Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

10.04.2022, 07:30 Uhr

Keine Impfpflicht in Deutschland – was sagen unsere Virologen und Pathologen dazu?

Keine Impfpflicht in Deutschland – was sagen unsere Virologen und Pathologen dazu?


Das Hochamt deutscher Corona-Politik erreicht einen weiteren vorläufigen Höhepunkt: Die Impfpflicht ist vom Tisch, geopfert den parteipolitischen Ränkespielen. Und vom verziehenden Weihrauch noch benebelt wollte unser Bundesgesundheitsminister zuvor sogar das Signal aussenden: Halleluja, ihr Infizierten, begebt euch in Quarantäne oder lasst es. Zum Glück gibt es TV-Talk-Sendungen, die ihm den Rückruf solcher Entscheidungen ermöglichten. Jetzt kommt es auf uns Apothekers an: Wir beraten zum Nutzen der Impfung und setzen gleich danach die Spritze. Was wäre Deutschland und seine Corona-Politik ohne uns Apothekers! 

4. April 2022

Mein liebes Tagebuch, ich weiß nicht, wie Du es siehst, aber für viele ist gefühlt die Pandemie schlagartig schon fast vorbei. Zumindest kann man auf diese Idee kommen, wenn man nach draußen schaut und das öffentliche Leben betrachtet: Restaurants und Veranstaltungsräume füllen sich bis auf den letzten Platz, man muss die Corona-Warn-App mit dem Impfzertifikat nicht mehr vorzeigen. Kirchen dürfen alle Plätze in ihren Bänken freigeben und Plastikschutzwände abbauen. Maskengesichter sieht man immer weniger, die Maskenpflicht ist weitgehend gefallen, ein Muss gibt’s nur noch in den Öffis (Bus und Taxi, Bahn und Flugzeuge), in medizinischen Berufen (z. B. in Arztpraxen, Kliniken, Pflegeheimen, aber nicht in Apotheken), in einigen verantwortungsvollen Geschäften und in Bundesländern, die die Hotspot-Regelung anwenden (derzeit Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg). Anfang der Woche hatte unser Bundesgesundheitsminister sogar die Quarantänepflicht in die Eigenverantwortung der lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger gestellt (was ihm dann allerdings doch zu heiß wurde, denn die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger werden wohl nicht so lieb sein). In der Talk-Sendung „Markus Lanz“ (so geht heute Politik) holte Lauterbach diese freiwillige Quarantäne zurück. Mein liebes Tagebuch, ok, irgendwann müssen wir zu mehr Normalität zurück, aber die Signale, die unsere Bundesregierung da ausstrahlt, muten irritierend an angesichts von täglich rund 300 Corona-Todesfällen, Neuinfektionen von durchschnittlich 170.000 pro Tag und einer 7-Tage-Inzidenz um die 1200. Die bundesweite Grundimmunisierung in der Bevölkerung stockt bei rund 76 Prozent, der Rest kann nicht oder will einfach nicht. Dabei sind die neuen Corona-Regeln mit der teils abgeschafften Maskenpflicht höchst umstritten. Auch in Apotheken ist die Maskenpflicht vom Tisch, allerdings darf jede Apotheke von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und das Tragen von Masken verlangen. Mein liebes Tagebuch, das sollten wir tun, zum Schutz des Apothekenpersonals und zum Schutz aller Kundinnen und Kunden. Außerdem ist es ein Signal der Apotheke als Gesundheitseinrichtung: Wir stehen für Gesundheitsverantwortung: Die Pandemie ist nicht vorüber, die Infektionsgefahr besteht weiterhin. Mein liebes Tagebuch, es reicht, wenn die von unserer Regierung unausgesprochene und geduldete Durchseuchung der Bevölkerung über die Fußballstadien und anderen Großveranstaltungen stattfindet.

5. April 2022

In Großstädten und Metropolregionen versuchen seit geraumer Zeit Start-up-Unternehmen mit ihren Apotheken-Lieferdiensten Fuß zu fassen. Ihr Konzept ist aufgebaut aus einer Bestellplattform und einem dazugehörigen Kurierlieferdienst, der mit ausgewählten Apotheken zusammenarbeitet. Apotheker Dr. Otto-Quintus Russe hat zusammen mit zwei Pharmaziestudentinnen beispielhaft zwei Lieferdienste (First A und Mayd) in Frankfurt/Main getestet: Halten sie, was sie versprechen? Und wie verändert sich das Verhältnis zwischen Patient und Apotheke? Und das hat der Test ergeben: Die Lieferdienste bieten auf ihrer Plattform ein ausgewähltes, aber nicht gerade kleines Sortiment an OTC-Arzneimitteln an, aus denen der Kunde mittels einer App des Lieferdienstes auswählen kann. Die Bestellung wird dann vom Lieferdienst, je nach Standort, an eine teilnehmende Apotheke weitergeleitet – der Kunden kann die Apotheke nicht selbst auswählen, die Zentrale entscheidet, aus welcher Apotheke die Ware kommt. Die Preise der Präparate bei den getesteten Plattformen orientieren sich an der UVP der Hersteller und nicht an den (Angebots-)Preisen der Partnerapotheken vor Ort. Der Kunde wählt also seine OTCs aus, legt sie in den Warenkorb, bezahlt und checkt aus. Eine echte pharmazeutische Beratung gibt es nicht, nur ein Chatbot oder eine Person des Lieferdienstes bieten eher technische Hilfe mit vorgefertigten Hinweisen. Besteht der Kunde auf pharmazeutischer Hilfestellung, wird er an die Partnerapotheke weitergeleitet. Immerhin, die Bestellung war wie versprochen in weniger als 30 Minuten beim Kunden, ausgeliefert durch die Rider des Lieferdienstes. Mein liebes Tagebuch, das Fazit des Tests: Von der Vor-Ort-Apotheke bleibt nur ein angezeigter Name in der App und es bleibt das Gefühl einer Vermischung von Vor-Ort-Apotheke und Versandhandel. Und letztlich ist die Apotheke, aus der die gelieferten Arzneimittel kommen, für den Kunden austauschbar. Mein liebes Tagebuch, will man das als Apotheke? Eher nicht, oder?

6. April 2022

Das sollten sie sein, die neuen Quarantäneregeln ab 1. Mai: SARS-CoV-2-Infizierten und ihren Kontaktpersonen sollte künftig „dringend empfohlen“ werden, sich für mindestens fünf Tage in Isolation zu begeben und anschließend Schnelltests zu machen, bis sie negativ sind. Im Klartext: Corona-Infizierte und deren Kontaktpersonen sollten freiwillig in Quarantäne. Nun ja, mein liebes Tagebuch, dieser Beschluss hatte nur eine ultrakurze Haltbarkeit. Zwei Tage später machte unser Bundesgesundheitsminister einen Rückzieher. In der Sendung „Markus Lanz“ erklärte Lauterbach überraschend, dass man den Corona-Infizierten die Entscheidung über das Ende ihrer Isolation nun doch nicht selbst überlassen möchte. Das wäre ein falsches und schädliches Signal. Mein liebes Tagebuch, das absurde Theater der bundesdeutschen Corona-Politik erreicht einen weiteren Höhepunkt: Lauterbach sendet seinen Irrtum live direkt aus der Talk-Runde von Markus Lanz – auf die Idee muss man erst mal kommen. Das Auf und Ab, das Hin und Her der bundesdeutschen Corona-Politik scheint sich fortzusetzen. Immerhin, Herrn Lauterbach ist es gerade noch rechtzeitig aufgefallen, dass es in der Tat ein falsches Signal gewesen wäre, das man mit dieser freiwilligen Regelung nach außen gesendet hätte. Es hätte den Eindruck unterstrichen, Corona sei nun gänzlich harmlos. Dennoch, irgendwie verbreiten sich solche Signale trotz Rückzieher. Und die Gesundheitsämter sind eh überlastet und können die Isolation nach Infektion kaum noch anordnen geschweige denn kontrollieren.

7. April 2022

Das Apothekensterben lässt in Sachsen die Alarmglocken schrillen. Und der Trend soll einer Prognose zufolge anhalten, vor allem bei Landapotheken, wie auf der Delegiertenversammlung der sächsischen Landesapothekerkammer zu hören war. Die Einführung des E-Rezepts werde für die Apotheken, die eh schon schlecht dastehen, zu einer besonderen Herausforderung, hieß es. Man wolle  an die Politik appellieren, den Apotheken mit finanziellen Mitteln zu helfen – sei zugleich aber wenig optimistisch, dass eine Hilfe tatsächlich komme. Sachsens Kammerpräsident Friedemann Schmidt erinnerte daran, dass man in Berlin durchaus bereit sei, sich mit den Apothekenstrukturen zu befassen und in versorgungskritischen Situationen bestimmte Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung zu lockern. Er ließ durchblicken, dass man darüber ernsthaft diskutieren sollte. Mein liebes Tagebuch, mutig, da wird ein neues Fass aufgemacht. Und es kommt darauf an, in welche Richtung solche Lockerungsgedanken am Ende gehen. Wäre interessant zu erfahren, welche Lockerungen der Apothekenbetriebsordnung man sich da vorstellen kann, die dazu beitragen könnten, Apotheken vor dem Schließen zu bewahren.

8. April 2022

Auch noch so ein Signal, das sich nahtlos in die Signal-Kaskade einreiht, Corona sei so gut wie am Ausklingen: Die Impfpflicht ist erstmal vom Tisch. Der Bundestag konnte sich nicht auf eine der  fünf Initiativen verständigen, auch nicht auf einen Kompromiss für eine Impfpflicht ab 60 Jahre. Mein liebes Tagebuch, unglaublich, auf der einen Seite brillieren Führungsschwäche und wenig Überzeugungskraft, auf der anderen Seite dominierte parteipolitisches Taktieren und kindische Spielchen zwischen Regierung und Opposition und das bei einem Thema, bei dem es letztlich um Leben und Tod und ums Überleben geht. Aber die gescheiterte Impfpflicht, die nicht einmal in einer Ultra-Light-Version kommt, passt zu so einigen Schmankerln der bundesdeutschen Corona-Aktionismus-Politik. Erinnern wir uns doch noch gerne an so schräge Lockdown-Auflagen wie nächtliche Ausgehverbote, die man nur mit dem Ausführen eines Hundes umgehen konnte (daher wohl die vielen angeschafften Corona-Hunde, die so manche nun wieder loswerden wollen). In Bayern war es zeitweise verboten, auf Parkbänken Bücher zu lesen und in der Düsseldorfer Altstadt durften Fußgänger das Schritt-Tempo nicht unterschreiten, Stehenbleiben war verboten. Kopfschüttelnd stand man der Meldung gegenüber, wonach eine Frau früh am Morgen ein paar Minuten vor dem Ende der nächtlichen Ausgangssperre ihren Weg zur Arbeit angetreten hatte und dafür mit einer harten Geldstrafe belegt wurde. Und wir erinnern uns an die mal eben so vom Kanzleramt verordnete verschärfte österliche Osterruhe vor einem Jahr – „Super-Lockdown statt Kurzurlaub“ hieß es vor einem Jahr. Und als das Volk ein wenig murrte, kippte Merkel die Osterruhe auch gleich höchstpersönlich. Aber eine Notbremse (auch so ein schönes Wort aus der politischen Corona-Ära) blieb erhalten. Mein liebes Tagebuch, ich bin überzeugt, wenn in einigen Jahren Historiker und andere Berufene die Pandemie-Dekade aufarbeiten werden, kommen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und nach all den fast wöchentlich wechselnden Corona-Auflagen, von Bundesland zu Bundesland verschieden, Auflagen, die eh keiner mehr durchblickte, hoffte man wenigstens auf eine Impfpflicht als Ausweg aus der Pandemie. Fehlanzeige. Und wie geht’s weiter, ist das schon für immer das Ende einer Impfpflicht? Wir wissen es nicht, Lauterbach will weitermachen. „Helfen“ könnte vermutlich eine neue, noch härtere Corona-Welle. Mein liebes Tagebuch, wir sprechen uns wieder, spätestens im kommenden Herbst.

 

Immerhin, wir Apothekers lassen nicht locker und setzen weiterhin auf Überzeugungsarbeit beim Thema Corona-Impfung. Die ABDA-Präsidentin ist davon überzeugt, dass die Apotheken ihren Beitrag leisten werden, durch Beratung und durch Impfungen: „Jede Impfung zählt – egal, ob sie im Impfzentrum, in der Arztpraxis oder in der Apotheke stattfindet“, sagte Gabriele Overwiening. Auch Thomas Preis vom Apothekerverband Nordrhein ist überzeugt, dass die Apotheken den einen oder anderen Bürger von einer Impfung überzeugen können. Immerhin, die bundesweit mehr als 60.000 Corona-Impfungen in Apotheken zeigten, dass Apotheken besonders viele Erstimpfungen durchführten. Und es gebe wissenschaftliche Studien, aus denen hervorgehe, dass Beratung erfolgreicher sei als Impfpflicht. Na denn, mein liebes Tagebuch, geben wir unser Bestes, beraten wir! Und danach gibt’s die Spritze.



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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2 Kommentare

Hilfe ?

von Reinhard Rodiger am 10.04.2022 um 13:35 Uhr

In Sachsen erklingen Alarmglocken ziemlich spät. Es ist 10 Jahre her als Apothekensterben deutlich wurde.Auch damals seien strukturelle Verbesserungen denkbar, so machte F.S. Hoffnung.Vergeblich! Wenn er heute sagt, Apotheken solle geholfen werden, so zeigt das wiederum ein fundamentales Unverständnis.Es geht nicht um Hilfe für die Apotheken, sondern um das Verständnis für die Determinanten sicherer Versorgung.Das bedeutet Anerkennung von Verteilung und das Vermeiden monopolistischer Strukturen.Der Sachverständigenrat Gesundheit weist in seinem Gutachten zur Digitaliserung genau auf diese Gefahr hin.
Wer nicht versteht und vermittelt welche Dynamik hinter Wettläufern um das Monopol steht, kann den Sinn von verteilter Versorgung oder verteilten Betrieben nicht glaubhaft machen.
Angesichts der Fixierung auf Hochfrequenzbetriebe ist das auch nicht verwunderlich. Vor diesem Hintergrund muss der Wunsch um Hilfe für Apotheken unverständlich bleiben.Es geht denen mit hoher Frequenz doch gut.Sterben tun nur die für dieses Denken zu Kleinen. Doch sie stellen die Mehrheit.Deshalb geht es um die Determinanten zur Lebensfähigkeit verteilter Strukturen.Vulgo Flächendeckung.
Das nach wie vor unbearbeitetes Feld. Das Fehlen macht Forderungen für Einzelbetriebe unwirksam und letztlich nicht durchsetzbar.


Erst, wenn dies transparent gemacht wird, und politisch verstanden wird, wird ausreichend Hilfe geleistet um Hilfe zu fordern. Das ist dann nicht Hilfe, sondern Erkenntnis der Notwendigkeit.

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von Anita Peter am 10.04.2022 um 10:34 Uhr

"Man wolle an die Politik appellieren, den Apotheken mit finanziellen Mitteln zu helfen "

Man soll uns nicht mit mit finanziellen Mitteln "helfen", es würde uns schon reichen nicht völlig von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Preissteigerungsrate entkoppelt zu werden!

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