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Stimmen zum 5. Jahrestag des EuGH-Urteils
„Dieses EuGH-Urteil hat das Arzneimittel trivialisiert“
Am gestrigen Dienstag war es genau fünf Jahre her, dass der EuGH für die im Ausland ansässigen Arzneimittelversender die Preisbindung kippte und ihnen somit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den deutschen Apotheken verschaffte. Denn für diese galten die fixen Preise weiter. Wir haben Standesvertreter unter anderem gefragt, ob sich ihre Befürchtungen von damals bewahrheitet haben und ob sie denken, dass das Thema Rx-Boni nun mit dem VOASG vom Tisch ist.
Der 19. Oktober 2016 erschütterte die deutsche Apothekenwelt: Der EuGH hatte an diesem Tag sein Urteil zur Preisbindung verkündet. Das Ergebnis ist bekannt. Bereits kurz nach Bekanntgabe des Urteils begann die Bonusschlacht der ausländischen Versender. Die deutschen Apotheken mussten zusehen, für sie galt die Preisbindung weiterhin – ein massiver Wettbewerbsvorteil, vor allem in Hinblick auf das künftige E-Rezept. Viele von denen, die heute in Kammern und Verbänden aktiv sind, waren es damals schon – wenn auch teilweise in anderer Position. Wir haben einige gefragt, was damals ihre Befürchtungen waren, ob sich diese bewahrheitet haben und ob mit dem VOASG, das die Preisbindung zumindest für den GKV-Bereich wieder hergestellt hat, die Kuh erstmal vom Eis ist. Lesen Sie hier ihre Antworten:
Gabriele Regina Overwiening, 2016 und heute Präsidentin der AKWL, außerdem ABDA-Präsidentin
„Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil zum Geltungsbereich der Arzneimittelpreisverordnung im Oktober 2016 eine der tragenden Säulen der Arzneimittelversorgung in Deutschland infrage gestellt. Das Urteil war eine klare Gefährdung für das flächendeckende, für Millionen von Patienten und Patientinnen so wichtige Apothekensystem. Deswegen hat die ABDA hart und ausdauernd für eine politische Korrektur der Folgen dieses Urteils gekämpft. Die Forderung nach einem Rx-Versandhandelsverbot war dabei das präferierte Mittel zur Erreichung des Ziels, die bundesweit geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente so schnell, so weitgehend und so rechtssicher wie möglich wiederherzustellen. Für das Rx-Versandverbot gab es nicht die zwingend nötige parlamentarische Mehrheit. Deswegen wurde mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) ein pragmatischer Weg eingeschlagen, der sich mittlerweile als erfolgreich herausgestellt hat. Drei entscheidende Dinge werden damit erzielt: Die Arzneimittelpreisbindung ist für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung und damit für neunzig Prozent des Marktes wieder hergestellt.
Natürlich muss die Einhaltung der Preisbindung in den nächsten Monaten und Jahren aufmerksam beobachtet und verteidigt werden. Zweitens eröffnet das VOASG den Apotheken das Angebot neuer Pharmazeutischer Dienstleistungen, die zu einer wichtigen fachlichen Zukunftsperspektive entwickelt werden und die den Menschen sowohl noch mehr Versorgungssicherheit als auch neue Präventionschancen bieten. Und drittens ist mit dem VOASG mehr Rechtssicherheit eingekehrt, da die EU-Kommission im Gegenzug wie erhofft das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingestellt hat. Der Berufsstand hat also seine Chancen gut genutzt. Und gerade im Zuge der Corona-Pandemie erleben wir in der Berufspolitik und im Apothekenalltag, dass wir gemeinsam erfolgreich vieles leisten können, wenn wir uns stärker auf die Chancen und weniger auf die Risiken konzentrieren!“
Ursula Funke, 2016 und heute Präsidentin der LAK Hessen, außerdem heute BAK-Vizepräsidentin
„Dieses EuGH-Urteil hat das Arzneimittel trivialisiert und als beliebige Ware einsortiert, unser ordnungspolitischer Rahmen wurde hier gesprengt.
Leider war die zielführendste und beste Maßnahme, die Auswirkungen dieses Urteils zu unterbinden, trotz großen Einsatzes von uns Apothekern, Verankerung im damaligen Koalitionsvertrag, eindeutigem Votum aus dem Bundesrat, leider politisch nicht umsetzbar. Ob das VOASG hinsichtlich des Rabattverbots auf Dauer hält, was der politische Wille hinter diesem Gesetz war, wird sich zeigen. Die Baustelle „Privatrezepte“ zumindest bleibt. Zuversichtlich stimmt vielleicht, dass das EU-Vertragsverletzungsverfahren in diesem Zusammenhang nun offenbar erledigt ist.“
Thomas Preis, damals und heute Vorsitzender des Vorstandes des Apothekerverbandes Nordrhein
„In den letzten fünf Jahren hat sich der Marktanteil der Versender weiter vergrößert. Die Marktmacht der Versender wird dadurch deutlich, dass ihr Marktanteil bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mittlerweile von Jahr zu Jahr wächst und aktuell schon einen Anteil von etwa 20 Prozent erreicht hat.
Jede Packung, die über den ausländischen Versandhandel geliefert wird, schädigt den Versorgungsauftrag der öffentlichen Apotheken in Deutschland.
Das VOASG ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber nicht, um das zu erreichen, was der Titel des Gesetzes verspricht: eine nachhaltige Stärkung der Vor-Ort-Apotheken.
Dieses Ziel muss jetzt eine neue Regierung dringend weiterverfolgen, denn wie wichtig die Apotheken vor Ort sind, haben die letzten 20 Monate der Pandemie gezeigt.“
Dr. Martin Braun, 2016 Vorstandsmitglied der LAK Baden-Württemberg, heute Präsident
„Der eigentliche Sündenfall war ja die Freigabe des Versandhandels für apothekenpflichtige Arzneimittel im Jahr 2004 in Verbindung mit der Einführung einer freien Preisbildung für OTC-Produkte.
Die Büchse der Pandora war geöffnet und man wollte in Deutschland explizit den Preiswettbewerb bei OTC-Arzneimittel fördern. Ohne diese Maßnahmen hätte es gar keine Grundlage für dieses Urteil des EuGH im Oktober 2016 gegeben! Man muss sich vor Augen führen, dass auch mit diesem Urteil letztlich Wettbewerb über Gesundheits- und Verbraucherschutz gestellt wurde. Diese Praxis halte ich nach wie vor für sehr bedenklich. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob der 'Kunstgriff' einer Verankerung des Rabatt-Verbotes im SGB V im Rahmen des VOASG sich als tatsächlich wirksam erweist. Erste Anzeichen hierzu gibt es ja schon.“
Dr. Armin Hoffmann, heute Präsident der Apothekerkammer Nordrhein
„Das Urteil des EuGH kam in Deutschland einem Erdbeben gleich, das den Apothekenmarkt erschüttert hat und mit dem man angesichts der früheren Rechtsprechung des EuGH nicht rechnen durfte. Die Aufräumarbeiten haben alle Beteiligten – Apotheker, Gerichte und Gesetzgeber – in den letzten Jahren stark beschäftigt.
Insbesondere die Apothekerkammer Nordrhein hat zahlreiche Folgeprozesse angestoßen, um die negativen Auswirkungen für die deutschen Vor-Ort-Apotheker so gering wie möglich zu halten, und sich auf politischer Ebene um eine Neuregelung im Interesse der deutschen Vor-Ort-Apotheken bemüht. In der Zwischenzeit ist es so gelungen, die Folgen des Urteils abzumildern. Der BGH hat mehrfach auf die Missverständnisse zwischen dem vorlegenden Gericht und dem EuGH hingewiesen, auf denen das Urteil beruht, und die Tür zum EuGH offen gehalten. Der deutsche Gesetzgeber hat eine neue Regelung erlassen, gegen die nun auch die Europäische Kommission keine Einwände hat. Das Vertragsverletzungsverfahren wurde eingestellt. Das jüngste von uns erstrittene Urteil des EuGH lässt den Schluss zu, dass es sich bei dem Urteil schlussendlich um einen Ausreißer in der Rechtsprechung des EuGH handelt, den wir zwar nicht aus den Geschichtsbüchern streichen können, der aber in der Praxis zukünftig immer weniger Relevanz haben wird.“
Dr. Sonja Mayer, 2016 Kammerdelegierte in Bayern, heute Vizepräsidentin der BLAK
„Mit seiner Entscheidung wollte der EuGH dafür sorgen, dass ausländische Versender keine unverhältnismäßigen Nachteile beim Marktzugang haben. Im kommenden Jahr – mit der Einführung des elektronischen Rezeptes gibt es diese Benachteiligung definitiv nicht mehr.
Das sieht man offensichtlich auch auf EU-Ebene mittlerweile so. Denn das seit 2013 laufende Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Rx-Preisbindung wurde aktuell eingestellt. Damit wurde also auch die mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) vom Arzneimittelgesetz ins SGB V überführte Preisbindung für GKV-Versicherte aktuell akzeptiert. Aus meiner Sicht ist es daher jetzt an der Zeit, dieses Kapitel endgültig abzuschließen. Dazu muss der deutsche Gesetzgeber allerdings die Gleichpreisigkeit noch im Bereich der PKV und der Selbstzahler wieder verpflichtend vorschreiben. Denn angesichts der nach wie vor leider rückläufigen Anzahl von Apotheken in Deutschland ist klar, dass es noch Handlungsbedarf gibt. Gerade in der Pandemie haben wir den Mehrwert der inhabergeführten Apotheke vor Ort jeden Tag mehr als deutlich gesehen. Die Apotheke vor Ort ist systemrelevant! Und auch in anderen Bereichen, etwa im Krankenhaus, haben Apothekerinnen und Apotheker gezeigt, wie wichtig der Berufsstand für die Versorgung der Bevölkerung ist. Mir macht mein Beruf jeden Tag viel Spaß. Ich setze darauf, dass die nächste Bundesregierung den mit dem VOASG begonnen Kurs fortsetzen wird und unseren Berufsstand mit verlässlichen Rahmenbedingungen im Interesse der Menschen in Deutschland noch mehr unterstützt. Wir sind dabei gerne bereit, unseren Mehrwert für die Gesellschaft z. B. im Bereich der pharmazeutischen Dienstleistungen noch stärker zu dokumentieren. Es soll schließlich jeder sofort erkennen können, dass sich der berufliche Einstieg in die Pharmazie lohnt und von der Gesellschaft wertgeschätzt wird.“
1 Kommentar
Eugh Urteil
von Sabine Schneider am 20.10.2021 um 12:40 Uhr
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