Noch mehr Dampf von Verbänden und Kammern

„Das bewährte Apothekensystem soll plattgemacht werden“

Berlin - 13.06.2024, 16:20 Uhr

Der Entwurf ist „schlicht Gift für die flächendeckende Gesundheitsversorgung der Menschen“, sagt der AVWL-Vorsitzende THomas Rochell. (Foto: AVWL)

Der Entwurf ist „schlicht Gift für die flächendeckende Gesundheitsversorgung der Menschen“, sagt der AVWL-Vorsitzende THomas Rochell. (Foto: AVWL)


Weitere Vertreter der Kammern und Verbände machen ihrem Unmut über den Referentenentwurf für die Apothekenreform Luft. Sie beklagen „Geringschätzung“, „Beratungsresistenz“, und dass vor allem Menschen in strukturschwachen Regionen benachteiligt werden.

Die Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, Tatjana Zambo, spricht von „einer Bankrotterklärung des Ministers“, der Präsident der Apothekerkammer des Saarlandes bezeichnet die Apotheken ohne Apothekerinnen oder Apotheker als „Ramschläden“ und der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein sieht „keinerlei Handlungsspielräume für Kompromisse“ – die ersten Reaktionen der Apothekerschaft auf den Referentenentwurf zur Apothekenreform fielen scharf aus.

Der Vorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL), Thomas Rochell, sagte laut einer Pressemitteilung, der Entwurf sei „schlicht Gift für die flächendeckende Gesundheitsversorgung der Menschen“. Die Art und Weise wie er über die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommuniziert wurde, sei hingegen „ein Zeichen tiefster Geringschätzung“, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) „den Apothekenteams entgegenbringt, und auch ein merkwürdiges Verständnis von Parlamentarismus.“ Es dränge sich der Eindruck auf, „dass das bewährte Apothekensystem plattgemacht werden soll“.

Apotheken ohne Apothekerinnen oder Apotheker – „Wie soll das funktionieren?“, fragt Rochell. „Soll ich zum Beispiel künftig Betäubungs-, also starke Schmerzmittel nur einmal pro Woche mit Termin abgeben?“ Die „Fernwartung“ durch den Apotheker per Videoschaltung bedeute nichts anderes als eine „riskante Trivialisierung der Arzneimittelabgabe“.

Zu den Plänen, dass ein Inhaber künftig alle seine Apotheken persönlich leiten darf und keinen Filialleiter einsetzen muss und die Filialen sich nicht mehr in räumlicher Nähe zueinander befinden müssen, sagte der AVWL-Vorsitzende: „Wir Apothekerinnen und Apotheker können viel – aber wir haben nicht die Fähigkeit, an mehreren Orten zugleich zu sein.“ Laut Rochell könnten viele Beschäftige und Inhaber durch die Verdichtung der Arbeit und die vielen zusätzlichen Aufgaben „schon heute kaum mehr“.

Honorarumstellung nicht „finanzneutral“

Die geplante Honorarumstellung hingegen sei nicht „finanzneutral“, wie das Ministerium behauptet, sondern eine Kürzung. „Wir müssen unsere Mitarbeiter, die laut Tarifvertrag teils wenig mehr als den Mindestlohn erhalten, angemessen bezahlen können. Dies ist ohne eine Honorarerhöhung nicht möglich.“

Zudem enthalte der Entwurf viele Ungereimtheiten oder auch „Nebelkerzen“. So seien beispielsweise die flexibleren Öffnungszeiten nichts Neues, „viele Bundesländer haben das längst ermöglicht. Der Minister schenkt hier alten Wein in neue Schläuche.“ Rochell kündigte an, die „Politik über all diese Konstruktionsfehler“ zu informieren und „der Öffentlichkeit deren Folgen vor Augen führen“ zu wollen.

Noch weitere Leistungskürzungen

Auch die Vertreter der Apothekerschaft aus Sachsen ließen kein gutes Haar an dem Entwurf. „Die Pläne des Bundesgesundheitsministers sind zerstörerisch und zeugen von dessen bereits mehr als deutlich gezeigten Beratungsresistenz“, sagte der Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbands Thomas Dittrich, laut einer gemeinsamen Pressemitteilung von Verband und Kammer. „Anstatt die flächendeckende Versorgung und damit die wichtige Arbeit der wohnortnahen Apotheken wirtschaftlich endlich zu stabilisieren, müssen Patientinnen und Patienten bei der Arzneimittelversorgung nun noch weitere Leistungskürzungen hinnehmen.“

Der Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer, Göran Donner, nimmt die Apotheken ohne Apothekerinnen oder Apotheker ins Visier: „Lauterbachs Pläne zielen darauf ab, dass Menschen in ohnehin bereits strukturschwachen Regionen bei der Versorgung weiter benachteiligt werden“.

Versorgung wird schneller nachhaltig zerstört

Die Arzneimittelversorgung brauche „dringend zukunftsfeste Reformen, um in den nächsten zehn, zwanzig oder dreißig Jahren weiter bestehen zu können“, so Donner. Die bleibe Lauterbach aber auch mit seiner Reform weiter schuldig. „Dadurch wird die Versorgung der Bevölkerung in der Fläche noch schneller nachhaltig zerstört“, so der Kammerpräsident.

Laut Bayerischem Apothekerverband beinhaltet der Referentenentwurf nach einer ersten Einschätzung Pläne, „die für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung und für die Apotheken in Deutschland schlimmere Konsequenzen haben, als nach der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers im vergangenen Jahr befürchtet“.

Lauterbach kann nicht rechnen oder sagt nicht die Wahrheit

PTA-Leitung von Apotheken, kürzere Öffnungszeiten, keine Rezepturpflicht – der stellvertretende Vorsitzende des Verbands, Josef Kammermeier, sagte, dass es bei der Umsetzung in der Arzneimittelversorgung Leistungskürzungen geben werde – auch wenn Lauterbach zuvor das Gegenteil behauptet habe. „Wenn ich beim Leistungsangebot der Apotheken etwas wegnehme, dann kann im Ergebnis auch nur weniger Versorgung herauskommen. Minister Lauterbach kann also entweder nicht rechnen. Oder er sagt den Versicherten nicht die Wahrheit, nämlich, dass sie doch Leistungskürzungen werden hinnehmen müssen.“

Mit Blick auf die Apothekenvergütung sagte Kammermeier, Lauterbach versuche sich „mit Taschenspielertricks durchzumogeln, indem er das Honorar innerhalb der Apotheken umverteilen will“. Der Verband erinnert daran, dass allein in den vergangenen zehn Jahren in Bayern 500 Apotheken dicht gemacht haben.

Laut BAV setzen die Apothekerinnen und Apotheker in Bayern nun darauf, dass dem Papier in der Ressortabstimmung „deutlich die rote Karte gezeigt wird“. Man hoffe, dass „die Kabinettskollegen Minister Lauterbach zum Einlenken bewegen“.


Matthias Köhler, DAZ-Redakteur
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Bewährtes System?

von Prof. Dr. med. Harald H.H.W. Schmidt am 13.06.2024 um 19:20 Uhr

Es stünde uns Deutschen besser zu Gesicht bezüglich unseres Gesundheitssystems nicht von "bewährt" zu sprechen. Deutschland hat in Europa neben der Schweiz das mit Abstand pro Kopf teuerste Gesundheitssystem, rangiert aber was die Lebenserwartung betrifft auf Platz 19. Unser Gesundheitssystem ließe sich besser als Krankheitssystem beschreiben, bei dem der Patient eine äußerst periphere Rolle spielt. Prävention kommt so gut wie nicht vor. Insofern hat Lauterbach absolut recht, dass er alles aber auch wirklich alles auf den Prüfstand setzt ob es wirklich optimal den Interessen der Patienten dient. Über seine Art und Weise wie er das tut, kann man anderer Meinung sagen; das kann man aber auch über die oft peinliche Kommunikation der ABDA, oder den apothekenfeindlichen Kassenärztlichen Bundesverband, der neuerdings strategischer Partner ist. Lauterbach kämpft gegenwärtig mit sämtlichen Besitzstandswahrern, Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern, und undesren 95 GKVs. Alle spüren, es muss Veränderungen geben, keiner will sich ändern.

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Dampf

von Beldowitz am 13.06.2024 um 17:04 Uhr

"Noch mehr Dampf von Verbänden und Kammern"

Wie noch mehr? Es gibt doch bis jetzt gar keinen.

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Reaktion?

von Thomas Brongkoll am 13.06.2024 um 16:50 Uhr

Laut BAV setzen die Apothekerinnen und Apotheker in Bayern nun darauf, dass dem Papier in der Ressortabstimmung „deutlich die rote Karte gezeigt wird“. Man hoffe, dass „die Kabinettskollegen Minister Lauterbach zum Einlenken bewegen“.

Das ist alles?

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