Westfalen-Lippe

AVWL wehrt sich gegen Dosis-Retax

Berlin - 10.05.2022, 16:45 Uhr

Kürzlich ist die Friedenspflicht bei fehlenden Dosierangaben auf dem Rezept abgelaufen – und die Kassen retaxieren offenbar gnadenlos. (c / Foto: contrastwerkstatt / AdobeStock) 

Kürzlich ist die Friedenspflicht bei fehlenden Dosierangaben auf dem Rezept abgelaufen – und die Kassen retaxieren offenbar gnadenlos. (c / Foto: contrastwerkstatt / AdobeStock) 


Verordnet ein Arzt ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, muss er seit November 2020 zwingend die Dosierung auf dem Rezept angeben, wenigstens aber das Kürzel „DJ“. Nun rollt offenbar die erste Retax-Welle wegen fehlender Dosierangaben über die Apotheken hinweg. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe will das nicht hinnehmen: Er hat für seine Mitglieder bereits eine beachtliche Summe erstritten – und ist zuversichtlich, auch den Rest noch zurückzuholen.

Seit November 2020 müssen die Ärzte bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die Dosierung auf die Rezepte schreiben. Im Oktober 2021 ist die Friedenspflicht ausgelaufen. Nun beginnen offenbar Prüfzentren, im Auftrag einzelner Krankenkassen, Verordnungen mit dem Hinweis auf fehlende Dosierungshinweise zu retaxieren, wie Thomas Rochell, Vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, berichtet. 

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In den vergangenen eineinhalb Monaten sind Rochell zufolge in der AVWL-Geschäftsstelle knapp 60 solcher Fälle eingegangen – das entspricht etwa zehn Fällen pro Woche. Zumeist gehe es um Hochpreiser. Dies allerdings sei nur der Wellenkamm. Darunter befinde sich ein Berg weiterer Fälle: Mit den Retaxationen von niedrigpreisigen Rezepten befassten die meisten Apotheker ihren Verband gar nicht.

Bundesweit geht es um Millionenbeträge

Das Vorgehen der Kassen will der AVWL-Chef nicht ohne Gegenwehr hinnehmen, denn für die betroffenen Apotheken gehe es um viel Geld. „Der sichtbare Gesamtschaden für unsere Mitglieder beläuft sich auf 120.000 Euro“, sagt Rochell. Bundesweit hochgerechnet gehe es allein bei fehlenden Dosierungshinweisen um Millionenbeträge. „Angesichts ihres Milliardendefizits mögen dies für die Kassen Peanuts sein. Für die Apotheken sind es stattliche Beträge.“

Wenn Apotheken die Versicherten mit den verordneten Arzneimitteln versorgen, sind sie nach § 129 Abs. 1 SGB V dazu verpflichtet, preisgünstige und importierte Arzneimittel sowie wirtschaftliche Einzelmengen abzugeben. Die Abgabebestimmungen zur Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots sind insbesondere im Rahmenvertrag (§ 129 Abs. 2 SGB V) und in den ergänzenden Verträgen (§ 129 Abs. 5 SGB V) näher definiert. „Diese sind in den uns vorliegenden Fällen in vollem Umfang erfüllt worden“, betont Rochell.

Wann ist Retaxation erlaubt?

Die Vertragspartner in Westfalen-Lippe – die Landesverbände der Primärkassen NRW sowie die Apothekerverbände Nordrhein und Westfalen Lippe – seien sich im Rahmen der Vertragsverhandlungen einig gewesen, dass das Instrument der Retaxation allein dem Zweck dient, Vermögensnachteile der Krankenkassen auszugleichen, die ihnen entstehen, wenn Apotheken Patienten nicht regelkonform versorgen, erläutert Rochell. „Dann ist eine Krankenkasse berechtigt, die Differenz eines zu viel berechneten Betrags zur korrekten Preishöhe abzusetzen.“

Krankenkassen fehlen Argumente für ihre Sanktionen

In den jetzt vorliegenden Fällen seien den Kostenträgern jedoch keine wirtschaftlichen Schäden entstanden, unterstreicht der AVWL-Chef. „Weder wurden vertragliche Bestimmungen missachtet, noch hat die Apotheke diesen zuwidergehandelt. Die Krankenkassen sind also gar nicht dazu berechtigt gewesen, die Rechnungen wegen Nichtbeachtung gesetzlicher oder vertraglicher Abgabe- oder Abrechnungsbestimmungen zu kürzen. Keine der Voraussetzungen, welche eine Retaxation legitimieren würde, ist erfüllt gewesen. Die Patienten sind korrekt versorgt worden, und ein wirtschaftlicher Nachteil ist für die Kassen nicht entstanden.“

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Der AVWL beruft sich nun auf das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, das im Juli 2015 in Kraft getreten ist. Danach, so Rochell, ist es „ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, dass Abrechnungsbeanstandungen durch Krankenkassen insbesondere bei Formfehlern vollständig oder teilweise unterbleiben“.


In dem Rahmenvertrag ist zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht zustande, entscheidet die Schiedsstelle nach Absatz 8.“

§ 129 Abs. 4, Satz 2 SGB V


„Unter dieser Maßgabe hat die seinerzeit einberufene Schiedsstelle beispielhaft formale Fehler aufgelistet, die die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich berühren, sodass eine unverhältnismäßige Sanktionierung der Apotheke ausgeschlossen ist“, erinnert Rochell. „Dieser Beispielkatalog ist nicht abschließend. Deshalb wird auch der nun erst hinzugekommene Fall einer fehlenden Dosierung, der diesen Verhandlungskriterien entspricht, von dem Katalogtatbestand miterfasst“, so die Einschätzung des Vorstandsvorsitzenden.

AVWL legt erfolgreich Einspruch ein

Mit diesen und weiteren Argumenten habe der AVWL gegen all die Retaxationen aufgrund fehlender Dosierungsanleitungen Einspruch erhoben – vielfach mit Erfolg. „Von den retaxierten 120.000 Euro haben wir mittlerweile 75.000 Euro wieder zurückgeholt“, berichtet Rochell. Weitere Einsprüche laufen demnach noch. „Wir sind zuversichtlich, auch die ausstehenden 45.000 Euro zurückzugewinnen.“

Die Entscheidungen legten den Schluss nahe, dass den Krankenkassen stichhaltige Argumente für ihre Sanktionsmaßnahmen fehlten, meint Rochell. „Wir müssen dieses Vorgehen daher schlicht als Versuch werten, Vermögensvorteile für die Kassen zu erzielen. Das Perfide daran: Die Patienten, die ja völlig korrekt versorgt worden sind, bekommen nichts davon mit, dass nicht die Kasse, sondern ihr Apotheker ihr Arzneimittel bezahlt hat.“



Deutsche Apotheker Zeitung
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Retax-Skandal!

von Thomas Eper am 11.05.2022 um 9:23 Uhr

Bei Gelegenheit auch mal um fehlende "A"-BTM-Retaxe kümmern!

Und wenn es keine Umstände macht, das ganze Retaxsystem mal in Frage stellen. Es kann nicht sein, dass Apotheker für Fehler anderer zahlen müssen!

-> bei Politik und Gesetzgeber besteht höchster Handlungsbedarf.

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