Kommentar zur anstehenden Apothekenreform

Lauterbachs Pläne: Wo sind die Gefahren für die Apotheken und für die Versorgung?

Süsel - 12.10.2023, 07:00 Uhr

Wohin würden Lauterbachs Apothekenpläne führen? (Foto: wideeyes /AdobeStock)

Wohin würden Lauterbachs Apothekenpläne führen? (Foto: wideeyes /AdobeStock)


Die Gefahren hinter den Plänen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach sind nicht in zwei Sätzen zu erklären. Diese Erkenntnis war Konsens beim Deutschen Apothekertag. Aus Anlass des nun anstehenden Gespräches zwischen Lauterbach und der ABDA-Präsidentin hat DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn das Problem (in mehr als zwei Sätzen) in einem Kommentar zusammengefasst.

Ein grundlegendes Problem an den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für die Apotheken ist, dass sie auf außenstehende Betrachter vordergründig positiv wirken können. Viele Gefahren werden erst auf den zweiten Blick deutlich. Dass hier viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, war eines der wesentlichen Ergebnisse des Deutschen Apothekertages. Dies betrifft vor allem die Politik und die Medien, aber auch für die Apothekenteams ist es wichtig, nicht auf die beim Apothekertag oft erwähnten „Nebelkerzen“ hereinzufallen. Vertretungsmöglichkeiten für PTA sowie Erleichterungen beim Notdienst und bei Rezepturen könnten auf den ersten Blick als pragmatische Ansätze erscheinen. Doch die Pläne bedrohen das ganze System und damit die Versorgung der Patienten. Wo liegen die Fallstricke? Wo könnte eine konstruktive Diskussion ansetzen?

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Es gäbe weniger statt mehr Apotheken

Lauterbachs erster Aspekt ist die „Förderung von Filial- und Zweigapotheken“. Er möchte die Anforderungen an Filialapotheken senken und erwartet, dass dadurch mehr Filialen entstehen. Diese zusätzlichen Filialen sollen die Versorgung in unterversorgten Gebieten verbessern. Denn eine Filiale mit eingeschränktem Angebot ist besser als gar keine Apotheke oder nur Versand. Dabei übersieht Lauterbach, dass viele Apothekenleiter ihre bisher als Vollapotheken ausgestatteten Filialen in solche mit eingeschränktem Angebot umwidmen würden, wenn die Hürden sinken. Wegen des Kostendrucks ist das viel wahrscheinlicher als die Gründung neuer Filialen. Denn neue Filialen – auch in der Billigversion, kosten Geld, das nicht da ist. Weniger Leistungen in vorhandenen Apotheken sparen hingegen Geld. Dann gäbe es plötzlich viele Apotheken ohne Rezeptur, ohne Notdienst und mehr oder weniger ohne Apotheker. So könnten insbesondere Apotheken in Lauflagen zu Arzneimittelabgabestellen werden, die sich weitgehend auf OTC-Arzneimittel spezialisieren. Das wäre typische Rosinenpickerei. Dann würde dort Geld hinfließen, das den versorgungsaktiven Vollapotheken fehlt. Der Plan schafft einen klassischen Fehlanreiz.

Schlechtere Versorgung droht

Für die Patienten würde das die Versorgung verschlechtern, weil sie an immer weniger Standorten das volle Angebot bekämen. Im Notdienst würden die Wege weiter. Ob auf dem Land neue Abgabestellen entstünden, ist dagegen zweifelhaft. In den skandinavischen Ländern mit traditionell niedriger Apothekendichte wurden nach der Aufhebung von Niederlassungsbeschränkungen neue Standorte überwiegend in städtischen Gebieten geschaffen.

Filialen mit eingeschränkten Anforderungen würden Wettbewerbsdruck auf die verbleibenden Vollapotheken ausüben. Bei frei kalkulierbaren Arzneimitteln könnten Billig-Filialen niedrigere Preise bieten. Wenn sich immer weniger Apotheken den Notdienst teilen, würden diese Apotheken immer mehr belastet. Sie stünden im Wettbewerb mit Billig-Filialen und müssten zugleich mehr Gemeinwohlpflichten als jetzt erfüllen. Dann wären Apothekeninhaber faktisch gezwungen, möglichst viel Geschäft mit Billig-Filialen zu machen und immer weniger Vollapotheken zu betreiben. Das wäre nicht die gewünschte Stärkung der Apotheken, sondern eine Schwächung – und für die Patienten gäbe es weniger Leistungen. Das wäre die Leistungseinschränkung, die Lauterbach immer von sich weist.

Filial- und Zweigapotheken unterscheiden

Der Schlüssel zu diesen Fehlanreizen ist, dass sich die Apotheker bei den Plänen von Lauterbach selbst für eine Billig-Filiale entscheiden könnten. Alles wäre ganz anders, wenn es Apotheken mit einschränkten Anforderungen nur bei Bedarf an unterversorgten Standorten gäbe. Eine solche Regelung gibt es längst – für Zweigapotheken. Solche Apotheken ohne Labor und ohne die sonst erforderliche Mindestgröße können bei einem Versorgungsnotstand jeweils für fünf Jahre errichtet werden. Möglicherweise können niedrigere Hürden für Zweigapotheken bei Versorgungsproblemen helfen. Das wäre ein Ansatz, Lauterbachs Plan konstruktiv zu variieren. Das darf aber nicht mit den Regeln für Filialapotheken vermischt werden. Diese wurden 2004 bewusst als Vollapotheken eingeführt – und das ist und bleibt der einzige Weg ohne zerstörerische Fehlanreize.

Ausbildung stärken – nicht Apotheken umorganisieren

Lauterbachs zweiter Aspekt ist die „Fachkräftesicherung“. Dies ist ein beschönigender Ausdruck für die Vertretungsmöglichkeiten von PTA in Filial- oder Zweigapotheken, die dann virtuell mit der Hauptapotheke verbunden werden sollen. Wenn damit Approbierte eingespart werden sollen, hätte dies Folgen für die Arbeitsabläufe in der Hauptapotheke. Alle diese Pläne unterstellen offenbar, dass Apotheker nur noch in besonderen Fällen eingreifen, wenn die Grenzen der PTA überschritten werden. Ein Arbeitsalltag, bei dem Apotheker regelmäßig im Handverkauf präsent sind, wird offenbar nicht mehr angestrebt. Das wäre wiederum eine Leistungskürzung. Außerdem ist zu fragen, wo genug PTA herkommen sollen. Zielführende Maßnahmen zur Fachkräftesicherung wären dagegen mehr Studienplätze für Pharmazie und eine staatliche Finanzierung der PTA-Ausbildung.

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Zur „Fachkräftesicherung“ zählt Lauterbach auch die Möglichkeit, die Öffnungszeiten von Apotheken anzupassen. Dies kann an strukturschwachen Standorten nötig sein, um eine Apotheke zu erhalten. Als übliche Vorgehensweise in der Fläche wäre es wiederum eine Kürzung der Leistungen für die Patienten.

Mehr Geld für das System ist unverzichtbar

Der dritte Punkt in Lauterbachs Plan lautet „Honorierung“. Er plant die Vergütung zu ändern, um strukturschwache Standorte zu fördern. Das erscheint durchaus sinnvoll und sollte diskutiert werden, aber zuerst muss die Unterfinanzierung des ganzen Systems angegangen werden. Der Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel wurde in 20 Jahren nur einmal unzureichend angepasst. Das System braucht mehr Geld, um zukunftssicher zu werden. Das zeigen nicht nur die Betriebsergebnisse von heute, sondern das ergibt sich vor allem aus den nötigen Gehältern von morgen. Danach kann über Details gesprochen werden.

Entbürokratisierung ist nötig

Beim vierten Punkt, der „Entbürokratisierung“, erscheinen die Pläne von Lauterbach hilfreich und nötig für den Apothekenalltag. Doch solche sinnvollen Ansätze gehen unter, wenn andere Vorschläge zugleich das System bedrohen.

Fremdbesitz durch die Hintertür

Soweit zu den Punkten des Plans – das langfristig größte Problem ergibt sich aber erst als weitere Konsequenz. Denn die Maßnahmen in ihrer Gesamtheit gefährden das Konzept der inhabergeführten Apotheke. Sie höhlen das Fremdbesitzverbot aus, auch wenn Lauterbach noch so sehr beteuert, dass er an der inhabergeführten Apotheke mit dem Fremdbesitzverbot festhalten möchte. Das mag sein Anliegen sein, aber seine Pläne würden durch die normative Kraft des Faktischen zu einem anderen Ergebnis führen. Denn Filialapotheken, die mehr oder weniger ohne Apotheker betrieben werden, ein zunehmend durchorganisiertes Filialsystem als Regelfall und unterfinanzierte Apotheken, in denen der berufsbildprägende Patientenkontakt weitgehend an Assistenzberufe delegiert werden muss, würden das Bild der Apotheken verändern. Sie würden weniger durch Apotheker geprägt. In ihrer Gesamtheit würden diese Veränderungen die Argumente untergraben, die das Fremdbesitzverbot begründen. Das wäre das Ende des bewährten Systems der inhabergeführten Apotheken. Lauterbachs Pläne führen damit in ein komplett anderes Arzneimittelversorgungssystem. Wenn er das will, sollte er das sagen. Wenn er das nicht will, sollte er von seinen zerstörerischen Ideen ablassen und in einen konstruktiven Dialog mit den Apothekern zur Stärkung der Apotheken eintreten.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Vortrefflich Analyse

von Friedemann Ahlmeyer am 12.10.2023 um 23:13 Uhr

Kompliment Herr Dr. Müller- Bohn,
Sie haben die Auswirkungen der Lauterbachscjen Ideen auf den Punkt gebracht. Jetzt gilt es mit geballter Kraft und Einigkeit unsere Unterfinanzierung zu beenden. Ich habe noch nie so viel Entschlossenheit bei Apothekers gespürt und denke, dass unsere Spitzenleite diesen Rückhalt nutzen sollten.

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AW: Vortrefflich Analyse

von Dr. Thomas Müller-Bohn am 13.10.2023 um 12:46 Uhr

Vielen Dank, Herr Ahlmeyer. Hoffentlich hilft es in der Sache.

Niedergang des Niveaus

von Thomas Kerlag am 12.10.2023 um 8:22 Uhr

Dann haben ja wenigstens die Ärzte bald Ruhe vor den lästigen Korrekturwünschen der Arzneimittelfachleute

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Niedergang des Niveaus

von Thomas Kerlag am 12.10.2023 um 8:29 Uhr

Und mal an alle Apothekerlein:
Wenn alle neuen Möglichkeiten gesetzlich geschaffen wurden, dann seid es nur Ihr die ihr diese Möglichkeiten nutzt oder eben NICHT nutzt.
Und nur IHR zerstört die Apotheken und den Apothekerberuf selbst!!!SELBST und sonst keiner.

Die Pläne sind fast durch

von Dr. Radman am 12.10.2023 um 8:20 Uhr

Lauterbachspläne sind zweitrangig. Er wird sie sowieso umsetzen können, da die Ampel die Mehrheit im Bundestag hat.Von den Koalitionsparteien (Grüne?, FDP?) dürften wir nichts vernünftiges erwarten. Die Pläne sollten uns keinesfalls von unseren Forderungen nach auskömmlichen Honorar ablenken. Egal, was er plant. Da das System ohnehin ausgehöhlt und möglicherweise zerstört wird, sollten wir jetzt als letztes Mittel die Rahmenverträge kündigen. Hoffnungen und Wunschdenken helfen uns nicht weiter.

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