VDARZ-Gutachten über E-Rezept-Mängel

Anwälte raten von E-Rezept-Belieferung ab

Süsel - 15.12.2021, 13:45 Uhr

Die Hardware steht in den Apotheken, beim E-Rezept selber ist vieles noch unklar. (Foto: Schelbert) 

Die Hardware steht in den Apotheken, beim E-Rezept selber ist vieles noch unklar. (Foto: Schelbert) 


Der Bundesverband Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) sieht technische Mängel beim E-Rezept, die gravierende rechtliche Folgen haben könnten. In einem Gutachten zeigen die Rechtsanwälte Douglas und Kalkbrenner, dass noch gar nicht definiert wurde, was ein ordnungsgemäßes E-Rezept überhaupt ist. Daraufhin könnten die Krankenkassen möglicherweise die Bezahlung verweigern. Darum raten die Gutachter den Apotheken und den Rechenzentren vom Umgang mit E-Rezepten ab. Doch sie bieten auch eine Lösung an, die in der E-Rezept-Quittung der Gematik liegen könnte.

Das E-Rezept soll ab 1. Januar zur Pflicht werden, aber die Zweifel an der praktischen Umsetzbarkeit werden immer größer. Dabei erweist sich die Zerstückelung des Arbeitsablaufes zunehmend als Problem. Die Funktion der Telematikinfrastruktur (TI) und die Zuständigkeit der Gematik enden bei der Belieferung des E-Rezeptes. Die anschließende Abrechnung gehört nicht mehr dazu. Das sollte die Aufgabe überschaubarer machen, aber so wurden die Hürden bei der Abrechnung erst später sichtbar. Mittlerweile hat der Bundesverband Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) eine Mängelliste erstellt. Diese technischen Probleme haben ihrerseits rechtliche Folgen, die eine ordnungsgemäße Verarbeitung der E-Rezepte unmöglich machen könnten. Dies zeigt ein heute veröffentlichtes Gutachten, das die Rechtsanwälte Dr. Morton Douglas und Dr. Lukas Kalkbrenner von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen im Auftrag des VDARZ erstellt haben.

Mängelliste des VDARZ

Die Rechtsanwälte gehen dabei von folgenden technischen Mängeln aus, die der VDARZ festgestellt hat: Bei den für die Datensicherheit wesentlichen „Trust Service“-Listen werde ein veralteter Standard genutzt. Eine alternative Signaturprüfung könne in den Rechenzentren nicht erfolgen, weil die dafür nötigen Konnektoren fehlen. Außerdem würden keine qualifizierten Zeitstempel genutzt. Dies eröffne Fälschungsmöglichkeiten und die elektronische Quittung enthalte daraufhin noch keine Prüfsumme. Der VDARZ betont, dass Apotheken und Rechenzentren für diese Defizite nicht verantwortlich sind. Sie könnten nur mit dem arbeiten, was die Gematik zur Verfügung stellt. Doch der VDARZ befürchtet, dass insbesondere die Apotheken die Leidtragenden werden könnten.

Kein Geld von den Krankenkassen?

Douglas und Kalkbrenner untersuchen in ihrem Gutachten die rechtlichen Folgen. Dabei erklären sie zum Hintergrund, dass das Gütesiegel gemäß dem europaweit geltenden Standard für qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter nur den Wert „3“ und nicht den geforderten Wert „5“ habe. Dies sei gerade mit Blick auf den Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten problematisch. Als besonders gravierend stufen sie das Fehlen von Zeitstempeln im gesamten Verarbeitungsprozess ein. Daraus folgern die Rechtsanwälte, dass die Geschäftsgrundlage für das E-Rezept nicht gewährleistet ist. Denn die Vertragsparteien des Rahmenvertrages für die Arzneimittellieferung würden technisch einwandfrei bereitgestellte Daten voraussetzen.

Es sei zu fragen, ob überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Abrechnung von E-Rezepten besteht. Als zentralen Aspekt arbeiten die Rechtsanwälte eine Frage heraus: Wie ist eine ordnungsgemäße elektronische Verschreibung definiert? Es sei offen, ob die Ordnungsmäßigkeit auch die technischen Vorgaben umfasst, die von Apotheken weder geprüft noch beeinflusst werden können. Damit drohe den Apotheken, dass die Krankenkassen die Bezahlung der E-Rezepte aus formalen Gründen verweigern könnten.

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Außerdem befänden sich die Rechenzentren in einer „Zwickmühle“: Sie müssten als Auftragsverarbeiter eine sichere Datenübermittlung bieten, könnten diese aber angesichts der Voraussetzungen der TI nicht gewährleisten. Die Rechenzentren müssten die Apotheken auf datenschutzrechtliche Mängel hinweisen. Doch es sei nicht abschließend geklärt, wie sie sich danach zu verhalten hätten. Die Auftraggeber könnten mit ihrem Weisungsrecht die Abrechnung durchsetzen, soweit keine offensichtlichen Rechtsverletzungen vorliegen. Doch sogar dieser Fall könne nicht ausgeschlossen werden. Damit könnten die Rechenzentren die Abrechnung mit dem Verweis auf den Datenschutz zum Erliegen bringen. Weitere Fragen sehen die Gutachter bei den Heilungsmöglichkeiten für erkannte technische Mängel und dem weiteren Umgang mit technisch unzulänglichen Verordnungen.

Sind E-Rezepte überhaupt gültig?

Dies alles kann nach Einschätzung der Gutachter auch apothekenrechtliche Folgen haben. Sind solche Verordnungen überhaupt rechtswirksam im Sinne von § 48 Abs. 1 AMG? Möglicherweise könnte die Belieferung als vorsätzliche oder zumindest fahrlässige Abgabe ohne Verschreibung ausgelegt werden. Die Rechtsanwälte legen nahe, dass die Apotheken dabei wohl auf die Ordnungsmäßigkeit der technischen Spezifikationen vertrauen könnten. Sicher sei eine solche Bewertung jedoch nicht.

Vorschlag: Quittung als Bestätigung für technische Anforderungen

Als Ergebnis stellen die Gutachter fest, dass derzeit offen ist, was eine ordnungsgemäße elektronische Verordnung ist. Dies schaffe erhebliche Unsicherheiten für Apotheken und Rechenzentren. Als Lösungsansatz schlagen die Gutachter vor, dass der nach den Regeln des Rahmenvertrages zur Arzneimittellieferung ausgestellten Quittung der Gematik „die Wirkung zukommt, dass damit jegliche Einwände hinsichtlich der technischen Spezifikationen der elektronischen Verordnung präkludiert sind“. Wenn die Gematik diese Quittung erstellt habe, sollte der Kostenträger die Zahlung nicht mehr mit dem Verweis auf technische Anforderungen verweigern können. Doch dafür sei ein qualifizierter Zeitstempel unverzichtbar. Das „Ausklammern“ der technischen Spezifikationen aus der Verantwortung der Apotheken würde diesen die Beweisnot nehmen, dass die Verordnung bei der Belieferung technisch nicht zu beanstanden war. Allerdings würde diese Lösung nicht unmittelbar auf die datenschutzrechtliche Bewertung durchschlagen, mahnen die Gutachter. Die Gematik müsse allein die Verantwortung tragen, dass die technischen Vorgaben eingehalten werden. Darum müsse sie die anderen Beteiligten von allen Ansprüchen aufgrund fehlerhafter technischer Vorgaben freistellen. Außerdem fordern die Gutachter zu klären, wie mit E-Rezepten umzugehen ist, bei denen schon vor dem Erstellen der Quittung technische Mängel festgestellt werden. Es sollte einen Mechanismus geben, mit dem die Apotheke die Belieferung nachträglich legitimieren kann.

Gutachter raten von Belieferung ab

Trotz der komplexen Situation kommen die Gutachter zu einem erschreckend deutlichen Fazit. Ohne eine Klarstellung, was eine ordnungsgemäße elektronische Verordnung ist, könne einer Apotheke nicht empfohlen werden, eine solche Verordnung anzunehmen, erklären die Gutachter. Außerdem könne einem Rechenzentrum nicht empfohlen werden, eine solche Verordnung anzunehmen.

Weiter gedacht: Besser Aufschieben?

Mit diesen rechtlichen Argumenten wird die Liste der Unwägbarkeiten rund um das E-Rezept immer länger. Möglicherweise wird dies auch der Forderung nach einem Aufschub neue Nahrung geben.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Offensichtliche Lobby Nebelkerze

von Michael B am 16.12.2021 um 10:24 Uhr

allzu offensichtlich versuchen die Abrechnungszentren ihr Geschäft zu sichern und Unsicherheit zu verbreiten, denn kein Kostenträger verweigert die Zahlungen von eRezepten aufgrund der im juristischen(!) genannten Mängel.
Mit Einführung des eRezeptes verlieren die Abrechnungszentren wesentliche Grundlagen ihrer Existenzberechtigungen - da würde ich als Lobby Verband auch versuchen Nebel zu erzeugen und die Einführung zu torpedieren.

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... und der Versandhandel lacht sich ins Fäustchen

von Annette am 15.12.2021 um 18:29 Uhr

Die Versender haben alle diese Probleme nicht und freuen sich über jeden Kunden, den wir höflich lächelnd abweisen.
Haben die Rechenzentren eigentlich auch kein Interesse am Überleben der Vor- Ort-Apotheke?

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AW: ... und der Versandhandel lacht sich ins

von Edzard Lueg am 15.12.2021 um 20:43 Uhr

Ja, liebe Annette.
Und wegen genau diesen Bedenkenträgern wie Ihnen stehen wir genau da, wo wir nun sind.
Was für ein unüberlegter Mist.

AW: ... und der Versandhandel lacht sich ins

von Stefan Haydn am 16.12.2021 um 10:09 Uhr

Einmal kurz überlegt, wäre Ihnen klar, dass der Versandhandel diese Problematik teilt.
Nur werden die Kassen vermutlich im Gegensatz zur Vor-Ort-Apotheke die Zahlung nicht verweigern.

Seit 10 Jahren wäre es den Kassen ein Leichtes gewesen Geld bei den Versandhandelsrezepten einzusparen, wenn man sich auf die vertragswidrige Rabattgewährung berufen hätte. Ergibt nämlich komplette Nichtzahlung.

Aber vor diesen Playern hat man offenbar Angst, oder lässt sich den Hintern gemütlich wärmen.

das e- Rezept

von Michael Folk am 15.12.2021 um 15:56 Uhr

es is schon schlimm genug, daß die Politik unablässig alle Weichen in Richtung „online“ stellt und nicht begreifen will, was sie damit anstellt, um so mehr kommt es darauf an Traditionen zu erhalten und ein Rezept in der Apotheke einzulösen

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