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23. August 2022
Leben wir in einem digitalen Tollhaus? Am 1. September sollte der ganz offizielle Start (ja, es gab bekanntlich schon mehrere halb offizielle Starts) fürs E-Rezept in Schleswig-Holstein sein. Sollte. Denn jetzt, wenige Tage davor, wird die Kassenärztliche Vereinigung SH so richtig bockig. Sie macht nicht mehr mit beim E-Rezept-Rollout, sie steigt aus. Der Grund: Der Landesdatenschutz signalisierte den schleswig-holsteinischen Ärzten, dass ihre bevorzugte Art, das E-Rezept, genauer gesagt den Token fürs E-Rezept (QR-Code), per E-Mail an die Patienten zu bringen, datenschutzrechtlich nicht geht. Viel zu unsicher! Wenn nämlich der Token auf dem E-Mail-Weg in falsche Hände gerät und in die Gematik-App eingelesen wird, lassen sich aus ihm die sensiblen geschützten Daten des Rezepts auslesen. Und deshalb gehe es aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht, dass Arztpraxen den Weg per E-Mail oder SMS nutzten statt der bundesweit vorgesehenen Gematik-App oder des Token-Ausdrucks auf Papier oder der elektronischen Gesundheitskarte (die allerdings derzeit noch nicht funktioniert). Mein liebes Tagebuch, für diese klare Ansage aus dem Hause Datenschutz hatte die KV Schleswig-Holstein nichts übrig, das brachte sie auf die Palme. Denn die KV-Sichtweise geht so: Wenn dieser für Arzt und Patient so bequeme Weg, den E-Rezept-Token per E-Mail- oder SMS zu versenden, nicht möglich ist, canceln wir die Teilnahme am E-Rezept-Rollout. Mein liebes Tagebuch, die fehlende Bequemlichkeit für die Ärzte bei den offiziellen E-Rezept-Wegen mag für das Verhalten der KVSH nur ein Grund sein, nicht mehr mitzumachen. Was für die KVSH sichtlich noch schwerer wiegt: Für die Arztpraxis ergebe sich aus dem Token-Ausdruck kein Mehrwert, Papierausdrucke kosteten den Praxen mehr Zeit-, Druck- und Papierressourcen, so die KVSH, und man erleichtere den Apotheken zwar die Rezeptabrechnung, was allerdings keine Aufgabe der Praxen sei. Mein liebes Tagebuch, man kann das alles auf den Nenner bringen: Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein macht beim E-Rezept-Rollout nicht mit, weil die Arztpraxen Papier- und Druckerkosten haben und der bequeme E-Mail-Versand des E-Rezepts nicht möglich ist. So macht man Druck für die eigenen Interessen.
Wie sehr der den Ärzten untersagte E-Mail-Versand von Token die Gemüter der KVSH erregt, lässt sich auch daran erkennen, dass sie sogar Zoff mit dem Apothekerverband Schleswig-Holstein riskieren. Die „Lübecker Nachrichten“ veröffentlichten ein Zitat von Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein (AVSH), der in etwa das Gleiche sagte wie die Landesdatenschutzbeauftragte: Dass nämlich eine E-Mail unverschlüsselt ist und es sich beim E-Rezept-Token letztlich um sensible Patientendaten handelt. Diese Ansicht nimmt ihm die Kassenärztliche Vereinigung richtig übel. Eine Falschbehauptung sei das und man behalte sich rechtliche Schritte vor. Mein liebes Tagebuch, bevor die KVSH in Rage kommt, sollte sie die Kirche im Dorf lassen. Denn an Zwenkes Zitat ist nichts falsch. Die KVSH will halt einfach ihren Ärztinnen und Ärzten nicht zumuten, dass sie Zeit und Geld für Papier und Druckerpatronen für den Papierausdruck der Token ausgeben müssen. Mein liebes Tagebuch, ich bin überzeugt, KVSH und AVSH werden sich wieder zusammenraufen. Sie sollten sich mal mit der Datenschutzbeauftragten auf ein sommerliches Kaltgetränk treffen. Und bei der Gelegenheit kann der AV der KV zeigen, dass es gar nicht so schlimm ist, einen Token auszudrucken oder das E-Rezept aufs Smartphone des Patienten zu überspielen.
Dass nicht alle KVen die Ansicht der Schleswig-Holsteiner KV teilen, lässt die Kassenärztliche Vereinigung von WestfalenLippe wissen: Sie will vorerst zumindest weiter an Bord bleiben, d.h., sie ist beim Rollout am 1. September dabei. Mein liebes Tagebuch, die Töne der KVWL klingen wesentlich vernünftiger und versöhnlicher als die aus Schleswig-Holstein. Die Ärzte werden ihren Patientinnen und Patienten das E-Rezept auf die App spielen oder ihnen den Token-Ausdruck mitgeben. Also, im Kammerbezirk Westfalen-Lippe geht’s!
Und selbst die zahnmedizinischen Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Holstein wollen den E-Rezept-Start nicht behindern und weiter begleiten. Auch wenn sie mit den aktuellen Rahmenbedingungen nicht glücklich sind. Es fehle an fundierter Information der Versicherten durch Bundesgesundheitsministerium, Krankenkassen und Gematik. Mein liebes Tagebuch, da sprechen die Zahnmediziner in der Tat einen wunden Punkt an: Die offiziellen Informationen übers E-Rezept sind noch extrem unzureichend. Außerdem ist die E-Rezept-App der Gematik kaum bekannt und der Nutzerkreis eingeschränkt, es fehlen nämlich NFC-fähige elektronische Gesundheitskarten (eGK), nur die wenigsten haben ein NFC-fähiges Smartphone und für den vollen Funktionsumfang fehlen auch die PINs der Krankenkassen für die eGK. Das E-Rezept wird in der Wahrnehmung der Versicherten also wohl in den meisten Fällen der Papierausdruck des Tokens sein – mein liebes Tagebuch, willkommen im digitalen Zeitalter.
Der Ausstieg der KV Schleswig-Holstein löste am Rande noch eine Reihe von Fragen und Diskussionen aus, was bei der Übermittlung eines E-Rezepts geht und was nicht. Letztlich macht die Datenschutzbeauftragte klar, dass der Weg aus der Arztpraxis zum Patienten datenschutzrechtlich sauber und sicher sein muss, was gewährleistet wird über die Gematik-App, den Papierausdruck des Tokens oder (in einigen Monaten hoffentlich möglich) über die elektronische Gesundheitskarte. Was der Patient dann mit dem Token-Ausdruck macht, liegt in seiner Verantwortung: Er kann ihn einlösen, wegwerfen, abfotografieren, einscannen oder anderweitig verschicken – es ist seine Sache.
Übrigens, die Apotheke darf den vom Patienten wie auch immer übermittelten Token durchaus annehmen und so das E-Rezept einlösen. Hier sehen die Datenschützer keine datenschutzrechtlichen Probleme. Für die Apotheken könnten sich da allenfalls sicherheitstechnische Fragen ergeben, beispielsweise das Einschleppen von Viren auf den Rechner.
11 Kommentare
Trauriges Bild
von Tobias Kast am 28.08.2022 um 15:39 Uhr
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AW: Trauriges Bild
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 19:43 Uhr
AW: Trauriges Bild
von Stefan Haydn am 29.08.2022 um 10:16 Uhr
AW: Trauriges Bild
von Tobias Kast am 29.08.2022 um 10:55 Uhr
AW: Trauriges Bild
von Karl Friedrich Müller am 29.08.2022 um 17:56 Uhr
Frau Peter und die Medien
von Dr.Diefenbach am 28.08.2022 um 15:01 Uhr
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Erinnern Sie sich?
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 13:02 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: Erinnern Sie sich
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 13:14 Uhr
AW: .
von Anita Peter am 28.08.2022 um 13:58 Uhr
AW: Erinnern Sie sich
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 15:16 Uhr
Ärzte und eine Festrede
von Ulrich Ströh am 28.08.2022 um 9:07 Uhr
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