Leitlinie gibt Hilfe zur Beratung

Komplementärmedizin in der Onkologie

15.07.2024, 10:45 Uhr

Das Interesse an komplementärmedizinischen Therapien während oder nach einer onkologischen Behandlung ist groß. Eine aktualisierte Leitlinie zeigt auf, was sinnvoll ist und was nicht. (Foto: Rido / AdobeStock)

Das Interesse an komplementärmedizinischen Therapien während oder nach einer onkologischen Behandlung ist groß. Eine aktualisierte Leitlinie zeigt auf, was sinnvoll ist und was nicht. (Foto: Rido / AdobeStock)


Mit der Einführung der Dienstleistung „pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie“ werden an die Pharmazeuten auch vermehrt Fragen zur Komplementärmedizin in der Onkologie herangetragen. Obwohl sich viele Patienten diesem Thema zuwenden, liegen hierzu nur wenig zuverlässige oder evidenzbasierte Quellen vor. Mit der aktualisierten S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen“ wird dem Apotheker und Arzt ein umfassendes, aktualisiertes Kompendium zur Hand gegeben.

Allein der Umfang der aktualisierten Leitlinie von 645 Seiten und 1.082 Literaturstellen weist auf die Fülle an Informationen hin, die strukturiert und übersichtlich dargelegt sind [1]. Die für die pharmazeutische Beratung wesentlichen Kapitel gehen anhand von 36 Einzelsymptomen auf eine Symptomverbesserung unter komplementären Therapien ein (Kapitel 3), führen medizinische Systeme wie etwa Akupunktur, Homöopathie und Anthroposophie auf (Kapitel 4), bewerten Körpertherapien mit einer deutlichen Befürwortung von Sport und Bewegung (Kapitel 5), gefolgt von Mind-Body-Verfahren wie etwa Meditation (Kapitel 6). Für den beratenden Apotheker ist Kapitel 7 mit der Bewertung biologischer Therapien sowie dem Einsatz der Phytotherapie und sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe besonders hilfreich. Dasselbe gilt für eine im Anhang aufgeführte Zusammenstellung von Positiv- und Negativempfehlungen (Kapitel 11).

Carnitin, Selen, Vitamin D, Ingwer und Katzenkralle neu bewertet

Die Bewertung biologischer Therapien umfasst Vitamine, Mineralstoffe, Phytopharmaka und sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe. Sie umfasst 42 Positionen, darunter Altbekanntes wie Johanniskraut (keine Studien für die Wirksamkeit bei Depressivität onkologischer Patienten) und orales Vitamin C (nicht zur Linderung therapieassoziierter Toxizitäten) aber auch Amygdalin (cave potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen) und Heilpilze.

Änderungen finden sich bei der Beurteilung von Carnitin, Selen, Vitamin D, Ingwer und Katzenkralle (Uncaria tomentosa): 

  • Die evidenzbasierte Empfehlung für Selen wurde modifiziert. Der Leitlinie zufolge kann Natriumselenit zur Protektion radiotherapieassoziierter Nebenwirkungen bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und Selendefizit erwogen werden.
  • Ingwer kann zusätzlich zur leitliniengerechten Antiemese bei der Therapie Zytostatika-induzierter Übelkeit und Erbrechen angewendet werden. Hier merkt die Leitlinie an, dass besser Extrakte statt Tee eingesetzt werden sollten und dass sich die Dosis an den Bedürfnissen des Patienten orientieren soll.
  • In-vitro-Studien zeigen für die Katzenkralle (Uncaria tomentosa) zwar eine Verstärkung der Phagozytose sowie immunmodulatorische, antivirale, antineoplastische und antimutagene Eigenschaften, in einer Recherche zur Aktualisierung der Leitlinie wurde indes keine hochwertige Studie gefunden, die die Einnahme von Katzenkralle befürwortet. Daher spricht die Leitlinie weder eine positive noch eine negative Empfehlung aus.
  • Carnitin wurde für mehrere Indikationen bei onkologischen Patienten untersucht. Für Indikationen wie Verminderung der Fatigue, Gewichtszunahme bei Tumorkachexie, Verbesserung der Muskelkraft oder physische Aktivität spricht sich die Leitlinie weder dafür noch dagegen aus. Zur Verbesserung der peripheren Taxan-induzierten Neuropathie soll Carnitin nicht eingesetzt werden. Dasselbe gilt für den Einsatz in Kombination mit einer Taxan-basierten Therapie.

Keine Empfehlung zu Zeolite

Die Ausführungen zu Methadon, Zeolite, Cannabinoiden und Artemisia annua wurden neu recherchiert. Dem Vulkangestein Zeolite wird vor allem eine entgiftende Wirkung zugeschrieben und es soll bei Tumorbehandlungen das Krebswachstum verlangsamen. Aufgrund mangelnder Daten gibt die Leitlinie keine Empfehlung für oder gegen die Gabe von Zeolite und weist auf eine mögliche adsorbierende Wirkung von anderen Arzneistoffen hin. Ebenfalls keine Empfehlung wird für oder gegen Artemisia annua ausgesprochen.

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Aufgrund der Ergebnisse einiger experimenteller Studien gehen einzelne Wissenschaftler von einer möglichen antiproliferativen Wirkung von Methadon aus, die die Wirkungen von Chemo- oder Radiotherapien unterstützen soll. Diese Studien werden jedoch größtenteils kritisch gesehen. Den Leitlinienautoren zufolge liegt keine randomisierte, klinische Studie vor, die alleine oder in Kombination mit einer Strahlen- oder Chemotherapie die antitumorale Wirkung von Methadon untersuchte. 

Methadon: zu viele Nebenwirkungen

Jedoch weisen Daten aus mehreren systematischen Reviews, Kohortenstudien und Fallberichten auf relevante Neben- und Wechselwirkungen von Methadon (Obstipation, Ileus, Herzrhythmusstörungen, Atemdepression, Bewusstseinseinschränkungen) hin. Daraus schlussfolgern die Autoren der Leitlinie, dass die Gabe von Methadon aufgrund mangelnder Daten zur Wirksamkeit und angesichts des erhöhten Neben- und Wechselwirkungsrisikos nicht mit dem Ziel der Steigerung der Wirksamkeit der Tumortherapie erwogen werden soll.

Hintergrund: Methadon als Krebsmittel

2017 sorgte eine Veröffentlichung zum Einsatz von Methadon bei bestimmten Tumoren für großes öffentliches Interesse [2]. Dieser zufolge steigerte Methadon im Laborversuch die Empfindlichkeit von Hirntumorzellen auf eine Chemotherapie. Günstige Behandlungsergebnisse bei einigen wenigen Gliompatienten wurden mit einer Methadoneinnahme assoziiert. Es folgte ein medialer Hype, der sowohl dem wissenschaftlichen Ergebnis wie auch der Art der Kommunikation und dem öffentlichen Diskurs geschuldet war. Fachgesellschaften wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) standen dieser Veröffentlichung kritisch gegenüber [3]. Auch wurden die guten Behandlungsergebnisse bei Krebspatienten bisher noch nicht von anderen Forschern oder anderen Studiengruppen nachvollzogen. Zwischenzeitlich ist die mediale Aufregung, die sogar zu Vorwürfen führte, die Pharmaindustrie würde den Einsatz von Methadon verhindern wollen, abgeklungen. Im März 2022 begann an den Universitätskliniken Ulm und Hamburg die Rekrutierung einer von der Deutschen Krebshilfe geförderten Studie (MEFOX), in der Methadon in Kombination mit einer Chemotherapie bei therapierefraktärem Darmkrebs eingesetzt wird [4, 5].

Empfehlung für Cannabinoide

In der Recherche wurden keine Einschränkungen bezüglich der Art der Cannabinoide vorgenommen, somit wurden sowohl Phyto-Cannabinoide jeglicher Art als auch synthetische Derivate eingeschlossen. In der onkologischen Behandlung ist nur Nabilon zur Anwendung bei Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen zugelassen, alle weiteren hier aufgeführten Anwendungsgebiete der verschiedenen Cannabinoide finden im Off-Label-Use statt. Die Leitlinie spricht für onkologische Patienten folgende Empfehlungen aus:

  • THC/CBD (9-Tetrahydrocannabinol/Cannabidiol) kann bei Patienten mit nicht ausreichender Wirksamkeit der leitliniengerechten Antiemese in der Therapie von Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen erwogen werden.
  • Bei unzureichend wirksamer Opioidtherapie kann ergänzend zur Standardtherapie eine kombinierte Einnahme von THC und CBD zur Schmerzbehandlung erwogen werden.
  • keine Empfehlung für oder gegen THC bzw. THC/CBD bei Anorexie oder Kachexie
  • keine Empfehlung für oder gegen THC oder CBD als Einzelsubstanz zur Schmerztherapie
  • keine Empfehlung für oder gegen THC oder THC/CBD zur Verbesserung der Lebensqualität bei Kopf-Hals Tumorpatienten

Soll- und Sollte-Empfehlungen bei onkologischen Patienten

In der Leitlinie werden die Empfehlungsstärken „soll“ (starke Empfehlung), „sollte“ (Empfehlung), „kann“ (Empfehlung offen), „keine ausreichenden Daten für eine Empfehlung“, „sollte nicht“ und „soll nicht“ verwendet. Die meisten Empfehlungen bewegen sich im „Kann-Bereich“ oder werden aufgrund mangelnder Daten nicht eingestuft. Die Empfehlungen werden symptomorientiert erteilt oder auf einen bestimmten Endpunkt bezogen. Es findet sich – wie in der Vorgängerversion der Leitlinie – nur eine Soll-Empfehlung, und zwar für Sport und körperliche Aktivität, um Fatigue abzumindern und die Lebensqualität zu erhöhen.

Unter Sollte-Empfehlungen werden Tai Chi/Qi-Gong bei Schlafstörungen und Fatigue im Rahmen der Chemo- oder Radiotherapie, Yoga bei Fatigue im Rahmen der Chemo- oder Radiotherapie sowie Akupunktur bei Gelenkschmerzen unter Aromatase-Hemmern oder Tumorschmerzen aufgeführt.

Soll-Nicht-Empfehlungen bei onkologischen Patienten

Die meisten Soll-Nicht-Empfehlungen beziehen sich auf ein bestimmtes Symptom und auf eine bestimmte Patientengruppe, können aber auch allgemein sein, wie etwa die Warnung vor lebensbedrohlichen Nebenwirkungen unter der Einnahme von Amygdalin („Vitamin B17“). 

Auswahl wichtiger Soll-Nicht-Empfehlungen der Leitlinie: 

Wirkstoffim Hinblick aufsoll nicht eingesetzt werden
Aloe-vera-ExternaDermatitiszum Vorbeugen einer Radiodermatitis
Vitamin E und Beta-CarotinLebensqualitätwährend einer Radiotherapie (ermittelt bei Patienten mit Kopf-Halstumoren)
Vitamin Emenopausale Symptomebei Brustkrebspatientinnen
Isoflavonmenopausale Symptomebei Brustkrebspatientinnen
Vitamin EMukositiszur Prävention und Therapie einer Mukositis (ermittelt bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren unter Strahlentherapie)
Vitamin ENeuropathiezur Prävention und Therapie der Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie
ZinkMukositiszur Prävention und Therapie einer Chemotherapie-bedingten Mukositis
Vitamin EOtotoxizitätbei Cisplatin-induzierter Ototoxizität
CarnitinNeuropathiebei peripherer Taxan-induzierter Neuropathie
Vitamin C (oral, in höheren Dosen)Chemotherapie-indizierte Toxizitätzur Minderung einer therapieassoziierten Toxizität
Vitamin EChemotherapie-indizierte Toxizitätzur Minderung der therapieassoziierten Toxizität

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Literatur

[1]       S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen. Deutsche Krebsgesellschaft e. V. (DKG), Stiftung Deutsche Krebshilfe (DKH), AWMF-Registernummer: 032-055OL, Stand Mai 2024

[2]       Onken J et al. Safety and Tolerance of D,L-Methadone in Combination with Chemotherapy in Patients with Glioma. Anticancer Res 2017;37(3):1227-1235, doi: 10.21873/anticanres.11438

[3]       Methadon bei Krebspatienten: Zweifel an Wirksamkeit und Sicherheit. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie. 26. April 2017

[4]       Deutsche Krebshilfe fördert Methadon-Therapiestudie. Wirkstoff soll die Chemotherapie bei Darmkrebs verstärken. Pressemitteilung der Deutschen Krebshilfe, 28. Oktober 2019

[5]       D,L-Methadone and mFOLFOX6 in Treatment of Advanced Colorectal Cancer (MEFOX). StudienNr. NCT05212012, clinicaltrials.gov/study/NCT05212012


Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Methadon in der Komplimentärmedizin

von Juergen Busch am 16.07.2024 um 13:28 Uhr

Sie schreiben, Methadon habe zu viele Nebenwirkungen und nennen Nebenwirkungen wie Obstipation und Ileus, die bei jeden Opioid auftreten können. Deshalb wenn die Logik stimmt, müsste man also alle Opioide bei krebskranken verbieten
Die Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen, Atemdepression und Bewusstseinseinschränkungen betreffen lediglich die hohen Dosierungen in in der Substitutionstherapie und können lt. Studienlage bei der empfohlenen Dosierung in der Krebstherapie gar nicht auftreten.
Komplementärmedizin umfasst Diagnose- oder Therapieverfahren, die außerhalb des schulmedizinischen Mainstreams stehen, aber die Schulmedizin ergänzen wollen. Zu Recht sind deshalb die Vielzahl von komplementärmedizinischen Verfahren von „3. Allgemeines“ bis „7. Biologische Therapien“ in dieser Leitlinie enthalten. Allen aufgeführten Themen ist eines gemeinsam: Es handelt sich nicht um Medikamente, da zugelassene Medikamente nicht Bestandteil der Komplementärmedizin sein können. Methadon ist aber ein zugelassenes Medikament und hat folgerichtig in der Komplementärleitlinie nichts zu suchen.
Und schon gar nicht unter dem Punkt "Biologische Therapien", da Methadon ein synthetisch hergestelltes Opioid ist.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Methadon in der Komplimentärmedizin

von Anne Gaffron am 17.07.2024 um 10:18 Uhr

Dann fragt man sich, warum Methoden hier als Ergänzungsmittel überhaupt aufgeführt wird?

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