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6. September 2022
Apothekenrechenzentren und -dienstleister: Im Norden eine Herzensangelegenheit – und im Süden? Da bebt die Erde. Bei Noventi, dem in München ansässigen Rechenzentrum und Dienstleister für Apotheken, gibt’s alles andere als Kontinuität: Das Unternehmen trennt sich von seinen beiden Vorständen Hermann Sommer und Victor Castro. Als Grund nennt Noventi „unüberbrückbare Differenzen bei Unternehmensführung und -strategie“. Der Aufsichtsrat hat eine Neuordnung der Führungsebene veranlasst. Mein liebes Tagebuch, diese Meldung mag dem einen oder der anderen einen kleinen Schauer über den Rücken laufen lassen. Was ist da los? Noch einen Tag zuvor setzte Noventi die Meldung ab, eine kräftige Preisanpassung nach oben zu planen. Apotheken, die ihre Rezepte mit Noventi abrechnen, müssen deutlich tiefer in die Tasche greifen. Mein liebes Tagebuch, wenn man so einen Schritt vor der Expopharm macht, dann muss es wohl ernst sein mit der Finanzlage. Und der Aufsichtsratsvorsitzende Herbert Pfennig schiebt nach: Hohe Kostensteigerungen, Inflation und die konjunkturelle Entwicklung würden „unverzüglich eine Fokussierung auf das stabile und gesunde Kerngeschäft“ und „auf ausgewählte Zukunftsprojekte“ erfordern. DAZ-Wirtschaftsexperte Dr. Thomas Müller-Bohn, hat sich die Bilanz des Unternehmens mal näher betrachtet. Um es vorweg zu nehmen: Eine Parallele zu AvP ist hier nicht zu sehen, es geht nicht um die Sicherheit von Abrechnungsgeldern, so Müller-Bohn, sondern um die Rentabilität eines Rechenzentrums, das sein Geschäft an den harten Markt anpassen und hochfliegende Träume beerdigen muss: „Schuster bleib bei deinen Leisten.“ Ja, mein liebes Tagebuch, es waren wohl auch die Traumwelten bei Noventi, der Wunsch, nach immer mehr Wachstum, nach verlockenden Angeboten für Kunden z. B. bei Vorfinanzierungen – angesichts steigender Zinsen wird Noventi dies nicht mehr im Angebot haben. Das Unternehmen muss da in Zukunft vorsichtiger sein. Auch das großspurige Ausgeben von enorm viel Geld für Marketing und Sponsoring passt nicht mehr zu einer zeitgemäßen Unternehmensstrategie. In Zukunft also eher Graubrot mit Butter und keine sahnegefüllten Windbeutel.
Die beiden neuen Vorstände Frank Steimel und Mark Böhm wenden sich bereits mit einem beruhigenden Brief an die Apotheken, der Tenor: Die Abrechnungsgelder sind sicher, keine hochfliegenden sommerlichen Marketing-Ideen, sondern Solidität, Verlässlichkeit und Orientierung auf die Apothekenkunden. Und, wichtig: Man fokussiere sich künftig auf das Kerngeschäft Rezeptabrechnung und Warenwirtschaft – und ausgewählte Zukunftsprojekte. Ist ja nett, aber um welche Zukunftsprojekte es sich da handelt, das ließen die beiden Neuen dann doch wieder offen. Ein bisschen mehr Offenheit wäre in dieser Situation angebracht – schafft einfach mehr Vertrauen.
Welches Standing haben wir Apothekers bei Politikern? Keins. Wir sind einfach nicht wichtig genug, dass man mit uns spricht, diskutiert und debattiert. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man erfährt, dass die gesundheitspolitische Diskussion beim diesjährigen Apothekertag ausfällt. Die angefragten Gesundheitspolitikerinnen und -politiker haben abgesagt, es gebe da leider Terminkollisionen, so der Grund für die Absage. Terminüberschneidungen mag es zwar immer mal geben, aber dass so gar nichts möglich ist… Und Lauterbach? Er steht noch auf der Gästeliste und wird wohl sein Grußwort zur Eröffnung halten. Eine großformatige Diskussionsrunde wird es aber auch mit ihm nicht geben. Letztlich hilft es da nicht viel, dass die ABDA die Absage der Bundestagsabgeordneten wieder als ein Schlag ins Gesicht der Apothekerschaft empfindet. Der wievielte Schlag ins Gesicht ist das eigentlich in der letzten Zeit? Mein liebes Tagebuch, irgendwie gelingt es unserer ABDA nicht wirklich, in den Dialog mit der Politik zu treten. Dabei wäre das gerade jetzt dringender denn je: Das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und anstehende Reformen rufen nach einem Austausch mit der Politik, auch über sinkende Apothekenzahlen, Energiekrise, Inflation, Personalmangel und neue Aufgabengebiete. Und nicht zuletzt eine fehlende Anpassung unseres Honorars – aber da winken mittlerweile sogar unsere Standesvertreter ab: Kriegen wir nicht.
6 Kommentare
Verrat-Versagen-Schicksal
von Roland Mückschel am 11.09.2022 um 19:36 Uhr
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Aufgeben ist keine Führungsaufgabe
von Reinhard Rodiger am 11.09.2022 um 12:12 Uhr
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Sinnlose Politik
von Karl Friedrich Müller am 11.09.2022 um 10:44 Uhr
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Welpen und Rottweiler
von Dr. Radman am 11.09.2022 um 9:24 Uhr
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Kein Standing
von Torben Schreiner am 11.09.2022 um 8:50 Uhr
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AW: Kein Standing
von Conny am 11.09.2022 um 10:36 Uhr
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