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22. April 2021
Als Spahn Ende Januar während der laufenden Masken-Ausgabe-Aktion den Apotheken das Honorar pro Maske von 6 Euro auf 3,90 Euro kürzte, nannte das die ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening ein „fatales Signal“ für die Apothekers, sie sprach von erschüttertem Vertrauen in die Zusagen der Politik. Nun ja, mein liebes Tagebuch, erschüttertes Vertrauen war das eine, sinkende Marktpreise für Masken das andere. Und so setzten Stimmen aus der Gesundheitspolitik den Bundesgesundheitsminister gehörig unter Druck, marktgerechte Maskenpreise zu bezahlen. Was diesen Druck vergrößerte, war mutmaßlich auch das Verhalten einiger unserer lieben Kolleginnen und Kollegen, die der Politik und der Öffentlichkeit vorrechneten, wie „dumm und dämlich“ sie sich an den sinkenden Einkaufs- und hohen Verkaufspreisen für Masken verdienten. Friedemann Schmidt, Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer und bis Ende letzten Jahres noch ABDA-Präsident, prononcierte auf seiner Kammerversammlung solches Verhalten einzelner Kollegen mit den deutlichen Worten: Wer sowas öffentlich kommuniziere, „der hat es nicht anders verdient“, sagte Schmidt bei der Online-Kammerversammlung, „diesen Arschtritt haben einige von uns eingefordert.“ Nun ja, mein liebes Tagebuch, wir sehen, der Kammerpräsident scheint dem Verein für deutliche Aussprache beigetreten zu sein. Und vielleicht muss man bisweilen deutliche Worte finden, um zu zeigen, was man von einer Sache hält. Mein liebes Tagebuch, ja, es war mehr als unkollegial, was damals so einige clever einkaufende Kollegen vorrechneten, zumal bei weitem nicht alle Apotheken von Einkaufsvorteilen profitierten.
Die Bundes-Notbremse ist gezogen, spät, hoffentlich nicht zu spät. Denn der Corona-Zug rollt rasend dahin. Ärzte und Intensivmediziner beklagen bereits, dass zu spät gehandelt wurde angesichts steigender Inzidenzen, aber auch wegen einer zunehmenden Belegung der Intensivbetten. Das vierte Bevölkerungsschutzgesetz, das die Bundes-Notbremse in das Infektionsschutzgesetz einfügt, ist, wie soll es anders sein, natürlich umstritten, es gibt sogar verfassungsrechtliche Bedenken. Und so manche Länder meinen, dass ihre Erfahrungen in der Pandemiebekämpfung nicht berücksichtigt würden. Andererseits: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Und so ließ der Bundesrat das Gesetz letztlich passieren. Die Notbremse greift, wenn die Inzidenz an drei Tagen hintereinander über 100 liegt: Dann gibts nächtliche Ausgangsverbote, noch weniger Kontakte, Ladenöffnungen nur noch für Kunden mit negativem Corona-Test und mit Termin, auch beim Frisör, und einige weitere Einschränkungen. Die Regelungen treten am 23. April in Kraft und spätestens mit Ablauf des 30. Juni außer Kraft. Und was ist, wenn die Inzidenz unter 100 sinkt? Dann, so heißt es, entscheiden weiterhin die Länder über Maßnahmen. Mein liebes Tagebuch, können wir uns auf einen Sommer freuen?
Reißen Lieferketten ab, kommt es zu Lieferengpässen. ProGenerika, der Verband der Generikahersteller, befasste sich in einer Online-Talkrunde mit der Frage, wie Lieferketten stabiler gestaltet werden können. Mein liebes Tagebuch, als zu Beginn der Pandemie die Arzneimittel auf Intensivstationen knapp wurden, hat dies uns deutlich gezeigt, wie anfällig das System der Lieferketten ist. Kein Wunder, wenn man sich vor Augen hält, auf welch verschlungenen Wegen heute viele Arzneimittel produziert werden: Wirkstoffquellen liegen nicht selten in China, die Roh- und Hilfsstoffe kommen aus China und verschiedenen anderen Ursprungsländern, die Produktionsstätten für Fertigarzneimittel liegen in China, oft aber auch in Indien. Von dort kommen die Arzneimittel per Schiff in europäische Großlager, dann zu den Lagern der Großhändler. Mein liebes Tagebuch, ganz abgesehen davon, dass uns dies enorm abhängig macht von diesen Ländern: Solche Lieferketten sind immens empfindlich und vielfältigen Einwirkungen ausgesetzt, wie der Lieferketten-Experte Dr. Martin Schwarz erklärte, z. B. möglichen Explosionen in Fabriken, Erdbeben und Tsunami, Seuchen, Exportbeschränkungen, politischen Unruhen, Streiks, Unglücken wie die Blockade im Suezkanal und vielen anderen Einwirkungen. Ja, mein liebes Tagebuch, da darf man sich schon wundern, dass diese Lieferketten überhaupt so funktionieren. Und warum wird überhaupt fast nur noch in Ländern wie China und Indien produziert? Der Kostendruck zwingt die Hersteller dazu, sagt Christoph Steller von Teva. So liegen heute beispielsweise die tagestherapeutischen Kosten für ein durchschnittliches Generikum bei nur noch 6 Cent. Stoller: „Maßnahmen für mehr Liefersicherheit verursachen Extra-Kosten. Aber wer deshalb den Preis erhöht, hat in Ausschreibungen keine Chance.“ Mein liebes Tagebuch, ob die Pandemie die Krankenkassen zum Umdenken bewegt? Dr. André Breddemann von der Barmer ließ wissen, dass seine Kasse bei Ausschreibungen nicht nur auf den günstigsten Preis achtet, sondern auch die Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil macht. Gesundheitspolitiker Michael Hennrich (CDU) ist überzeugt: „Kriterien für mehr Liefersicherheit müssen in die Rabattverträge.“ Und Kordula Schulz-Asche (Die Grünen) ist überzeugt: „Es sind auch Preise nötig, die eine europäische Produktion wieder ermöglichen.“ Mein liebes Tagebuch, dass die Arzneimittelversorgung resilienter werden muss, hat mach sichtlich auf dem Schirm. Aber ob und wann sich letztlich etwas tut? Der Wettbewerb und der Kostendruck sind gnadenlos.
1 Kommentar
Opfer????
von Gunnar Müller, Detmold am 25.04.2021 um 12:27 Uhr
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