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E-Rezept als „neues Beispiel gescheiterter Digitalisierung“?

Berlin - 23.08.2021, 07:00 Uhr

Der Arzt und Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen beklagt im DAZ-Interview den Umgang des Bundesgesundheitsministers mit den Apotheken während der Pandemie: Spahn habe das Image der Offizinen ohne Not beschädigt. (c / Foto: IMAGO / Political-Moments)

Der Arzt und Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen beklagt im DAZ-Interview den Umgang des Bundesgesundheitsministers mit den Apotheken während der Pandemie: Spahn habe das Image der Offizinen ohne Not beschädigt. (c / Foto: IMAGO / Political-Moments)


Fehlstart für das E-Rezept

Welche Aufgaben könnten die Apotheken im Zuge der Pandemiebekämpfung noch übernehmen?

Nach wie vor erlebe ich, dass es in vielen Umgangsfragen, wie etwa in Bezug auf Impfstoffe oder Masken, Unsicherheiten und einen hohen Beratungs- und Informationsbedarf innerhalb der Bevölkerung gibt. Die Bundesregierung hat es versäumt, abseits vereinzelter Kampagnen für eine sichtbare und systematische Aufklärung zu sorgen, die bei den Menschen ankommt. Daher ist es umso wichtiger, dass Apotheken als wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung im direkten Kontakt mit den Menschen Unsicherheiten auffangen.

Sollten die Apotheken auch selbst impfen dürfen?

In der aktuellen Situation sehe ich keinen Mangel an Menschen, die impfen können. Die große Herausforderung wird eher sein, Überzeugungsarbeit zu leisten, damit möglichst viele Menschen sich tatsächlich impfen lassen. Hier ist ein Schulterschluss zwischen Praxen und Apotheken ganz wichtig.

Ein weiteres großes Thema in der Gesundheitspolitik wird gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode die Einführung des E-Rezepts sein – zunächst auf freiwilliger Basis, ab Januar 2022 dann verpflichtend. Ist das Gesundheitswesen darauf ausreichend vorbereitet?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben ja faktisch einen Fehlstart gehabt, denn eigentlich sollte das E-Rezept bundesweit schon da sein, zumindest auf freiwilliger Basis. Und selbst der aktuell laufende Modellversuch in Berlin-Brandenburg ist nicht so angelaufen wie geplant. Ich habe nach wie vor große Sorge, dass wir einen Prozess, der analog gut funktioniert, nämlich das Ausstellen und Einlösen von Rezepten, durch das Digitalisieren verschlechtern. Ich bin ein großer Freund der Digitalisierung des Gesundheitswesens, aber ich fürchte, dass wir damit ein neues Beispiel gescheiterter Digitalisierung schaffen. Das wäre fatal für andere Prozesse, in denen wir sie dringend bräuchten. Die Politik muss sich endlich ernsthaft und seriös um das Thema E-Rezept kümmern, damit es zu einer Verbesserung der Patientenversorgung beitragen kann und sie nicht verschlechtert.

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Wo würden Sie nachbessern?

Im Moment geht es ja nur darum, den Transport eines Zettels von der Praxis in die Apotheke durch einen digitalen Prozess zu ersetzen. Das ist zu wenig. Es muss sowohl für die Ärzte- und Apothekerschaft als auch für die Versicherten einen erlebbaren Nutzen geben. Davon sind wir aktuell noch weit entfernt.

Welche Chancen räumen Sie in diesem Zusammenhang Plattform-Konzepten ein?

Plattformen gehören sicher zu den neuen Versorgungskonzepten, die künftig eine große Rolle spielen werden. Es gilt aber darauf zu achten, dass sich keine Insellösungen entwickeln, die letztlich wieder Schnittstellenprobleme mit sich bringen. Sie müssen integrativ wirken und unbedingt aus Patientensicht gedacht werden. Konzepte aus anderen Lebensbereichen, in denen Plattformen einen hohen Stellenwert haben, eins zu eins zu kopieren, wird nicht funktionieren.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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