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19. Oktober 2022
Und dann war er da, der Mittwochnachmittag des 19. Oktobers 2022. Aus den vier beteiligten Ländern hörte man viel Positives: Die Botschaften seien wahrgenommen worden; im Hinblick auf die angekündigte GKV-Strukturreform im kommenden Jahr habe man Ansprüche stellen können; ja, es seien kleine Leuchtfeuer gewesen, die schon mal gezündet wurden, so Kai Christiansen, Kammerpräsident aus Schleswig-Holstein. Sein Resüme: „Wir haben das geschafft, was wir wollten.“ Aus Kammersicht seien zudem andere Streiktage wohl schwierig, weil die Apotheken nur am Mittwochnachmittag eine Schließungserlaubnis hätten. Christiansen hat allerdings einen Brief an den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geschrieben, der aus einer Apothekerfamilie stammt und seinen Wahlkreis in Schleswig-Flensburg hat. Christiansen weist Habeck in dem Brief auf den stark gesunkenen Wertschöpfungsanteil der Apotheken an den GKV-Ausgaben hin. Christiansen wünscht sich, dass Habeck beim nächsten Besuch bei seiner Mutter mit ihr als Apothekerin ins Gespräch darüber kommt, wie es zurzeit in Apotheken aussieht. Gute Idee, mein liebes Tagebuch, ich stelle mir das so vor: Der kleine Robert sitzt mit verstrubbelten Haaren mit seiner Mutter am Kaffeetisch, die ihm nur noch einen wäßrigen Kaffee anbietet: „Tut mir Leid, mein lieber Robert, aber Kuchen können wir uns nicht mehr leisten. Euer erhöhter Kassenabschlag hat uns hart getroffen. Merk dir das bitte für die geplante Strukturreform, sonst gibt’s auch keinen Bohnenkaffee mehr. Und, Robert, kämm dich bitte mal.“
Erfolgsmeldung von den Verbänden der vier Streikländer: Es sei ein voller Erfolg gewesen, bemerkenswert viele Kolleginnen und Kollegen hätten sich an der mittwochnachmittäglichen Schließung der Apotheken beteiligt. Viele Apotheken haben mit ausgehängten Plakaten über den Streik informiert, andere sind aktiv auf die Patientinnen und Patienten zugegangen und haben das Gespräch gesucht. Gut, sehr gut, mein liebes Tagebuch, die Beteiligung war hervorragend, wir Apothekers haben die Lust am Protest nicht verloren. Man spürte, wie viel Streikpotenzial bei unseren Apotheken vorhanden ist. Aber irgendwie fühlt es sich für mich trotzdem befremdlich an, von Erfolg zu sprechen, nach dem Motto „Operation geglückt, Patient tot“. Denn tags darauf verabschiedet der Bundestag das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, ein Gesetz, das die Apotheken mit dem erhöhtem Kassenabschlag hart treffen wird. Aber nun ja, wir haben ein Zeichen gesetzt, haben die Menschen im Land auf die Schwierigkeiten der Apotheken aufmerksam gemacht und der Politik gezeigt, dass wir Apothekers doch nicht alles mit uns machen lassen. Und vielleicht hat es doch die eine oder den anderen aus der Bevölkerung zum Nachdenken gebracht über die Situation der Apotheken. Aus Schleswig-Holstein war zu vernehmen, dass es sogar auch lokale Aktionen gegeben habe, z. B. in Itzehoe. Dort hätten die Apotheken gemeinsam ein Zelt in der Fußgängerzone aufgestellt und Passanten angesprochen.
In der Presse, in den Publikumsmedien kam der Apothekenprotest allerdings eher in den Lokalredaktionen der Länder an. Ein Foto mit einer streikenden Apothekerin schaffte es sogar auf die Titelseite der Nordwest Zeitung, einer niedersächsischen Kreiszeitung. Eine Welle der Berichterstattung war bundesweit nicht zu vernehmen. Eindrucksvolle Impressionen vom Streik, vom Protest vermitteln die Fotos, die uns viele Apotheken zusandten. Mein liebes Tagebuch, da gab’s äußerst kreative Ideen! Ein Apotheken-Team trug beispielsweise schwarz, samt schwarzer Maske, um zu zeigen, wie ernst die Lage ist. Eine andere Apotheke sperrte die Apotheke mit rotweiß-gestreiften Band ab, wieder eine andere klebte ihre Schaufenster mit Packpapier zu. Und ja, natürlich gab es auch Apotheken, bei denen die Kundschaft nach dem Grund für den Streik suchen musste – da gab’s nur ein, zwei kleine Plakate im Schaufenster, die auf den Protest hinwiesen. Und in einem anderen kleineren Ort hatte am Mittwochnachmittag dann doch nur eine Apotheke geschlossen, drei weitere hatten ganz normal geöffnet. Gar kurios war das Streikgebaren einer Apotheke, bei der große Plakate in den Schaufenster ankündigten „Wir streiken“ – und wenn man in die Nähe der Automatiktür kam, siehe da, öffnete sie sich wie an jedem Mittwochnachmittag.
Vollen Einsatz und Engagement zeigte dagegen Apothekerin Christiane Patzelt, Land-Apotheke Leegebruch. Sie verhängte die Schaufenster mit schwarzen Tüchern und stellte sich mit Bügelbrett und Bügeleisen vor die Apothekentür – ihre Botschaft an den Gesundheitsminister: Er hat die Apotheken abgebügelt. Aus vielen Gesprächen mit Patientinnen und Patienten weiß sie: „Es macht die Leute nervös, dass etwas so Selbstverständliches wie die Apotheke plötzlich ins Wanken gerät“, sagt Patzelt. In ihrem DAZ-Video richtet sie deutliche Worte an Lauterbach.
Die Apothekengewerkschaft Adexa begrüßte die Streikaktion – prinzipiell. Aber hatte auch Kritik parat: Adexa wurde von den Apothekenorganisationen, die den Streik ausrichteten, nicht gefragt, ob sie sich beteiligt. Und von sich aus könne die Gewerkschaft hier nicht aktiv werden. Eine gemeinsame Aktion hätte rechtzeitig geplant werden müssen. Mein liebes Tagebuch, auch hier zeigt sich wieder, welche Hauruck-Aktion dieser Streik, dieser Protest war. Man hätte vermutlich mehr erreichen können, wenn dieser Streik rechtzeitig, in allen Bundesländern und auch mit allen Apotheken-Organisationen, also auch mit der Adexa, auf die Beine gestellt worden wäre.
12 Kommentare
Mein liebes Tagebuch
von Bernd Haase am 23.10.2022 um 16:53 Uhr
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Fragen über Fragen
von Karl Friedrich Müller am 23.10.2022 um 10:57 Uhr
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ABDA! tun Sie was!
von Dr. Radman am 23.10.2022 um 10:37 Uhr
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AW: ABDA! tun Sie was
von Anita Peter am 23.10.2022 um 10:45 Uhr
Großartig, was da passiert ist!
von Ulrich Ströh am 23.10.2022 um 9:35 Uhr
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Protest
von Conny am 23.10.2022 um 9:01 Uhr
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Realitätsverlust
von Linda F. am 23.10.2022 um 8:59 Uhr
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AW: Realitätsverlust
von Peter Ditzel am 23.10.2022 um 10:11 Uhr
AW: Realitätsverlust
von Karl Friedrich Müller am 23.10.2022 um 10:24 Uhr
.
von Anita peter am 23.10.2022 um 7:41 Uhr
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AW: .was lernen wir daraus 2:
von Dr.Diefenbach am 23.10.2022 um 9:32 Uhr
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