Interview mit ADA-Chef Rochell

„Der Abschluss kam auf beiden Seiten mit der Faust in der Tasche zustande“

Berlin - 17.07.2024, 07:00 Uhr

Der ADA-Vorsitzende Thomas Rochell. (Foto: Apothekerverband Westfalen-Lippe)

Der ADA-Vorsitzende Thomas Rochell. (Foto: Apothekerverband Westfalen-Lippe)


Mehr Urlaub, weniger Wochenarbeitszeit und ein bisschen mehr Geld: Der Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) und die Apothekengewerkschaft Adexa haben sich kürzlich auf eine Tarifanpassung geeinigt, die innerhalb des Berufsstands auf Kritik stößt. Im Gespräch mit der DAZ erläutert der Vorsitzende des ADA, Thomas Rochell, die Hintergründe des Abschlusses.

DAZ: Herr Rochell, ADA und Adexa haben sich kürzlich auf einen neuen Tarif geeinigt, mit dem weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber durchweg glücklich sind. Wie kam es zu diesem Ergebnis?

Rochell: Wir sind derzeit in einer politischen Situation, in der wir davon ausgehen müssen, keine finanziellen Zugeständnisse seitens des Bundesgesundheitsministers zu erhalten. Das stellt viele Inhaber vor existenzielle Probleme. Vor dem Hintergrund, dass Adexa im Herbst mehr als 10 Prozent mehr Gehalt für die Angestellten in Apotheken gefordert hat, war klar, dass die Verhandlungen schwierig werden würden. Der Abschluss kam auf beiden Seiten mit der Faust in der Tasche zustande – aber auch Adexa läuft beim Minister gegen eine Wand und spürt, wie wenig Interesse er am Erhalt des Apothekensystems, wie wir es kennen, hat. Wenn Lauterbach argumentiert, es ließen sich Personalkosten sparen, indem wir einfach Apotheker durch PTA ersetzen und alles wird gut, kann man das nur als zynisch bezeichnen. Das ist weder im Sinne der Apothekengewerkschaft noch der Inhaber. Diese Ausgangslage hat die Gespräche geprägt.

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Wie bewerten Sie das Ergebnis aus Arbeitgebersicht?

Unsere ureigene Aufgabe – die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln – können wir nur gemeinsam mit unseren Mitarbeitern bewältigen. Für die Arbeit, die sie in unseren Betrieben leisten, wollen wir ihnen natürlich etwas anbieten. Das müssen wir auch, denn wir haben ein massives Fachkräfteproblem. Viele wandern in Branchen ab, in denen sie mehr verdienen als bei uns. Denn dass wir in den Apotheken nicht die üppigsten Gehälter zahlen können, ist jedem klar. Und derzeit ist die Lage besonders schwierig, auch weil wir mit einem Gesundheitsminister konfrontiert sind, der uns gar nicht verstehen will. Dieses Dilemma mussten wir irgendwie auflösen. Der nun vorliegende Abschluss ist angesichts der Gesamtsituation mit Bauchschmerzen verbunden, mit Blick auf die Mitarbeiter aber richtig und wichtig.

Ihre Sicht teilen nicht alle Kolleginnen und Kollegen: Der Saarländische Apothekerverein geht sogar so weit, dass er zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus dem ADA austreten möchte. Wie nehmen Sie diese Ankündigung auf?

Zunächst mal gab es eine Mitgliederversammlung und danach in den jeweiligen Ländern eine intensive Diskussion zum Verhandlungsergebnis. Daraufhin haben sich die meisten Mitgliedsorganisationen für diesen Abschluss ausgesprochen. Dafür ist immerhin eine Zweidrittelmehrheit nötig. Es ist also nicht so, dass dieser Abschluss auf die Initiative einzelner handelnder Personen zurückgeht, sondern demokratisch erfolgt ist. Die Ankündigung des Saarlandes, die Mitgliedschaft im ADA zu kündigen, nehme ich mit Bedauern zur Kenntnis und halte es für ein falsches Signal gerade mit Blick auf die dortigen Mitarbeiter und somit auch für die Apotheken. Grundsätzlich kann man geteilter Meinung zu einem Verhandlungsergebnis sein, ich denke aber, dieser Schritt der Kündigung konterkariert die auch im Tarifbereich nötigen demokratischen Prozesse.

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Auch die Reaktionen vonseiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind alles andere als euphorisch. Kann die jetzt vereinbarte Tarifanpassung tatsächlich die Abwanderungstendenzen in andere Branchen aufhalten?

Aktuell ist dieser Abschluss eher als Zeichen des guten Willens zu verstehen. Langfristig muss da mehr passieren – wir können zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht auf lange Sicht fahren. Mehr war in dieser Runde einfach nicht möglich. Und ich bin froh, dass Adexa ein gewisses Verständnis dafür aufgebracht hat, unter welchen Zwängen die niedergelassenen Kollegen derzeit stehen.

Wie stehen Sie zu der Kritik, mit der Tariferhöhung das falsche Signal nach Berlin zu senden?

Die große Politik interessiert das, was wir in Tarifverhandlungen machen, absolut nicht. In Berlin wird das überhaupt nicht wahrgenommen. Insofern glaube ich nicht, dass wir damit ein wie auch immer geartetes Signal Richtung Ampel senden. Abgesehen davon dürfen wir nicht in Schockstarre verfallen, weil die Politik nun einmal gerade so ist, wie sie ist. Wir sind gezwungen, weiterhin produktiv zu arbeiten und zu Tarifabschlüssen zu kommen. Dazu gehört auch, das Kreuz durchzudrücken und solche Kritik auszuhalten.

Wie viel Hoffnung hegen Sie, dass sich die wirtschaftliche Lage der Apotheken in den kommenden Jahren verbessern wird?

Ich vermute, dass wir nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr einen Politikwechsel erleben werden. Die Ampel wird voraussichtlich keine Chance haben, in dieser Konstellation weiterhin in Regierungsverantwortung zu bleiben. Es werden sich andere Mehrheiten bilden, andere Koalitionen finden und ich hoffe sehr, dass der eine oder andere Entscheidungsträger ein anderes Bild von den Apotheken haben wird als Lauterbach.

Was bedeutet das für den Entwurf eines Apotheken-Reformgesetzes? Sollte der Berufsstand auf Anpassungen im parlamentarischen Verfahren setzen oder darauf, dass er in der Schublade verschwindet und sich in der kommenden Legislaturperiode ganz neue Chancen eröffnen?

An diesem Entwurf wären so viele Anpassungen nötig, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das im parlamentarischen Verfahren gelingen soll. Mit seinen Plänen gibt Lauterbach die Apotheken zum Abschuss frei. Ein System, das so viele Jahre keine Honorarerhöhung erhalten hat, kann nur an Grenzen stoßen. Und das führt unweigerlich zu Leistungskürzungen für die Patienten und Abstrichen beim Verbraucherschutz. Ich hoffe eher darauf, dass wir in einer neuen Regierung wieder einen besseren Draht zum Gesundheitsminister aufbauen können, mit dem wir dann neu Anlauf nehmen.

Herr Rochell, vielen Dank für das Gespräch!


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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