Trotz widersprüchlicher Studienergebnisse

FDA lässt Alzheimer-Antikörper Aducanumab zu

Stuttgart - 08.06.2021, 15:15 Uhr

Die FDA hat den Antikörper Aducanumab zur Alzheimertherapie genehmigt. Die Studiendaten lieferten keine konsistenten Wirksamkeitsdaten. (Foto: Urupong / AdoebStock)

Die FDA hat den Antikörper Aducanumab zur Alzheimertherapie genehmigt. Die Studiendaten lieferten keine konsistenten Wirksamkeitsdaten. (Foto: Urupong / AdoebStock)


In den Vereinigten Staaten können Patient:innen mit Alzheimer-Demenz fortan mit Aducanumab behandelt werden, die FDA erteilte dem Präparat Aduhelm in einem beschleunigten Verfahren die Zulassung, und zwar für alle Alzheimerpatienten. Der Antikörper ist seit 2003 das erste neue Arzneimittel in der Alzheimertherapie. Noch bedeutender: Aducanumab zielt der FDA zufolge auf die der Alzheimererkrankung zugrundeliegende Pathophysiologie ab – die Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn.

Nun doch: Der Weg des neuen Alzheimer-Arzneimittels – und des ersten Antikörpers in der Behandlung der Alzheimer-Demenz – war holprig und resultiert nun doch in einer ersten Zulassung von Aducanumab in den Vereinigten Staaten: Die FDA genehmigte am 7. Juni 2021 im Rahmen eines beschleunigten Zulassungswegs (Accelerated Approval Pathway) die Anwendung von Aducanumab in „Aduhelm“ bei Patient:innen mit Alzheimer. Die beschleunigte Zulassung stützt sich auf die Wirksamkeit von Aducanumab gemessen an einem Surrogat-Endpunkt: die Reduktion der Amyloid-Plaques. Überraschen dürfte zudem, dass Aducanumab nun für alle Alzheimerpatient:innen zugelassen wurde – die Phase-III-Studien hatten allerdings nur Patienten und Patientinnen im frühen Stadium der Alzheimererkrankung untersucht. 

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AduhelmTM wird monatlich als intravenöse Infusion verabreicht, der Antikörper bindet an Eiweißablagerungen, Beta-Amyloid, im Gehirn, markiert diese, sodass Beta-Amyloid vom Immunsystem degradiert werden kann. Aducanumab ist das erste Alzheimer-Arzneimittel, das nicht rein auf die Symptome der Demenz abzielt, sondern tatsächlich einen der Alzheimer-Erkrankung zugrunde liegenden Auslöser, die Amyloid-Plaques, angeht.

Widersprüchliche Studienergebnisse

Während der Studienphasen war nicht immer klar, ob Aducanumab es zu einer erfolgreichen Zulassung schafft. Nach vielversprechenden Tierversuchen und erfolgreichen ersten Untersuchungen liefen die beiden großen klinischen Studien 302 (EMERGE) und 301 (ENGAGE) nicht ganz reibungslos. Biogen und Eisai – die beiden forschenden Pharmaunternehmen hinter Aducanumab – brachen beide Studien vorzeitig, am 21. März 2019, ab. Der Grund: Eine Futility-Analyse auf Basis von 1.748 Patient:innen-Daten (Datenstand 26. Dezember 2018) ließ vermuten, dass die primären Endpunkte der Studien wahrscheinlich nicht erreicht werden.

Die Studien EMERGE und ENGAGE

An der EMERGE-Studie nahmen 1.638 Patient:innen, an ENGAGE 1.647 Patient:innen mit Alzheimer (Alter 50 bis 85 Jahre) im frühen Stadium teil. Beide Studien waren als randomisierte, placebokontrollierte, multizentrische, doppelblinde Phase-III-Studien konzipiert, sie starteten am 15. September 2015 (EMERGE) und am 13. August (ENGAGE). Die Proband:innen erhielten entweder eine niedrige Dosis Aducanumab (titriert auf 3 mg/kg oder 6 mg/kg Körpergewicht [KG]) oder eine hohe Dosis (titriert auf 6 mg/kg KG oder 10 mg/kg KG) oder Placebo. Die Infusionen erfolgten monatlich appliziert, als primären Endpunkt definierten die Studienautor:innen eine Verbesserung im Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes (CDR-SB) Score 18 Monate (76 Wochen) nach Therapie.

Damit war das Schicksal von Aducanumab jedoch nicht besiegelt, denn nur Monate später, im Oktober desselben Jahres, stellten Biogen und Eisai einen erweiterten Datensatz vor, denn manche Patient:innen (2.066 von 3.285) hatten trotz Abbruch der Studie zugestimmt, die Therapie wie ursprünglich geplant bis zum Monat 18 weiterzuführen. Wertete man diesen größeren Datensatz aus, zeigte sich im primären Endpunkt [Verbesserung im Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes (CDR-SB) Score] doch ein signifikanter Unterschied darin, ob die Patient:innen mit Aducanumab oder mit Placebo behandelt worden waren, und der klinische Verlauf der Alzheimer-Erkrankung verlangsamte sich unter Aducanumab mit 10 mg/kg KG. Allerdings nur bei Patient:innen in der EMERGE-Studie. Hingegen spiegelte die ENGAGE-Studie die positiven Daten nur in einer Subrgruppenanalyse wider, und zwar wenn die Patient:innen hohe Dosen erhalten hatten.

PCNS: widersprüchliche Studien erlauben keine Zulassung

Die FDA ist sich der Restunsicherheiten des klinischen Nutzens von Aducanumab wohl bewusst. Dr. Patrizia Cavazzoni, Direktorin des FDA Center for Drug Evaluation and Research, erklärte am Tag der Zulassung die Entscheidung der FDA, und dass tatsächlich nur eine der beiden zulassungsrelevanten Studien den primären Endpunkt erreicht und die klinische Verschlechterung der Alzheimer-Erkrankung reduzierte. Aber: „In allen ausgewerteten Studien reduzierte Aduhelm jedoch konsistent und sehr überzeugend dosis- und zeitabhängig die Menge der Amyloid-Plaques im Gehirn. Es wird erwartet, dass die Abnahme der Amyloid-Plaques  sodann auch die klinische Verschlechterung verringert“, erklärte Cavazzoni.

Beschleunigte Zulassung: Surrogat-Endpunkt genügt

Bereits im November 2020 hatte sich das Peripheral and Central Nervous System (PCNS) Drugs Advisory Committee mit Aducanumab befasst. Damals genügte dem Expertenkomitee diese eine erfolgreiche Studie (EMERGE) als Nachweis des klinischen Nutzens von Aducanumab nicht, um eine Zulassung zu stützen. Aufgrund der widersprüchlichen Studienergebnisse sprachen sich im November zehn Mitglieder des Ausschusses dagegen aus (eine Enthaltung), das Resultat von EMERGE sodann als primären Wirksamkeitsnachweis für Aducanumab bei Alzheimer anzusehen.

Reduktion der Amyloid-Plaques reduziert wahrscheinlich Fortschreiten der Erkrankung

Allerdings berücksichtigte das PCNS-Komitee zum damaligen Zeitpunkt nicht die Möglichkeit einer beschleunigten Zulassung von Aducanumab. Dieses Verfahren greift für Arzneimittel gegen schwere Erkrankungen, wenn diese einen signifikanten Nutzen gegenüber zugelassenen Therapien versprechen, selbst wenn Restunsicherheiten hinsichtlich des endgültigen klinischen Nutzens bestehen. Es muss jedoch zumindest ein substanzieller Wirksamkeitsnachweis bei Surrogat-Endpunkten – die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen klinischen Nutzen vermuten lassen – bestehen.

Vor diesem Hintergrund kam das PCNS zu dem Schluss, dass diese Voraussetzungen für Aducanumab erfüllt sind. Die Reduktion der Amyloid-Plaques durch Aducanumab führt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem klinischen Nutzen des Antikörpers bei Alzheimer, erklärte das PCNS-Komitee.

An die beschleunigte Zulassung sind jedoch Bedingungen geknüpft. So müssen Biogen und Eisai weitere „angemessene“ und „gut kontrollierte“ klinische Studien durchführen, um den klinischen Nutzen zu belegen. Würden diese Daten nicht nachgeliefert, könne die FDA die Zulassung auch wieder entziehen, erklärt die FDA.

Warnungen zu Aducanumab

Die Verschreibungsinformationen für AduhelmTM enthalten einen Warnhinweis für Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien (ARIA), die sich meist als vorübergehende Schwellungen in Bereichen des Gehirns zeigen, sich in der Regel mit der Zeit zurückbilden und meist keine Symptome verursachen. Manche Menschen haben allerdings Symptome wie Kopfschmerzen, Verwirrung, Schwindel, Sehstörungen oder Übelkeit, erklärt die FDA. Ein weiterer Warnhinweis für AduhelmTM bezieht sich auf das Risiko von Überempfindlichkeitsreaktionen, einschließlich Angioödemen und Urtikaria. Die häufigsten Nebenwirkungen von Aducanumab waren laut FDA ARIA, Kopfschmerzen, Sturz, Durchfall und Verwirrung, Delirium und veränderter mentaler Status sowie Desorientierung.

Auch die EMA prüft den Alzheimer-Antikörper bereits. Noch in diesem Jahr soll eine Entscheidung fallen, ob auch hierzulande Alzheimerpatient:innen – vielleicht auch nur bestimmte – künftig mit Aducanumab behandelt werden dürfen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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