Neo-angin ist nicht gleich Neo-angin

Warum unterliegt hoch dosiertes Benzydamin-Spray der Verschreibungspflicht?

Stuttgart - 29.12.2023, 13:45 Uhr

Es gibt ein neues verschreibungspflichtiges Neo-Angin. Doch für wen ist es geeignet und warum unterliegt es der Verschreibungspflicht? (Foto: Packshot Klosterfrau / Montage DAZ)

Es gibt ein neues verschreibungspflichtiges Neo-Angin. Doch für wen ist es geeignet und warum unterliegt es der Verschreibungspflicht? (Foto: Packshot Klosterfrau / Montage DAZ)


Winterzeit ist auch Halsschmerzzeit. Ab Januar gibt es ein neues Spray gegen Halsschmerzen in der Apotheke – allerdings nicht in der Sichtwahl, sondern im verschreibungspflichtigen Bereich. Was Sie dazu wissen sollten, lesen Sie hier.

Genauso wie Silomat® nicht gleich Silomat® ist, ist Neo-angin® nicht gleich Neo-angin®. Damit ist nicht nur gemeint, dass es verschiedene Geschmacksrichtungen, Halstabletten mit oder ohne Zucker und spezielle Produkte für Kinder gibt. Auch die Wirkstoffe unterscheiden sich.

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Neo-angin® junior Halsschmerzsaft“ soll ab einem Alter von einem Jahr, „Neo-angin® junior Halsschmerzlutscher“ ab drei Jahren und „Neo-angin® junior Halstabletten“ sollen ab vier Jahren die Schleimhäute in Mund und Rachen beruhigen. Sie alle sind Medizinprodukte und enthalten laut Lauer-Taxe (unter anderem) einen Extrakt aus Isländischem Moos.

Die klassischen Neo-angin-Präparate mit dem wohl größten Bekanntheitsgrad in der Apotheke werden für „beginnende Halsschmerzen“ beworben und sind ab sechs Jahren geeignet: „Neo-angin® Halstabletten“, „Neo-angin® Halstabletten zuckerfrei“ und „Neo-angin® Halstabletten Kirsche“ (ebenfalls zuckerfrei). Bei diesen Produkten handelt es sich um apothekenpflichtige Arzneimittel, die als Wirkstoffe laut Lauer-Taxe 2,4-Dichlorbenzylalkohol und Amylmetacresol sowie Levomenthol enthalten. Während die ersten beiden antimikrobiell durch Eiweißdenaturierung wirken, hat Levomenthol einen sekretolytischen und kühlenden Effekt [1, 2].

Ab Januar 2024: Verschreibungspflichtiges Neo-Angin

In der Apotheke kennt man Neo-Angin® also vor allem aus dem Selbstmedikationsbereich. Wer schon mitbekommen hat, dass es ab Januar 2024 auch ein verschreibungspflichtiges Neo-Angin gibt, dürfte sich deshalb fragen, was dahintersteckt. 

2,4-Dichlorbenzylalkohol und Amylmetacresol zählen laut Lauer-Taxe zu den Antiseptika. Wollte hier der Zulassungsinhaber (Klosterfrau) also etwa der Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts zuvorkommen und zur Vermeidung von Resistenz-Entwicklungen eine Rezeptpflicht einführen? Nein, denn es gibt noch eine weitere Neo-angin-Produktreihe bei akuten Halsschmerzen, in die sich das neue rezeptpflichtige Präparat eingliedern soll: „Neo-angin® Benzydamin gegen akute Halsschmerzen“ als Lutschtabletten mit Zitronengeschmack oder Honig-Orangengeschmack sowie „Neo-angin® Benzydamin Spray gegen akute Halsschmerzen“ [1, 2, 3]. 

Wie der Name schon verrät, enthalten sie alle das nicht-steroidale Antiphlogistikum Benzydamin, das laut Lauer-Taxe analgetisch, antiexsudativ, antiseptisch und lokalanästhetisch wirkt. Die bislang im Handel befindlichen Produkte dieser Reihe sind apothekenpflichtige Arzneimittel und ab sechs Jahren anwendbar.

„Neo-angin Benzydamin Spray forte“ ohne Konkurrenz?

Aus einer Pressemitteilung von Klosterfrau geht nun hervor, dass es ab Januar 2024 für Erwachsene das neue „Neo-angin® Benzydamin Spray forte“ gegen akute Halsschmerzen gibt, das allerdings rezeptpflichtig ist. Es sei dann „das einzige Halsspray in Deutschland mit der hohen Wirkstoffkonzentration von drei Milligramm Benzydaminhydrochlorid pro Milliliter“. Die Lauer-Taxe verrät, dass „Difflam® 1,5 mg/ml Spray zur Anw.i.d.Mundhöhle“ und „Tantum® Verde 1,5 mg/ml Spray z.Anwen.i.d.Mundhöhle“ niedriger dosiert und apothekenpflichtige Arzneimittel sind. Die Lutschtabletten von Tantum® Verde enthalten hingegen wie die Lutschtabletten mit Benzydamin von Neo-angin® bereits 3 mg des Wirkstoffs pro Tablette, sind aber ebenfalls nur apothekenpflichtig.

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„Neo-angin® Benzydamin Spray forte“ kann ab einem Alter von 18 Jahren zwei- bis sechsmal täglich mit zwei bis vier Sprühstößen in der Mundhöhle angewendet werden. Während des Sprühvorgangs sollte der Atem angehalten werden [2, 3].

Benzydamin wurde 2013 aus Verschreibungspflicht entlassen

Wie aus einer Meldung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) vom 5. März 2013 hervorgeht, ist „Benzydamin zur Anwendung im Mund- und Rachenraum (bei Schmerzen und Reizungen)“ erst damals aus der Verschreibungspflicht entlassen worden (Dreizehnte Verordnung zur Änderung der Arzneimittel-Verschreibungsverordnung (AMVV-ÄndV)) und zwar konkret 

  • „als Lösung zur Anwendung im Mund- und Rachenraum mit einer Konzentration von nicht mehr als 0,15% (1,5 mg/ml)
  • als Lutschtablette zur Anwendung im Mund- und Rachenraum mit maximal 3 mg Benzydaminhydrochlorid pro abgeteilter Form“.

Das geht aus einem Dokument des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 26. Juni 2012 hervor. Und dort liest man auch einen Grund für die Verschreibungspflicht höherer Dosierungen [4, 5]:


„Generell kann ein gewisses Missbrauchspotential bei sehr hohen Dosierungen nicht ausgeschlossen werden, da Benzydamin eine Wirkung auf das zentrale Nervensystem hat und es zu Störungen der optischen Wahrnehmung wie Schneeflockensehen, Flimmern und Halluzinationen usw. kommen kann. Dies würde allerdings eine massive Überdosierung voraussetzen, die mit den in diesem Antrag aufgeführten Produkten auch aufgrund heftiger gastrointestinaler Nebenwirkungen wahrscheinlich nicht erreicht wird. Die Verschreibungspflicht in höheren Dosierungen sollte daher auf jeden Fall erhalten bleiben.“

Voten des Sachverständigen-Ausschusses für Verschreibungspflicht nach § 53 AMG 69. Sitzung, 26.06.2012 


Wann ist Benzydamin zu empfehlen?

In der aktuellen S3-Leitlinie Halsschmerzen werden zur symptomatischen Lokaltherapie 

  • nicht-medikamentöse Lutschtabletten oder
  • medikamentöse Lutschtabletten, die Lokalanästhetika und/oder Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) enthalten empfohlen.

Lutschtabletten mit Lokalantiseptika und/oder Antibiotika werden explizit nicht empfohlen.

Zu Lutschtabletten mit Amylmetacresol/2,3-dicholorobenzylalkohol (AMC/DCBA) heißt es in der Leitlinie, dass diese in einer Metaanalyse geringfügig wirksamer als Placebo waren. Allerdings soll es „einige größere unveröffentlichte Studien (gesponsert vom Hersteller) mit unbekanntem Ergebnis“ geben. Benzydamin wird nur im Rahmen einer Studie mit einem Chlorhexidin-Benzydamin-Rachenspray erwähnt. 

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Ansonsten können laut Leitlinie auch Ibuprofen oder Naproxen zur systemischen Einnahme gegen Halsschmerzen angeboten werden. Man darf also gespannt sein, wann und in welchen Fällen Ärzt:innen das neue Präparat tatsächlich verordnen werden [6].

Literatur 

[1] www.neo-angin.de/produkte.html

[2] Lauer-Taxe Stand 21.12.2023

[3] Pressematerial von Neo-Angin

[4] 10/13 Information: Änderungen in der Verschreibungspflicht, 05.03.2013, https://www.abda.de/fuer-apotheker/arzneimittelkommission/amk-nachrichten/detail/10-13-information-aenderungen-in-der-verschreibungspflicht/

[5] Voten des Sachverständigen-Ausschusses für Verschreibungspflicht nach § 53 AMG 69. Sitzung, 26.06.2012 zu Positionen, über deren Änderung abgestimmt wurde. chrome-extension://efaidnbmnnnibpcajpcglclefindmkaj/https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Verschreibungspflicht/69Sitzung/anlage1.pdf?__blob=publicationFile

[6] S3-Leitlinie Halsschmerzen, gültig bis 30.10.2025, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/053-010


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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