Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

23.10.2022, 07:30 Uhr

Die Erhöhung des Kassenabschlags kommt – hätte dies mehr Streik, mehr Widerstand verhindert? Vielleicht!  (Foto: Alex Schelbert) 

Die Erhöhung des Kassenabschlags kommt – hätte dies mehr Streik, mehr Widerstand verhindert? Vielleicht!  (Foto: Alex Schelbert) 


19. Oktober 2022

Und dann war er da, der Mittwochnachmittag des 19. Oktobers 2022. Aus den vier beteiligten Ländern hörte man viel Positives: Die Botschaften seien wahrgenommen worden; im Hinblick auf die angekündigte GKV-Strukturreform im kommenden Jahr habe man Ansprüche stellen können; ja, es seien kleine Leuchtfeuer gewesen, die schon mal gezündet wurden, so Kai Christiansen, Kammerpräsident aus Schleswig-Holstein. Sein Resüme: „Wir haben das geschafft, was wir wollten.“ Aus Kammersicht seien zudem andere Streiktage wohl schwierig, weil die Apotheken nur am Mittwochnachmittag eine Schließungserlaubnis hätten. Christiansen hat allerdings einen Brief an den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geschrieben, der aus einer Apothekerfamilie stammt und seinen Wahlkreis in Schleswig-Flensburg hat. Christiansen weist Habeck in dem Brief auf den stark gesunkenen Wertschöpfungsanteil der Apotheken an den GKV-Ausgaben hin. Christiansen wünscht sich, dass Habeck beim nächsten Besuch bei seiner Mutter mit ihr als Apothekerin ins Gespräch darüber kommt, wie es zurzeit in Apotheken aussieht. Gute Idee, mein liebes Tagebuch, ich stelle mir das so vor: Der kleine Robert sitzt mit verstrubbelten Haaren mit seiner Mutter am Kaffeetisch, die ihm nur noch einen wäßrigen Kaffee anbietet: „Tut mir Leid, mein lieber Robert, aber Kuchen können wir uns nicht mehr leisten. Euer erhöhter Kassenabschlag hat uns hart getroffen. Merk dir das bitte für die geplante Strukturreform, sonst gibt’s auch keinen Bohnenkaffee mehr. Und, Robert, kämm dich bitte mal.“

 

Erfolgsmeldung von den Verbänden der vier Streikländer: Es sei ein voller Erfolg gewesen, bemerkenswert viele Kolleginnen und Kollegen hätten sich an der mittwochnachmittäglichen Schließung der Apotheken beteiligt. Viele Apotheken haben mit ausgehängten Plakaten über den Streik informiert, andere sind aktiv auf die Patientinnen und Patienten zugegangen und haben das Gespräch gesucht. Gut, sehr gut, mein liebes Tagebuch, die Beteiligung war hervorragend, wir Apothekers haben die Lust am Protest nicht verloren. Man spürte, wie viel Streikpotenzial bei unseren Apotheken vorhanden ist. Aber irgendwie fühlt es sich für mich trotzdem befremdlich an, von Erfolg zu sprechen, nach dem Motto „Operation geglückt, Patient tot“. Denn tags darauf verabschiedet der Bundestag das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, ein Gesetz, das die Apotheken mit dem erhöhtem Kassenabschlag hart treffen wird. Aber nun ja, wir haben ein Zeichen gesetzt, haben die Menschen im Land auf die Schwierigkeiten der Apotheken aufmerksam gemacht und der Politik gezeigt, dass wir Apothekers doch nicht alles mit uns machen lassen. Und vielleicht hat es doch die eine oder den anderen aus der Bevölkerung zum Nachdenken gebracht über die Situation der Apotheken. Aus Schleswig-Holstein war zu vernehmen, dass es sogar auch lokale Aktionen gegeben habe, z. B. in Itzehoe. Dort hätten die Apotheken gemeinsam ein Zelt in der Fußgängerzone aufgestellt und Passanten angesprochen.

In der Presse, in den Publikumsmedien kam der Apothekenprotest allerdings eher in den Lokalredaktionen der Länder an. Ein Foto mit einer streikenden Apothekerin schaffte es sogar auf die Titelseite der Nordwest Zeitung, einer niedersächsischen Kreiszeitung. Eine Welle der Berichterstattung war bundesweit nicht zu vernehmen. Eindrucksvolle Impressionen vom Streik, vom Protest vermitteln die Fotos, die uns viele Apotheken zusandten. Mein liebes Tagebuch, da gab’s äußerst kreative Ideen! Ein Apotheken-Team trug beispielsweise schwarz, samt schwarzer Maske, um zu zeigen, wie ernst die Lage ist. Eine andere Apotheke sperrte die Apotheke mit rotweiß-gestreiften Band ab, wieder eine andere klebte ihre Schaufenster mit Packpapier zu. Und ja, natürlich gab es auch Apotheken, bei denen die Kundschaft nach dem Grund für den Streik suchen musste – da gab’s nur ein, zwei kleine Plakate im Schaufenster, die auf den Protest hinwiesen. Und in einem anderen kleineren Ort hatte am Mittwochnachmittag dann doch nur eine Apotheke geschlossen, drei weitere hatten ganz normal geöffnet. Gar kurios war das Streikgebaren einer Apotheke, bei der große Plakate in den Schaufenster ankündigten „Wir streiken“ – und wenn man in die Nähe der Automatiktür kam, siehe da, öffnete sie sich wie an jedem Mittwochnachmittag.

Vollen Einsatz und Engagement zeigte dagegen Apothekerin Christiane Patzelt, Land-Apotheke Leegebruch. Sie verhängte die Schaufenster mit schwarzen Tüchern und stellte sich mit Bügelbrett und Bügeleisen vor die Apothekentür – ihre Botschaft an den Gesundheitsminister: Er hat die Apotheken abgebügelt. Aus vielen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten weiß sie: „Es macht die Leute nervös, dass etwas so Selbstverständliches wie die Apotheke plötzlich ins Wanken gerät“, sagt Patzelt. In ihrem DAZ-Video richtet sie deutliche Worte an Lauterbach.


Die Apothekengewerkschaft Adexa begrüßte die Streikaktion – prinzipiell. Aber hatte auch Kritik parat: Adexa wurde von den Apothekenorganisationen, die den Streik ausrichteten, nicht gefragt, ob sie sich beteiligt. Und von sich aus könne die Gewerkschaft hier nicht aktiv werden. Eine gemeinsame Aktion hätte rechtzeitig geplant werden müssen. Mein liebes Tagebuch, auch hier zeigt sich wieder, welche Hauruck-Aktion dieser Streik, dieser Protest war. Man hätte vermutlich  mehr erreichen können, wenn dieser Streik rechtzeitig, in allen Bundesländern und auch mit allen Apotheken-Organisationen, also auch mit der Adexa, auf die Beine gestellt worden wäre.



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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12 Kommentare

Mein liebes Tagebuch

von Bernd Haase am 23.10.2022 um 16:53 Uhr

Liebe ADEXA,

Alle Mitarbeiter der öffentlichen Apotheken benötigen eine Zukunftsperspektive.

Die Gehälter, die in den Apotheken gezahlt werden sind auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig.

Eine notwendige Forderung für die Angestellten in den Apotheken wäre eine Übernahme der Tarifverträge, wie Sie im öffentlichen Dienst für die Mitarbeiter der Klinikapotheken gelten.

Tarifverträge kann man kündigen.

Tarifverhandlungen können scheitern.

Sie müssen keine Tarifverträge akzeptieren, die auf Arbeitgeberseite nicht gegenfinanziert werden.

Es hilft den Angestellten in den Apotheken nicht wenn Ihre Arbeitgeber finanziell ausbluten.

Bitte nehmen Sie den Kampf auf.

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Fragen über Fragen

von Karl Friedrich Müller am 23.10.2022 um 10:57 Uhr

passiert noch was?
wird geklagt? Eine echte Begründung für die Erhöhung des Kassenabschlags gibt es nicht. Zudem müsste die Regierung auf die schlechte Lage reagieren und das Honorar anpassen?
Sind wir beim Hartz4 angekommen? Die Begründung lässt es vermuten. Bekommst Du irgendwoher Geld, wird es Dir beim Honorar abgezogen. Das ist Abstrus. Wir haben die geforderte Leistung erbracht, sind gemäß Vereinbarung bezahlt worden und nun will man das Geld zurück? Ich sag hier nurn mal Maskendeals! Geld zurück.!
Überhaupt ließe sich das hervorragend auf die Nebeneinkünfte der Politiker anwenden. Da bekämen einige keine Diäten mehr. Das ist problematisch. SInd solche Abgeordnete überhaupt noch dem Staat verpflichtet? oder stellen die Diäte nur noch ein zusätzliches Taschengeld dar? (wie sind Lindners Immobiliengeschäte zu bewerten?)
Wieso sollen ausgerechnet Apotheken für das Defizit der KK bezahlen und sonst niemand? Hersteller vielleicht noch?
Wie hoch ist das Defzit wirklich?
Wieso bezahlt der Staat nicht die Kosten, die er den Kassen aufgeladen hat? Gäbe es dann überhaupt ein Defizit?
Heißt doch, dass die Falschen belastet werden.Der Staat, Herr Lauterbach machen es sich bequem. wie so oft.
Man könnte die Beitagsgrenzen anheben oder völlig aufheben. Alle Einkommen heranziehen. Damit würde der Beitragssatz massiv sinken. Früher war das Weihnachtsgeld weitgehend beitragsfrei.
Die Angesteellten werden nun voll belastet. Warum nur die? wo es doch bei anderen viel mehr zu holen gibt? Ungerecht:

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ABDA! tun Sie was!

von Dr. Radman am 23.10.2022 um 10:37 Uhr

… und was gedenkt die ABDA jetzt zu tun?. Einfach so hinnehmen? Das wäre erbärmlich. So geht es nicht weiter.

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AW: ABDA! tun Sie was

von Anita Peter am 23.10.2022 um 10:45 Uhr

"und was gedenkt die ABDA jetzt zu tun?"

Nichts.

"Einfach so hinnehmen?"

Natürlich, auch die ABDA will die Apothekenzahl massiv reduzieren.

Großartig, was da passiert ist!

von Ulrich Ströh am 23.10.2022 um 9:35 Uhr

Es stellen sich nach der Arbeitsniederlegung einige Fragen :
Warum wurde die ADEXA nicht mitgenommen?

Warum schreibt die ADEXA : Zu wenig , zu spät ..?

Nordrhein machte das Licht in Apotheken kurz an und aus,in Berlin und Bayern passierte am Streiktag wenig bis nichts und in Itzehoe wurde ein Zelt aufgebaut..
Gewollte Vielfalt oder völlig unkoordiniert ohne zentrale Streikbotschaft?

Großartig, was da passiert ist ! ! !So die Kommentierung führender Verbandsvertreter!
Wirklich?

Resultat am Donnerstag:
Verabschiedung des Apothekenspargesetzes durch den Bundestag und keine Beachtung in überregionalen Medien!

Respekt habe ich vor den Kollegen, die sich am Mittwochnachmittag vor ihre Apotheken gestellt haben und nicht nur abgeschlossen haben .

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Protest

von Conny am 23.10.2022 um 9:01 Uhr

Der nächste knallharte Protest steht nach meinen Insiderinformationen kurz bevor: keine Grippeimpfung am Sonntag

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Realitätsverlust

von Linda F. am 23.10.2022 um 8:59 Uhr

Diese Woche wurde ein Gesetz verabschiedet, dass die Apotheken völlig ungerechtfertigt brutal hart trifft und tausende Apotheken in akute wirtschaftliche Bedrängnis bringt. Und hier im Tagebuch spricht man fast nur vom E-Rezept… Thema verfehlt!

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Realitätsverlust

von Peter Ditzel am 23.10.2022 um 10:11 Uhr

Hallo, Linda F., möglicherweise haben Sie nur den Tagebucheintrag vom 18. 10. gesehen. Schauen Sie doch mal die Einträge an den weiteren Tagen an... Schönen Sonntag.

AW: Realitätsverlust

von Karl Friedrich Müller am 23.10.2022 um 10:24 Uhr

DAZ und Ditzel stehen zu 100% hinter Frau O und der ABDA. Vollkommener Realitätsverlust und Kritiklosigkeit.
DAV und ABDA waren gegen den Streik, man Rat nur als ob, um die Gemüter etwas zu beruhigen. Nun kommen noch ein paar Allgemeinplätze und hofft dann, dass die Sache beerdigt ist.
Beerdigt ist allenfalls die Motivation bei einigen. Die anderen laufen halt schneller im Hamsterrad, noch nach Apothekerart. Nur, ob das die Mitarbeiter/innen so mitmachen, ist die Frage.
Der Kassenabschlag alleine bringt uns nicht um. Es ist hat eine Ohrfeige, eine Ungerechtigkeit und mangelnde Wertschätzung. Was uns umbringt, ist die Summe der Kostensteigerungen mit gestrichenen Rabatten und eben des Kassenabschlags. Wir sind am Ende der Leiter und können nichts weitergeben.
Die Krankenhäuser drohen mit weniger Leistungen in vergleichbarer Lage. Von uns kommt nichts, nur die Anfrage, was wir noch ohne Bezahlung tun können.
Die ABDA UND DAV müssen komplett zurücktreten.

.

von Anita peter am 23.10.2022 um 7:41 Uhr

"Was lernen wir daraus?"

Was hat die ABDA aus den Mißerfolgen der letzten 20 Jahre gelernt? Genau. Nichts. Ohne Lernfähigkeit und Chuzpe geht die Reise eben weiter...

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AW: .was lernen wir daraus 2:

von Dr.Diefenbach am 23.10.2022 um 9:32 Uhr

---Solange das SO abläuft, wird eine Aktion der Praxis NIE richtige Erfolge bringen,weder Hessen noch Bayern uä.haben doch reagiert, vereinzelte Aktionen nimmt das politische Geschäft nicht wahr,dies ist doch inzwischen bekannt.Es hilft nur die gesamte !!!! Gruppe, und DIE wird es niemals geben.Und die Geschichte mit Herrn Habeck,also wie peinlich ist das denn?Da wird doch die praktische Pharmazie nicht (mehr) ernst genommen.So ist es halt bei Apothekers,Ganz "oben" das bloss nie irgendwo anecken -feeling,die Basis ist ZU RECHT nur noch verärgert.Und dass nicht viel mehr KollegInnen nach der KERNSTRUKTUR des Ganzen fragen,wundert mich.Ich höre und hörte ja immer:Die Hinterzimmerdebatten sind viel effizienter.DAVON ist NICHTS übrig.Alles Andere wäre ein Wunder..

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