Weg zu einer Impfung gegen MS noch weit

Hinweise verdichten sich: Epstein-Barr-Virus wohl ein Auslöser der Multiplen Sklerose

Stuttgart - 18.01.2022, 14:45 Uhr

Eine prophylaktische Vakzine, die eine sterile Immunität induziert und EBV-Infektionen verhindert, könnte ein ideales Mittel sein, um die die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von MS zu minimieren. Könnte ... (Foto: taa22 / AdobeStock)

Eine prophylaktische Vakzine, die eine sterile Immunität induziert und EBV-Infektionen verhindert, könnte ein ideales Mittel sein, um die die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von MS zu minimieren. Könnte ... (Foto: taa22 / AdobeStock)


Schon länger deuten Daten darauf hin, dass das Epstein-Barr-Virus (EBV) eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Multipler Sklerose (MS) spielen könnte. Neue Daten unterstreichen diese Hypothese und lassen die Frage aufkommen, ob man mit der Bekämpfung des Virus nicht auch der Multiplen Sklerose Einhalt gebieten könnte. Der Weg bis zu einer Impfung gegen MS erscheint dabei noch weit, jedoch lässt sich eventuell die Wirkweise von bereits bei MS eingesetzten Arzneimitteln über EBV erklären.

In dem Fach-Journal „Science“ wurde am 13. Januar eine Studie veröffentlicht, die von vielen Medien aufgegriffen wurde. Wie der Titel der Arbeit erklärt, zeigt die Längsschnittanalayse eine hohe Prävalenz des Epstein-Barr-Virus (EBV) in Verbindung mit Multipler Sklerose (MS) bei den Probanden der Studie. In der Zusammenfassung wird die gewagte Aussage getroffen, dass die Ergebnisse darauf hindeuten, dass EBV die Hauptursache für MS ist. 

Wie das Science Media Center (SMC) schon vor Veröffentlichung der Studie berichtete, haben die US-amerikanischen Studienautoren Blutproben von über zehn Millionen Militärangestellten untersucht. Diese wurden in ihrer Berufslaufbahn jährlich mit einer Blutentnahme routinemäßig auf HIV getestet. Dabei wurden 801 Personen mit MS identifiziert, die wiederum auf Antikörper gegen EBV untersucht wurden. Zwar waren 35 dieser Personen mit MS zum Zeitpunkt der ersten Blutprobe nicht mit EBV infiziert und damit seronegativ – vor dem Ausbruch der MS, hätten sich jedoch 34 der 35 Personen mit dem Virus angesteckt und auch Antikörper entwickelt. „Die EBV-Seropositivität war zum Zeitpunkt der MS-Entwicklung nahezu allgegenwärtig, nur einer der 801 MS-Fälle war zum Zeitpunkt des Ausbruchs EBV-seronegativ“, heißt es. Hinzu kommt, dass laut SMC anhand der Blutproben auch gezeigt wurde, dass bei denjenigen, die zunächst EBV-negativ waren, auch keine Biomarker für MS nachweisbar waren. In den Blutproben nach der EBV-Infektion, noch vor Einsetzen der MS-Symptome, konnten die Biomarker jedoch detektiert werden.

Viele EBV-Infektionen, aber wenige MS-Erkrankungen

In „Science“ wurde parallel zur Studie ein einordnendes Papier veröffentlicht. Demnach ist der Mechanismus, wie die EBV-Infektion eine MS auslösen könnte, noch nicht aufgeklärt. Wohlgemerkt infizieren sich mehr als 90 Prozent der Menschen in ihrem Leben mit EBV – nur wenige davon erkranken an MS, obwohl das Virus lebenslang im Körper verbleibt. Andere Parameter wie genetische Faktoren müssen hier also berücksichtigt werden.

Von den neuen Erkenntnissen erhofft man sich nun, daraus Behandlungsstrategien zu entwickeln. Doch der Weg dorthin ist wahrscheinlich noch weit. Für Prof. Dr. Wolfgang Hammerschmidt, Leiter der Gruppe Genvektoren am Helmholtz Zentrum München sprechen die neuen Daten aber definitiv für eine Korrelation von EBV-Infektion und MS, was eine Kausalität wahrscheinlich mache, aber dennoch nicht beweisen könne. „Wie die Autoren anführen, wäre eine prophylaktische Vakzine, die eine sterile Immunität induziert und EBV-Infektionen verhindert, ein ideales Mittel, die Entstehung von MS zu minimieren“, erklärt Hammerschmidt. Dass ein EBV-Impfstoff mit solchen überragenden Eigenschaften entwickelt werden kann, sei derzeit jedoch unwahrscheinlich. „Realistisch ist es, einen Impfstoff mit der Indikation ‚Infektiöse Mononukleose‘. also der durch EBV hervorgerufenen Erkrankung, zu entwickeln, der das zusätzliche Risiko einer Infektiösen Mononukleose-Erkrankung bei der Entstehung von MS ausschaltet.“  Es sei bekannt, dass eine Infektiöse Mononukleose das Risiko, an MS zu erkranken, weiter erhöht. Die Studie unterscheide aber leider nicht zwischen (klinisch inapparenter) EBV-Infektion und Infektiöser Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber). Hammerschmidt arbeitet mit seinem Team selbst an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen EBV. 

Prof. Dr. Roland Martin, Gruppenleiter Neuroimmunologie und Multiple Sklerose am Universitätsspital Zürich in der Schweiz äußert sich ähnlich: „Die frühe Impfung, wenn sie wirksam wäre, würde einen großen Fortschritt bedeuten, und, wenn es dann nicht mehr zur MS käme, wäre die Hauptaussage der Arbeit tatsächlich bewiesen“, erklärt er.

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Der US-Impfstoffhersteller Moderna ist tatsächlich erst vor wenigen Tagen mit einem mRNA-Impfstoff gegen EBV in die klinische Studienphase eingetreten. Allerdings sind, obwohl weltweit mehrere Labore an einem Impfstoff gegen EBV arbeiten, bisher alle Versuche der Entwicklung gescheitert. In seiner latenten Phase ist das Virus für das Immunsystem nämlich praktisch unsichtbar, doch gerade dort will man es erreichen, weil diese Phase auch für die Entstehung von Tumoren verantwortlich gemacht wird. „Nur wenn man die Infektion des Wirts komplett durch die Impfung vermeiden könnte, wäre diese aus meiner Sicht sinnvoll“, erklärt Martin im Zusammenhang mit MS, und: „Wenn man einmal infiziert ist, ist es sehr schwer vorzustellen beziehungsweise unmöglich, das Virus über Medikamente oder eine Impfung nach Infektion zu beeinflussen. Es gibt zwar Versuche, mit EBV-spezifischen T-Zellen zu versuchen, virus-infizierte Zellen im Körper zu eliminieren, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass durch eine derartige, sogenannte adoptive T-Zell-Therapie alle virusinfizierten Zellen im Körper erreichbar wären.“

Zahlreiche andere Risikofaktoren

Martin geht die Schlussfolgerung, eine EBV-Infektion als Hauptursache für MS zu bezeichnen, zu weit: „Die Daten der vergangenen 20 Jahre zur Ursache der MS besagen, dass es einen komplexen genetischen Hintergrund gibt, der zur MS prädisponiert. Hierzu gehört vor allem ein bestimmter HLA-Typ (sogenannter HLA-DR15 Haplotyp)(Humane Leukozytenantigene; in der Zellmembran verankerte Glykoproteine; Anm. d. Red.); dieser erhöht das MS-Risiko ungefähr um den Faktor drei und noch mehr (bis über zwölf), wenn man gleichzeitig raucht und EBV-Antikörper gegen ein bestimmtes EBV-Gen hat.“ Es gebe jedoch zudem über 230 andere Gene, die jeweils auf Ebene des einzelnen Gens schwach zum Risiko beitragen, aber nahezu ausnahmslos immunologisch relevant seien. 

Auch sei das EBV nicht der einzige Umweltrisikofaktor für MS – zu nennen seien außerdem: „niedriges Vitamin D, Rauchen, Fettleibigkeit im späten Kindes- beziehungsweise frühen Erwachsenenalter, Schichtarbeit beziehungsweise ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus in diesem Alter sowie bestimmte Darmbakterien“. Auch die Rolle anderer Viren sei nicht zu vernachlässigen.

CD20-spezifische Antikörper gegen MS weiter erforschen!

Prof. Dr. Henri-Jacques Delecluse ist Leiter der Arbeitsgruppe Pathogenese infektionsbedingter Tumoren am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Er forscht selbst über EBV, auch an der Entwicklung einer EBV-Vakzine sowie an therapeutischen Strategien gegen EBV. Und er sprach bereits 2020 auf der Interpharm über die Probleme bei der Impfstoffentwicklung gegen EBV. 

Er hält die neue Studie für die bis jetzt überzeugendste. Sie zeige eindeutig, dass sich MS ohne EBV-Infektion beinahe nicht entwickeln würde: „Die Autoren kommen zum Schluss, dass das Risiko an MS zu erkranken 32-fach größer ist bei Menschen, die vom Virus infiziert wurden, als bei Menschen, die das Virus nicht tragen, was eine erhebliche Zahl darstellt. So ein hohes Risiko kennt man zum Beispiel für Rauchen und Lungenkrebs“, ordnet er die Ergebnisse ein. Doch auch er schränkt ein: „Allerdings sind andere Faktoren, zum Beispiel genetischer Natur, wie MHC-Gene, die die Immunantwort regulieren, auch wichtig. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass andere, bis jetzt nicht eindeutig identifizierte nicht-genetische Faktoren eine wichtige Rolle spielen, wie das Alter bei der ersten Infektion mit EBV oder bis jetzt bekannte infektiöse Agenzien. Letztlich ist MS eine seltene Krankheit und die allermeisten EBV-positiven Menschen haben kein MS.“

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Während momentan unklar bleibe, ob eine EBV-Impfung MS vorbeugen kann, erscheint Delecluse die Beseitigung von EBV-infizierten B-Zellen vielversprechend: „Die Wirksamkeit der Therapie mit CD20-spezifischen Antikörpern bei MS-Patienten könnte unter anderem daran liegen, dass sie das Reservoir EBV-infizierter Zellen, also die B-Zellen (mehrere Studien haben in MS-Patienten EBV-infizierte B-Zellen nachgewiesen; Anm. d. Red.), eliminiert. Da diese Antikörpertherapie auch nicht infizierte Zellen abtötet, wäre die gezielte Beseitigung der EBV-infizierten Zellen sehr wünschenswert, jedoch ist dieses Ziel momentan in Menschen nicht erreichbar, sollte aber intensiv beforscht werden.“

Auch für Prof. Dr. Klemens Ruprecht, Oberarzt und Leiter der Multiple Sklerose Ambulanz an der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, ergeben sich aus der neuen Studie keine unmittelbaren Konsequenzen für die Behandlung der MS. Jedoch sieht auch er einen möglichen Zusammenhang zu bereits verfügbaren Antikörper-Therapien bei MS: „Interessanterweise haben sich Behandlungen, welche die Anzahl von B-Zellen im Blut verringern, als sehr wirksame Therapien bei der MS erwiesen. Es ist also denkbar, dass die Wirksamkeit dieser Therapien mit der Tatsache in Verbindung steht, dass EBV spezifisch B-Zellen infiziert.“ Währenddessen meint er, selbst wenn es gelänge, einen wirksamen Impfstoff gegen EBV zu entwickeln, würde es noch Jahrzehnte dauern, bis abschließend klar wäre, ob ein derartiger Impfstoff tatsächlich einen Schutz vor MS bewirkt. Die zentrale Frage laute nun nicht, ob, sondern wie EBV an der Entwicklung einer MS beteiligt ist.

Sind noch andere Viren beteiligt?

Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat sich am vergangenen Montag zu den neuen Erkenntnissen geäußert. Sie bestärkt deren Wichtigkeit, betont aber wie die anderen Expert:innen, dass es weiterhin offene Fragen gibt. In der Pressemitteilung der DGN heißt es beispielsweise auch, dass, „um auszuschließen, dass es einen Bias gibt, weil Menschen mit einer Prädisposition für Herpesviren evtl. auch eine Prädisposition für MS aufweisen“, ebenso die Konzentrationen von Antikörpern gegen das Cytomegalovirus (CMV) erhoben wurden. Dabei handelt es sich um ein anderes häufiges und latentes Virus der Herpes-Familie. „Doch hier zeigte sich eine solche Korrelation nicht, im Gegenteil: Die CMV-positiven Personen hatten in dieser Studie ein geringeres MS-Risiko“, heißt es. 

„Vor dem Hintergrund dieser Daten gewinnt die Impfung gegen das EBV an Relevanz, gerade für gefährdetere Populationsgruppen. Frauen sind beispielsweise doppelt so häufig von MS betroffen wie Männer. Die Impfung gegen EBV könnte auch deshalb interessant und effizient sein, da sie womöglich nicht nur der MS, sondern auch verschiedenen Krebserkrankungen vorbeugt“, ordnet Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, die Situation ein. Doch insgesamt gilt: Der Weg zu einer Impfung gegen MS ist noch weit.



Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Ach quatsch

von DancingPhoenix am 19.01.2022 um 10:25 Uhr

Seit 10 Jahren frage ich nach, ob meine MS Patienten vorher EBV gehabt haben und 80% !!!!! bejahten das.
Warum dauert etwas so lange ?

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