Impfstoffe aus und für Afrika

Endlich Impfstoffgerechtigkeit – oder Konkurrenzkampf?

Stuttgart - 17.02.2022, 09:15 Uhr

Ein aus mehreren Containern zusammengesetzter „Biontainer“ steht in einer Produktionshalle des Pharma-Unternehmens Biontech in Marburg. (Foto: picture alliance/dpa | Boris Roessler)

Ein aus mehreren Containern zusammengesetzter „Biontainer“ steht in einer Produktionshalle des Pharma-Unternehmens Biontech in Marburg. (Foto: picture alliance/dpa | Boris Roessler)


Corona-Impfstoffhersteller Biontech hat medienwirksam angekündigt, zwei Module bestehend aus je sechs Schiffscontainern nach Afrika zu schicken. Darin enthalten: quasi eine Kopie der Marburger Impfstoff-Fabrik im Kleinen. Sieht so der lang ersehnte Technologietransfer nach Afrika aus? Die Organisation Ärzte ohne Grenzen wirft dem Unternehmen rein wirtschaftliche Interessen vor. Biontech ist hingegen überzeugt, Afrika im Kampf gegen Corona so am schnellsten helfen zu können. 

Wie es in einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom vergangenen Mittwoch heißt, begrüßt die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die geplante Entsendung von zunächst zwei Containerfabriken des Unternehmens Biontech nach Ruanda und in den Senegal. Ab 2023 sollen die Fabriken mRNA-Impfstoffe für Afrika herstellen, heißt es.

Doch der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ geht das nicht schnell genug. In einer Pressemitteilung vom vergangenen Dienstag wirft die Organisation Biontech sogar vor, die Ausweitung der Impfstoffproduktion zu blockieren. Man begrüße, dass Biontech endlich Schritte zur Produktion von mRNA-Impfstoffen in afrikanischen Ländern unternehme, doch man könnte schneller helfen, so Lara Dovifat, Impfstoff-Expertin von Ärzte ohne Grenzen: „Wir haben in einer Studie 120 Pharmafirmen im globalen Süden identifiziert, die in der Lage sind, innerhalb von Monaten in die Produktion von mRNA-Impfstoffen einzusteigen, würde Biontech einem Technologietransfer zustimmen.“

Container nach Afrika zu verschiffen, scheint also nicht die Art Technologietransfer zu sein, die sich die Hilfsorganisation erhofft hatte: „Die Behauptung Biontechs und der Bundesregierung, bestehende Hersteller im globalen Süden seien nicht in der Lage, COVID19-Impfstoffe herzustellen, halten wir schlichtweg für falsch.“ Mehr noch: Vergangene Woche hätten die Tageszeitung „Die Welt“ und das „British Journal of Medicine“ enthüllt, wie die von Biontech finanzierte maltesische Siftung „Kenup“ Lobbyismus gegen den „Technology Transfer Hub“ der WHO in Südafrika betrieben haben soll: Die Stiftung soll an mehrere afrikanische Regierungen geschrieben haben, das WHO-Projekt zur Entwicklung eines patentfreien Impfstoffs müsse „umgehend beendet werden“. 

Kenup unterstützt Biontech beim Aufbau der afrikanischen Produktionsstätten, für die das gemeinnützige WHO-Projekt eine potenzielle Konkurrenz darstellt, erläutert Ärzte ohne Grenzen. Wie die EU-Kommission erklärt, sei das Projekt von Biontech Teil eines größeren Ziels: „Bis 2040 will die Afrikanische Union erreichen, dass 60 Prozent der auf dem Kontinent verwendeten Impfstoffe auf dem Kontinent hergestellt werden. Die Europäische Union unterstützt dieses Ziel voll und ganz.“ 

Heute beginnt in Brüssel ein Gipfel zwischen Europäischer und Afrikanischer Union. Zuvor kamen am Mittwoch in Marburg auf Initiative der Kenpp-Stiftung Staats- und Regierungschefs aus der Afrikanischen Union mit führenden Vertretern der WHO, EU-Institutionen und Biontch-CEO Ugurm Şahin zusammen. „Bei der Initiative geht es in erster Linie um Impfstoffgerechtigkeit. Die Impfstoffe aus den neuen Fabriken werden zu nicht gewinnorientierten Preisen ausschließlich an afrikanische Länder verkauft“, erklärte von der Leyen. Die Biontech-Fabriken könnten zudem innerhalb von Wochen auf die Herstellung verschiedener Impfstoffe umgestellt werden. Es könnte sich also um eine afrikanische Lösung für Krankheiten handeln, an denen derzeit Millionen Menschen sterben, sagte sie. Man blicke auf eine Partnerschaft, die sowohl Afrika als auch Europa zugutekomme.

Biontech: Container-Lösung ist die schnellste

„Wir arbeiten mit afrikanischen Partnern zusammen, um eine nachhaltige Produktionslösung in Afrika für Afrika zu entwickeln“, sagte Biontech-Chef Ugur Şahin zur Vorstellung der Pläne am Mittwoch. „Wir bringen das Know-how für die mRNA-Produktion mit und haben für dieses Projekt eine modulare Produktionsanlage auf Basis von Containern samt spezieller Software entwickelt.“ Dem Unternehmen zufolge ist der Biontech/Pfizer-Corona-Impfstoff nur eines der möglichen Produkte, die darin hergestellt werden können. Es gehe beispielsweise auch um potenzielle Malaria- oder Tuberkulose-Vakzinen. In einer Halle auf Biontechs Betriebsgelände im hessischen Marburg, wo seit rund einem Jahr Corona-Impfstoff im großen Stil hergestellt wird, steht der Prototyp der Anlage, der sogenannte Biontainer. Er ist quasi eine Kopie des Marburger Werks im Kleinen und besteht aus zwei Modulen, die aus jeweils sechs Schiffscontainern zusammengesetzt sind. Ausgestattet sind sie mit allen Geräten, die zur Herstellung von mRNA und dem späteren Produkt nötig sind. Die maximale Menge richtet sich nach dem jeweiligen Präparat. Von dem Corona-Impfstoff, so das Unternehmen, könnten anfangs geschätzt bis zu 50 Millionen Dosen pro Jahr hergestellt werden.

Die erste Anlage, vorgefertigt und getestet in Marburg, soll in der zweiten Jahreshälfte Afrika erreichen. Die Kosten für die Entwicklung verrät Biontech nicht. Als Grund fürs Engagement führte der operative Geschäftsführer Sierk Poetting an: „Wir haben gesagt, wir müssen Produktion nach Afrika bringen. Und auch Technologieunterstützung liefern, damit unser Prozess, den wir hier in Marburg etabliert haben, auch dahin kommt.“ Der schnellste Weg sei die Container-Lösung. Die Technologie müsse nach Afrika, denn sonst „sind wir in der nächsten Pandemie wieder an der gleichen Stelle“.

Eine Form des Neokolonialismus?

Doch neben Ärzte ohne Grenzen gibt es weitere Kritiker: Westliche Initiativen zur Impfstoffproduktion sollten Afrika stärken, indem sie lokale Kapazitäten fördern und langfristig mehr Unabhängigkeit schaffen, sagte Charles Gore, Exekutivdirektor des Medicine Patent Pool (MPP) der Vereinten Nationen, der Deutschen Presse-Agentur. Warum Biontech Container verschiffen will, statt Produktionsstätten vor Ort aufzubauen, hat ihn misstrauisch gemacht. Ganze Labore mit eigenem Personal aus dem Westen nach Afrika zu schicken „wäre eine Form des Neokolonialismus“, so Gore.

Auch der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, betonte vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Südafrika „die Notwendigkeit einer verstärkten lokalen Produktion von Impfstoffen (...), insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen“. Eine Initiative, die dies bereits tut, ist das Biotechnologieunternehmen Afrigen Biologics and Vaccines, das im südafrikanischen Kapstadt Afrikas ersten eigenen und patentfreien mRNA-Corona-Impfstoff entwickelt. Unterstützt von der WHO soll dieser die Abhängigkeit von Entwicklungs- und Schwellenländern von der Pharmaindustrie mindern. Diese Länder sollen die dort entwickelten Impfstoffe und Medikamente lizenzfrei beziehen und selbst herstellen können. So soll die Verteilung von Impfstoffen weltweit günstiger, schneller und gerechter gemacht werden. Anfang 2024 soll das Präparat marktreif sein.

Impfstoff für Afrika aus Afrika ab Mitte 2023?

Noch ist offen, in welches Land Biontech seine erste mobile mRNA-Produktionsstätte bringen wird. Geplant sei, Anlagen nach Senegal, Ruanda und gegebenenfalls Südafrika zu liefern. Unternehmenschef Ugur Şahin betonte: „Das Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit den Partnern der jeweiligen Region betrieben, die unter anderem die Infrastruktur vor Ort vorbereiten und uns bei den regulatorischen Prozessen unterstützen.“ Der Betrieb vor Ort solle zunächst mit eigenen Produktionsspezialisten sichergestellt werden, „während wir lokale Fachkräfte ausbilden, um die Produktion langfristig an die afrikanischen Partner zu übergeben“.

Es wird aber noch eine Weile dauern, bis ein erster Impfstoff eine der Container-Anlagen in Afrika verlässt. Biontech geht davon aus, dass die Produktion zwölf Monate nach der Anlieferung der Module im Zielland starten kann. Bestimmt seien die darin hergestellten Impfstoffe dann fürs Inland und für den Export an andere Staaten der Afrikanischen Union, für einen gemeinnützigen Preis.

Die WHO will sich bei der Produktion von Impfstoffen und anderen Medikamenten nach schlechten Erfahrungen nicht mehr auf das Wohlwollen von Firmen und Regierungen in reichen Ländern verlassen. Auf dem Kontinent sind nach Angaben der afrikanischen Gesundheitsbehörde Africa CDC erst rund 11 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft – im Vergleich zu mehr als 70 Prozent in Europa.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) verwies darauf, dass derzeit nur 1 Prozent der in Afrika verwendeten Impfstoffe auch dort hergestellt würden. Das sei weder fair, noch nachhaltig. Auch sie begrüßte das Vorhaben der Mainzer. Es gehe nicht um neue Märkte. „Hier geht es um Technologietransfer – darum, dass mehr Länder als bisher selber Impfstoffe herstellen.“ Die Bundesregierung unterstützt nach Angaben eines Ministeriumssprechers Ghana, Ruanda, Senegal und Südafrika dabei, die Voraussetzungen für eine Impfstoffproduktion zu schaffen.



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