untersuchung nicht bestätigt werden können. Hingegen ließen sich durch Impfungen Infektionen vermeiden, die – Punkt eins – schwere Erkrankungen verursachen und – Punkt zwei – bei MS-Erkrankten Schübe auslösen könnten und dadurch dazu beitragen, dass sich die Krankheit verschlechtert. „Wir wissen, dass nach Infekten, dass Schubrisiko erhöht ist. Im Vergleich dazu ist das Schubrisiko nach einer Impfung sehr gering.“ Grundsätzlich sollte man sich nur impfen lassen, wenn man sich wohlfühlt und keine Infekte, beispielsweise Erkältungen, hat. Doch: Auch MS-Erkrankte sollten – entsprechend den allgemeinen, von der STIKO empfohlenen Impfungen im Erwachsenenalter – geimpft werden, auch gegen Corona.

COVID-19-Folgen für MS-Patienten besonders beeinträchtigend

„Grundsätzlich ist eine Impfung gegen das neuartige Coronavirus (SARS CoV-2) zu empfehlen“, erklären DMSG und KKNMS. COVID-19-Infektionen verliefen in 10 Prozent der Fälle schwer, jedoch könnten auch nach leichteren Erkrankungen langanhaltende Symptome (Long Covid), wie Geschmacksstörungen und chronische Müdigkeit, Fatigue und Depressionen bestehen – was für MS Erkrankte besonders beeinträchtigend sei. Viele MS-Patienten kämpfen krankheitsbedingt mit chronischer Erschöpfung und Fatigue.

Wann werden MS-Patienten geimpft?

Die erste Coronavirus-Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vom 15. Dezember 2020 berücksichtigte MS-Erkrankte in der letzten Priorisierungsstufe („erhöhte Priorität“). Die STIKO hat jüngst ihre Empfehlungen zur COVID-19-Impfung überarbeitet und in der aktualisierten Version vom 29. Januar auch Raum für Härte- und Einzelfallentscheidungen geschaffen, sodass Impfungen auch in Stufe 2 („hohe Priorität“) möglich sind. Die neue Coronavirus-Impfverordnung trat am 8. Februar in Kraft. Doch wann fällt man unter diese bevorzugte Regelung? DGMS und KKNMS erklären, für eine vorrangige Impfung genüge eine formlose ärztliche Bescheinigung über „das Bestehen einer entsprechenden Erkrankung im Sinne des Paragrafen x Ziffer y der Coronavirus-Impfverordnung“, je nach Priorisierungsstufe. Fallen MS-Erkrankte altersbedingt in eine der drei Gruppen, genügt der Personalausweis.

Mit welchem Impfstoff sollen sich MS-Patienten impfen lassen?

Bislang sind in Deutschland mit BNT162b2 (Comirnaty®) von Biontech/Pfizer, mRNA-1273 (COVID-19-Impfstoff Moderna) von Moderna zwei mRNA-Impfstoffe und mit AZD1222 (COVID-19-Impfstoff AstraZeneca) von AstraZeneca/Universität Oxford ein Vektorimpfstoff zugelassen. Direkte Vergleiche der drei Impfstoffe durch Studien gibt es nicht, weder in der Allgemeinbevölkerung noch bei MS-Patienten. Allerdings können DMSG und KKNMS aufgrund der bislang verfügbaren Datenbasis keinen der drei Impfstoffe bevorzugt empfehlen. Aktuelle Erfahrungen aus Israel mit 500 MS-Patienten, die den mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer erhalten haben – zum Teil auch schon die zweite Impfung –, hätten bisher keine unerwarteten Nebenwirkungen oder eine Aktivierung der MS gezeigt.

Was ist unter Immuntherapie zu beachten?

Auch ist eine Impfung unter Immuntherapie, wie Interferon-β, Glatirameracetet oder Ocrelizumab möglich, allerdings gilt es einige Punkte zu berücksichtigen. So gibt es laut DMSG und KKNMS bei einigen Immuntherapien „Hinweise auf ein vermindertes Ansprechen“ der Impfung unter immunmodulierender Behandlung, doch sei die Datenlage begrenzt. Aus den Zulassungsstudien lägen keine Erkenntnisse für Patienten mit Autoimmunerkrankungen und/oder immunmodulierenden/-supprimierenden Therapien vor. Somit stützt sich die Einschätzung der Experten auf das Wissen über die Wirkmechanismen der MS-Therapien sowie der bisherigen Erfahrungen mit anderen Impfstoffen (z. B. Grippeimpfstoffe), und die ließen sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Corona-Impfstoffe“ übertragen.

Wichtig: Eine Immuntherapie sollte aufgrund der Impfung nicht unterbrochen werden – die Folgen auf die MS-Erkrankung durch das Pausieren der Therapie erwarten die Experten schwerer als die Folgen einer verminderten Immunantwort auf die Impfung. DMSG und KKNMS haben verfügbare Daten zu den einzelnen Wirkstoffen zusammengestellt.

COVID-19-Impfung unter Immuntherapie

  • Interferon-beta (Avonex®, Betaferon®, Extavia®, Plegridy®, Rebif® 22 und 44): Impfungen gegen das Grippevirus zeigten eine vergleichbare Immunantwort wie bei nicht Interferon-beta-Behandelten. Eine Impfung sollte gegebenenfalls circa zwei bis vier Wochen vor Therapiebeginn erfolgen. Während der Therapie ist, wenn möglich, die Impfung zeitlich jeweils an einen anderen Tag als die Interferon-Applikation zu legen.
  • Glatirameracetat: (Copaxone® 20 und 40, Clift®): Impfreaktion gegen Grippe war etwas geringer, aber ausreichend.
  • Natalizumab (Tysabri®): Impfantworten gegen Grippe waren etwas vermindert, aber ausreichend.
  • Dimethylfumarat (Tecfidera®): Keine Hinweise auf verminderten Impfschutz.
  • Teriflunomid (Aubagio®): Unter Aubagio® kann der Impferfolg bei üblichen Impfungen reduziert sein, wird aber im Allgemeinen als ausreichend angesehen. Die Impfantworten können auch noch nach Absetzen der Therapie für einige Monate vermindert sein. Eine Antikörperbestimmung nach der Impfung kann man empfehlen, deren Aussagekraft ist aber vorsichtig zu interpretieren.
  • Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor Modulatoren [Fingolimod (Gilenya®), Ozanimod (Zeposia®) und Siponimod (Mayzent®)]: Unter der Therapie mit Fingolimod ist ein eventuell reduzierter Impferfolg zu berücksichtigen. Gegebenenfalls sollten nach der Impfung die Antikörper im Serum bestimmt werden, und es besteht die Möglichkeit des wiederholten Impfens.
  • Alemtuzumab (Lemtrada®): In den ersten sechs Monaten nach einem Therapiezyklus der Therapie erfolgen noch abgeschwächte Impfantworten.
  • Azathioprin: Abgeschwächte Immunantworten in Abhängigkeit von der Dosierung.
  • Cladribin (Mavenclad®): Es liegen noch keine Daten zu Impfstudien vor. Aufgrund des Wirkungsmechanismus ist aber zumindest vorübergehend, in den ersten sechs Monaten nach dem Therapiezyklus, eine verminderte Impfantwort zu erwarten.
  • Mitoxantron (Novantron®, Ralenova®): Aufgrund des Wirkungsmechanismus ist während der Therapiezyklen eine verminderte Impfantwort zu erwarten, die auch nach Beendigung des letzten Zyklus, der langfristige Blutbildveränderungen mit sich bringt, zu erwarten sind.
  • Autologe Knochenmarkstransplantation (Stammzelltherapie): Es sind mindestens sechs Monate Abstand zwischen Stammzelltransplantation und Impfung zu empfehlen.
  • B-Zell depletierende Therapien [Ocrelizumab (Ocrevus®), Ofatumumab, (Kesimpta®, Zulassung wird im zweiten Quartal 2021 erwartet), Rituximab (Mabthera®, nicht zugelassen bei MS)]: Für Ocrelizumab wurde kürzlich gezeigt (Veloce Studie, Neurology 2020), dass bei einem Impfabstand von vier Monaten etwas niedrigere, aber ausreichende Titer erzielt wurden.
  • Immunglobuline: Immunglobuline sind körpereigene Immunfaktoren und enthalten viele Antikörper. Sie bieten daher einen gewissen Schutz gegen verschiedene Virusinfekte. Es ist aktuell nicht anzunehmen, dass die in Deutschland verwendeten Immunglobuline schon relevante Antikörper gegen SARS-CoV-2 enthalten. Im Allgemeinen dürften diese Antikörper aber niedrigtitrig sein und den Impferfolg nicht manipulieren.
  • Cortison-Therapie: Die übliche Schubtherapie beeinflusst Impfantworten. Impfungen sollten frühestens zwei Wochen, besser vier Wochen nach einer Hochdosistherapie erfolgen.


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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